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Finanzexperte: Man kann Finanzmärkte nicht mehr regional einschränken

Udo Steffens sagt, dass eine Transaktionssteuer nur global eingeführt werden könne. Das werde aber nicht passieren, so der Präsident der Frankfurt School of Finance and Management, weil es die Zukunft der Finanzplätze behindern würde.

Udo Steffens im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 09.01.2012
    Tobias Armbrüster: Für Millionen von Deutschen ist dieser Montag heute der erste Arbeitstag nach den Weihnachtsferien. Der Alltag beginnt also wieder in Büros, in Unternehmen und sicher auch in Ministerien. Das gilt möglicherweise auch für Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie war zwar auch in den vergangenen Tagen schon schwer beschäftigt, bestimmt auch mit der Debatte um den Bundespräsidenten - wir haben es gerade gehört -, aber das wichtigste Thema ihrer Amtszeit ist erst heute Vormittag wieder auf die Tagesordnung zurückgekehrt. Es ist die Euroschuldenkrise. Vor gut einer Stunde ist sie in Berlin mit Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy zusammengekommen.

    Mitgehört hat der Wirtschaftswissenschaftler Professor Udo Steffens. Er ist Präsident der Frankfurt School of Finance and Management. Schönen guten Tag, Herr Steffens.

    Udo Steffens: Guten Tag, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Steffens, bleiben wir mal gleich bei diesem letzten Thema. Wie würden die Märkte reagieren, wenn Frankreich bei der Finanztransaktionssteuer tatsächlich einen Alleingang macht?

    Steffens: Die Reaktion wird relativ klar sein. Man wird Märkte in Frankreich - das ist ja im Wesentlichen dann Paris - meiden, denn Transaktionen im Finanzbereich sind ja größtenteils online, und von daher wird man das in Zürich, in Frankfurt oder im Wesentlichen in London machen, weil bei diesen Transaktionen geht es immer schon um viele Punkte nach dem Komma, und das heißt, man wird Verteuerungen versuchen zu vermeiden.

    Armbrüster: Müssen wir uns das so vorstellen, dass die Umsätze an der Börse in Paris mit einem Mal völlig einbrechen?

    Steffens: Das ist richtig. Zumindest werden sie deutlich und nachhaltig gedämpft, und das ist ja auch verbunden mit der New Yorker Börse. Das ist ja eine Institution rein rechtlich. Von daher macht man das dann eben an anderen Orten, und das zeigt ein bisschen das Dilemma bei der Einführung der Finanztransaktionssteuer. Man kann diese Märkte, die Finanzmärkte, heute regional nicht mehr einschränken. Von daher gilt es - und da ist die Politik richtig unterwegs - zu sagen, entweder macht man das global oder nicht, und das heißt letztlich auch in der Konsequenz, man wird es wahrscheinlich nicht machen, um hier den im Hintergrund laufenden Wettbewerb um die Zukunft der Finanzplätze nicht zu behindern. Denn man mag es vielleicht nicht so gerne hören, aber Finance bleibt eben nach wie vor eine Zukunftsindustrie und auch Deutschland ist gut beraten, hier sich richtig politisch zu positionieren.

    Armbrüster: Und richtig ist Ihrer Ansicht nach, nicht mitzumachen bei der Finanztransaktionssteuer?

    Steffens: Wenn man es EU-weit wirklich hinbekäme - aber das würde bedeuten, dass man den großen Dinosaurier der Finanzplätze, nämlich London, versucht, mit hineinzunehmen. Und gleichzeitig muss man sehen, dass die Abhängigkeit der britischen Wirtschaft vom Londoner Finanzplatz dermaßen hoch ist, um das Dreifache bis Vierfache gegenüber der deutschen Abhängigkeit, dass Cameron das wahrscheinlich einfach auch nicht machen kann, denn das würde die City of London dermaßen hinsichtlich ihrer Prosperität dämpfen und damit auch der Beiträge hinsichtlich des Bruttosozialprodukts in Großbritannien, dass er eigentlich alternativlos ist: Er muss dagegen sein.

    Armbrüster: Herr Steffens, Sie machen sich ja an Ihrer Hochschule auch Gedanken über Wirtschafts- und Finanzpolitik. Deshalb mal eine politische Frage, eine Frage zum Vorgehen. Wäre es nicht in einer solchen Situation tatsächlich hilfreich, wenn einer mal vorprescht und den Anfang macht, wenn dann möglicherweise andere EU-Länder nachziehen und so Großbritannien unter Druck setzen?

    Steffens: Das wäre möglich, wenn die Kräfteverhältnisse einigermaßen passen würden. Nur ist London eben meilenweit entfernt hinsichtlich der Attraktivität, der Liquidität, der Verfügbarkeit von Menschen und Experten, Computersystemen, Handelssystemen, sodass auch Frankfurt, Zürich, Paris, um die drei weiteren, in Europa bedeutenden noch zu nennen, einfach wenig Chancen haben, sich gegen diesen Riesen hinsichtlich der Finanztransaktionen weltweit zu stemmen. Von daher ist ein Versuch beispielsweise in Paris ja, das kann man beobachten und gucken, wie die Märkte reagieren, aber es wäre etwas, was man im Labor vielleicht nachstellen könnte, um sich es anzuschauen. Ich glaube nicht, dass das zukunftsträchtig ist.

    Armbrüster: Herr Steffens, dann lassen Sie uns kurz über den weiteren Ausblick in der Eurozone reden. Wir haben in den vergangenen Wochen und auch Feiertagen relativ wenig über die Euro-Schuldenkrise gelesen und auch gehört. Waren daran nur die Weihnachtsferien schuld, oder hat sich die Lage tatsächlich für einige Tage entspannt?

    Steffens: Es hat sich etwas entspannt für einige Tage. Gleichwohl sind die unterliegenden Phänomene natürlich nach wie vor vorhanden. Und die Kunst des Politischen und der ökonomischen und finanziellen Steuerung der Haushalte der Staaten wird natürlich sein, einerseits eine gewisse notwendige Katarsis der Fundamentalfragestellung hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit unserer europäischen Ökonomien zu verordnen und auch zu durchschreiten und gleichzeitig das Kind mit dem Bade nicht auszuschütten. Denn auch wenn wir jetzt die Rufe nach neuen Konjunkturprogrammen et cetera pp. hören, das wird im Wesentlichen nicht auf Dauer reichen, um uns international Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Und wir müssen einfach sehen, dass die Politik unsere finanziellen Möglichkeiten an den Rand gefahren hat. Das heißt also, die Handlungsfähigkeit der Politik ist beschränkt, und das ist einfach das Dilemma, sodass wir wahrscheinlich um eine grundsätzliche, wenn Sie so wollen, Austeritäts- und Katarsispolitik in Europa nicht herumkommen werden.

    Armbrüster: Aber heißt das nicht automatisch, dass dieses Jahr das Jahr der Rezessionen in Europa einläuten wird?

    Steffens: Das würde eine Rezession bedeuten, zumindest Null-Wachstum beziehungsweise wir damit auch mit negativen Wachstumsraten, also minus zwei Prozent, durchaus in einigen Ländern zu rechnen haben. Aber man muss sich einmal wahrhaftig damit auseinandersetzen, ob das dann nicht genutzt werden kann, um endlich unsere Sozialsysteme zu entrümpeln, die Anreizsysteme für die Wirtschaftsobjekte richtig zu setzen, um uns dann mit den neuen Herausforderungen, Lateinamerika, Südostasien, letztlich auseinanderzusetzen, um da zu schauen, wo ist eigentlich die Position der alten Ökonomien in der Globalisierung für die nächsten Dekaden.

    Armbrüster: Sie sagen da jetzt so ganz lapidar, die Sozialsysteme entrümpeln. Haben wir die nicht in Deutschland schon gehörig entrümpelt?

    Steffens: Natürlich haben wir sie gehörig entrümpelt, aber eben nur in Deutschland, und sowohl die Briten als auch die Franzosen wie die Spanier und Italiener werden das wohl nachziehen müssen. Und es sind ja auch immer nur wenige%e, und die Frage der Politik ist dieses richtige Augenmaß. Viele Bevölkerungskreise und Schichten können durchaus minus zwei, minus drei, minus vier Prozent vertragen, weil sie eigentlich gut abgesichert sind, und wir müssen schauen am Rand der Gesellschaft, wie wir dort gezielt hier Abbrüche vermeiden, aber letztlich die Kräfte der Ökonomie auch für die Zukunftsfähigkeit der nachwachsenden Generation erhalten, denn die wollen ja auch noch ein gutes Leben in Deutschland und Europa haben.

    Armbrüster: Live hier bei uns im Deutschlandfunk war das Professor Udo Steffens, Präsident der Frankfurt School of Finance and Management. Besten Dank für das Interview heute Mittag.

    Steffens: Danke, Ihnen auch.

    Armbrüster: Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.