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Finanzexperte: Den Schaden trägt der Steuerzahler

Ein Großteil der privaten Gläubiger Griechenlands, also der Banken, sei ja längst in Staatsbesitz, betont Wolfgang Gerke, Präsident des Bayerischen Finanzzentrums München. Für Griechenland wäre die Insolvenz der bessere Weg gewesen. Mit den jetzigen Sparprogrammen zwinge man das Land in die Rezession.

Wolfgang Gerke im Gespräch mit Dirk Müller | 10.06.2011
    Dirk Müller: Die Koalition ist fest entschlossen, wir werden Griechenland erneut helfen mit einem milliardenschweren Rettungspaket. Reden wir nun über die privaten Gläubiger, über die Banken und Versicherungen, die sich am Griechenland-Hilfspaket beteiligen sollen. Das fordert jedenfalls die Bundesregierung und darüber sprechen wollen wir mit Professor Wolfgang Gerke, Präsident des Bayerischen Finanzzentrums. Guten Tag nach München!

    Wolfgang Gerke: Guten Tag, Herr Müller!

    Müller: Herr Gerke, lachen sich die Banken schon ins Fäustchen?

    Gerke: Ja sie haben eigentlich nichts zu lachen, denn sie haben Fehlinvestitionen betrieben. Aber so wie das abläuft, sind sie wirklich bestens aus der Affäre herausgekommen. Sie haben erst einmal kräftig spekuliert, höhere Zinsen kassiert, und dann haben sie die Chance erhalten, mit Hilfe des Steuerzahlers ihre Anleihen einerseits zu retten und andererseits im Markt zu verkaufen und zu einem Großteil dann bei der Europäischen Zentralbank landen zu lassen. Und das heißt doch letzten Endes: wenn jetzt der Ruf hochkommt, die Privaten zu beteiligen, dann kommt das viel zu spät, das hätte man gleich machen müssen, denn jetzt ist ein Großteil der Gelder ja längst in Staatsbesitz, und wenn man sich zum Beispiel die Hypo Real Estate anschaut, die ja in Deutschland die Bank war mit dem größten Griechenland-Anleihenbestand, dann ist die in der Zwischenzeit auch verstaatlicht und hat außerdem ihre Griechenland-Engagements noch in die Bad Bank rübergeschoben.

    Müller: Haben Sie denn schon versucht, Wolfgang Schäuble zu erreichen, um dieses ihm zu erklären?

    Gerke: Ich glaube, er wird im Moment genug Ratgeber haben. Ich bin mir auch nicht ganz sicher, ob er nicht innerlich vielleicht meine Position teilt, aber als Politiker anders handelt, aber das durchschaue ich nicht. Auf jeden Fall wäre es wesentlich besser gewesen, man hätte Griechenland sofort in eine Insolvenz hineingeschickt; stattdessen macht man eine Insolvenzverschleppung, etwas was im privaten Bereich sogar bestraft werden kann, wenn es vorsätzlich gemacht wird. Man hätte Griechenland mehr geholfen damit, wenn man einen Teil der Schulden erlassen hätte und dann investiv Griechenland wieder aufgebaut hätte. Die Sparprogramme, die man jetzt für Griechenland macht, machen gerade die Kleinstindustrie kaputt, viele Mittelständler, viele kleine Geschäfte müssen schließen, man zwingt Griechenland in die Rezession, das ist der falsche Weg.

    Müller: Herr Gerke, Sie haben gerade gesagt, ich weiß gar nicht, ob Wolfgang Schäuble insgeheim meine Position teilt. Reden wir mal nicht von der Position, reden wir mal nicht von der Interpretation. Wenn wir das hier richtig in der Vorrecherche auch verstanden haben, dann ist das doch eine Tatsache, dass die Banken, dass die Versicherungen so gut wie keine Anleihen mehr haben. Was sollen sie dann verkaufen, beziehungsweise was sollen sie dann verlängern?

    Gerke: Das wäre natürlich auch schön. Leider gibt es da schon noch Institute, auch Deutsche Bank und auch Commerzbank, die schon noch ein paar Milliarden dort liegen haben.

    Müller: Insgesamt weniger als ein Prozent, haben wir gelesen.

    Gerke: Weniger als ein Prozent. Nun sind das auch große Institute, das tut schon weh. Nur sie haben eines gemacht: Sie haben Finanzminister Schäuble das Wort gegeben, dort bei der Stange zu bleiben, und sind - und ich sage das jetzt ganz bewusst als Ökonom - sinnvoller Weise wortbrüchig geworden, denn das hätten sie vor ihren Aktionären kaum verantworten können, wenn sie nur ausländische Kreditinstitute sich aus Griechenland hätten zurückziehen lassen und ausländische Institute die Hilfen der EZB hier hätten zukommen lassen. Also ökonomisch ist es richtig, was sie gemacht haben, aber eines ist klar: Den Schaden trägt letzten Endes der Steuerzahler, und es ist deshalb auch völlig falsch, jetzt zu sagen, die Kreditwirtschaft bräche zusammen, wenn man Griechenland hier nicht schleichend helfen würde. Nein, die Kreditwirtschaft hat diesen Schaden längst berücksichtigt, sie hat Griechenland um bis zu 40 Prozent mindestens in ihren Planungen abgewertet und, was Sie ja gerade sagten, die Griechenland-Engagements verkauft. Also auch da werden wir letzten Endes mal wieder mit falschen Informationen gefüttert. Und wenn ich Herrn Schäuble gehört habe, als die Griechenland-Krise ausgebrochen ist, dann hat er ja doch schon eine gewaltige Wandlung durchgemacht. Damals wären zusätzlich noch mal 90 Milliarden, die jetzt gefordert werden, undenkbar gewesen, hätte man weit von sich gewiesen, hat man ja auch, und damals hat man vor allen Dingen auch nicht gesagt, dass man die Kreditwirtschaft mit hereinziehen will. Das macht man erst, nachdem das quasi zu ersetzen ist durch den Begriff Steuerzahler.

    Müller: Herr Gerke, ich muss ein bisschen auf die Zeit achten, wir haben noch knapp eine Minute. Ich versuche das aber noch mal zu subsumieren. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, kann man hier jetzt festhalten: Wolfgang Schäuble argumentiert mit falschen Informationen?

    Gerke: Wolfgang Schäuble argumentiert mit neuer Erkenntnis, …

    Müller: … die nicht stimmt?

    Gerke: … die natürlich stimmt, diese Erkenntnis, die er aber hätte viel früher haben müssen. Dann hätten die Griechen in der Zwischenzeit nicht 31 Milliarden bei ihren eigenen Banken abgerufen. Und er hat leider immer noch nicht den richtigen Schluss gezogen, nämlich dass man Griechenland langfristig am besten hilft, indem man eine Insolvenz geordnet durchführt.

    Müller: Aber das, was wir jetzt hören, ist politische Kosmetik?

    Gerke: Das, was wir jetzt hören, ist für den Wähler gedacht, ist damit politische Kosmetik, und das Problem wird in die nächsten Jahre verschoben.

    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk Professor Wolfgang Gerke, Präsident des Bayerischen Finanzzentrums. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Gerke: Auf Wiederhören, Herr Müller!