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Finanzexperte: Vielleicht war das der Tiefpunkt

Nach dem Konkurs der viertgrößten Investmentbank Lehmann Brothers hat Volker Wieland, Professor für Geldtheorie und -politik an der Goethe-Universität Frankfurt, das Nichteingreifen des US-Finanzministeriums begrüßt. Momentan erlebe man eine reinigende Phase. Die Akteure müssten aus der Krise lernen und dürften in Zukunft nur noch mit einem ausreichenden Kapitalpolster agieren.

Volker Wieland im Gespräch mit Bettina Klein | 15.09.2008
    Bettina Klein: Mehrfach hatte der amerikanische Finanzminister Paulsen in den vergangenen Monaten vor der Presse das Eingreifen des Staates, sprich des Steuerzahlers für bedrohte Investmenthäuser in den USA verkündet. Bear Stearns sowie Fannie Mae und Freddie Mac standen für die spektakulären Aktionen. Nun ging es um das berühmte Bankhaus Lehman Brothers, einst von deutschen Einwanderern im Jahre 1850 gegründet. Doch diesmal bleibt die Unterstützung von oben aus. Die Bank steht vor dem Konkurs.

    Die EZB hat inzwischen 30 Milliarden Euro in den Geldmarkt gepumpt, angesichts der aktuellen Ereignisse, um, wie es hieß, zu einem reibungslosen Funktionieren des Geldmarktes beizutragen.
    Am Telefon begrüße ich Volker Wieland. Er ist Professor für Geldtheorie und Geldpolitik an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main. Ich grüße Sie, Herr Wieland.

    Volker Wieland: Guten Tag.

    Klein: Lassen Sie uns zunächst auf die Entwicklung in den USA schauen. Der Staat greift im Falle Lehman Brothers nun nicht ein. Eine richtige Entscheidung?

    Wieland: Ich denke schon, dass es jetzt mal an der Zeit war, zu sehen, dass eben nicht in jeder Situation eingegriffen wird. Wenn wir zurückdenken: im Falle Bear Stearns hatte die FED im Prinzip keine Wahl. Man wurde doch etwas überrascht von dieser Entwicklung und musste dann reagieren und dazu helfen, dass das abgewickelt und an JP Morgan verkauft wurde. Wir hatten jetzt gerade letzte Woche eine sehr große Aktion, wo der Staat, das Finanzministerium, die FED eingegriffen haben, um Fannie Mae und Freddie Mac, die halb staatlichen Immobiliendarlehengeber, zu retten, und wenn das immer so weiter geht, besteht natürlich auch die Gefahr, dass man für die Zukunft ein weiteres Eingehen von Risiken in diesem Bereich nicht bereit ist. Deswegen zeigt die FED, wir greifen nicht immer ein.

    Klein: Nun wird die Pleite der Bank in Kauf genommen. Auch das ist nicht ohne Risiken.

    Wieland: Ja. Ich denke, das bedeutet natürlich Verluste für Investoren. Es bedeutet gewisse Kosten im Abwickeln von Handelsverträgen, die die Bank eingegangen ist. Das bedeutet, dass Darlehengeber an die Bank möglicherweise Verluste eingehen müssen. Aber das ist etwas, was überall in der Wirtschaft immer wieder passiert. Im Finanzsektor greift der Staat ein, wenn das Finanzsystem an sich gefährdet ist, wenn die Stabilität des Systems gefährdet ist, aber das sollte er auch nur dann tun. Wenn er es immer tut, wenn er es tut, auch wenn das nicht unbedingt notwendig ist, ermutigt er für die Zukunft wiederum zu exzessivem Wahrnehmen von Risiken im Finanzbereich.

    Klein: Nun ist die Rede von massiven Verschiebungen in der Machtbalance an der Wall Street. Das haben wir gerade im Bericht unseres Korrespondenten gehört. Welche Verschiebungen sind das?

    Wieland: Ja, natürlich ändert sich die Struktur des Finanzmarkts und der Teilnehmer. Es werden weniger sein. Von den großen Investmentbanken sind jetzt weitere zwei verschwunden. Das heißt, es werden weniger. Das bedeutet aber auch, dass diese nun profitabler arbeiten können, und das bedeutet durchaus gute Nachrichten für diese Institute.

    Klein: Das heißt, Sie würden auch von einer Art Reinigungseffekt sprechen, der jetzt durch diese Krise entsteht?

    Wieland: Ja. Es ist einfach so: Wir haben jetzt seit über einem Jahr die Unsicherheit, wo liegen die Leichen im Keller, wer ist welche Risiken eingegangen, wer muss die größte Rechnung am Schluss zahlen. Langsam bekommen wir mehr Informationen darüber. In einigen Fällen hat der Staat sehr stark eingegriffen, um Institute zu retten oder zu anderen überzuführen. In dieser Weise wird ja jetzt auch mehr Information darüber verfügbar, wo eben die Leichen primär im Keller lagen. Das bedeutet zumindest mittelfristig auch eine gewisse Reduzierung von Unsicherheiten.

    Klein: Das heißt, Sie rechnen damit, dass wir doch allmählich das Ende dieser Finanzkrise erreicht haben?

    Wieland: Es ist vielleicht zu früh, jetzt schon vom Ende zu sprechen. Aber das ist sicher ein Schritt und es könnte durchaus sein, dass das dann der Tiefpunkt war.

    Klein: Ein Erdbeben in der Finanzwelt, sagen Analysten, und diese Finanzwelt müsse möglicherweise völlig neu organisiert werden. Welche Umbrüche deuten sich da an?

    Wieland: Ich denke, die Finanzinstitute haben sich sehr, sehr viel Geld geliehen, um bei geringem Kapital einen möglichst hohen Profit pro Aktie einzufahren, und es zeigt sich, dass in Zukunft ein größeres Kapitalpolster notwendig sein wird. Die Bankenhäuser, die überleben wollen, suchen dringend nach Kapital, nach Kapitalgebern. Es ist auch Kapital da, aber natürlich werden die Gesellschaften, die Fonds-Gesellschaften oder andere Institute, die sich das leisten können, nur dort einsteigen wollen, wo es sich auch lohnt. Aber für die Zukunft heißt das zum einen eine bessere Kapitalbasis, um solche Risiken besser überleben zu können. Es heißt auch, dass auf der Regulierungsseite, denke ich, mehr gemacht werden wird, so wie jetzt zum Beispiel die FED auch Investmentbanken aus der Patsche geholfen hat, im Falle Bear Stearns noch vor einigen Monaten. Das bedeutet natürlich auch, dass in Zukunft die Regulierer sich diese Banken viel genauer anschauen werden und sie mit einbezogen werden in eine engere Kontrollierung.

    Klein: Die Einschätzung von Professor Volker Wieland. Danke Ihnen für das Gespräch.

    Wieland: Gern geschehen.