Donnerstag, 25. April 2024

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Finanzgebaren der hessischen CDU

Nutz: Was in Berlin und Düsseldorf scheibchenweise zutage tritt, trifft die CDU in Hessen gleich in dicken Brocken. Am Donnerstag musste Ministerpräsident Roland Koch dem jüngsten Bericht der Wirtschaftsprüfer entnehmen, wie viele Millionen Schwarzgelder tatsächlich auf Schweizer Konten transferiert wurden: Nicht etwa 8 Millionen, sondern weit mehr als das Doppelte. Weitere Enthüllungen sind nicht auszuschließen, denn gestern wurden Büro- und Privathaus des früheren Bundesinnenministers Manfred Kanter durchsucht. Der Koalitionspartner der Union in Hessen, die F.D.P., hat bislang Ministerpräsident Koch Vertrauen entgegengebracht und gegen eine Selbstauflösung des Parlamentes gestimmt. Doch was nun? Werden die hessischen Liberalen ihre Haltung jetzt überdenken? Das ist die erste Frage an die F.D.P.-Landesvorsitzende und Wissenschaftsministerin Ruth Wagner.

29.01.2000
    Wagner: Nein, das kann man nicht sagen, denn ich hatte erwartet, dass nähere Aufklärung passiert. Es gab ja bis vor zwei Tagen große Zweifel an den Höhen dieser Summen und über die Frage, was da verschwunden ist usw. Also, ich bin eigentlich auf alles Mögliche hier gefasst, vor allen Dingen, weil man ja immer noch nicht weiß, welches Geld das überhaupt ist. Und von daher möchte ich die einzelnen Informationen, die jetzt kommen, gar nicht kommentieren. Wir erwarten, dass jetzt bald eine umfassende endgültige Aufklärung und Information erfolgt. Ich weiß, wie schwer das für den Parteivorsitzenden der CDU, Herrn Koch, ist, wenn bestimmte Leute keine Auskünfte erteilen oder wenn sie sich nicht erinnern und ganz bewusst Dinge verschweigen. Von daher muss er ja ein hohes Interesse daran haben, möglichst bald und umfassend einen endgültigen Bericht zu geben. Und dann werden wir uns auch zu einer Gesamtbewertung entschließen und die vortragen.

    Nutz: Das heißt, Frau Wagner, der Vertrauensvorschuss, den Sie ja gerade dem Ministerpräsidenten entgegengebracht haben, der verändert sich jetzt?

    Wagner: Nein, der verändert sich zur Zeit gar nicht. Ich erwarte ja, dass er dies aufklärt. Er verändert sich nur zu dem Zeitpunkt und zu der Bedingung – das haben wir aber schon häufig genug erklärt –: Falls sich herausstellt, dass ein Regierungsmitglied oder mehrere Regierungsmitglieder zum Zeitpunkt der Erklärung von Herrn Koch vor dem Hessischen Landtag – das war der 16. Dezember – mehr wusste, als damals gesagt wurde, dann muss dieses Mitglied aus der Landesregierung entlassen werden. Und falls sich herausstellt, dass der Ministerpräsident Koch vor diese Datum mehr wusste und das dem Landtag verschwiegen hat oder etwas anderes gesagt hat, dann müssen wir über die Frage der Neuwahl oder Auflösung des Landtages zunächst neu nachdenken. Das sind die Hürden, die wir die ganze Zeit uns selbst gesetzt haben, die der Landesvorstand und die Kreisvorsitzenden der F.D.P. einstimmig mitgegeben haben als Verhalten von uns in der Fraktion.

    Nutz: Nun hat am Dienstag die F.D.P. gegen die Selbstauflösung des Parlamentes votiert – und jetzt wieder neue Zahlen. Wie Sie selber sagen, erwarten Sie noch einiges. Wie bewerten Sie das? Glauben Sie dann, Frau Wagner, an einen Zufall, wenn die Enthüllung über diese nun über 18 Millionen Mark nur zwei Tage nach der Abstimmung im Landtag öffentlich wurde

    Wagner: Das ist kein Zufall. Herr Koch hat ja klar erklärt, dass er es nicht weiß. Er wird immer dann, wenn er neues weiß – und das war ein neuer Bericht der Wirtschaftsprüfer – sozusagen bröckchenweise diese Informationen geben. Er hat ja erklärt, dass es ihm lieber wäre, dass er einen Gesamtabschluss möglichst bald hätte. Aber da die Journalisten natürlich auch überprüfen, hat er gesagt: 'Dann gehe ich eben immer, wenn ich eine neue Nachricht habe, vor die Presse'. Das ist seine Entscheidung. Ich akzeptiere die, aber im Augenblick gibt es eben keine neue Bewertung von uns.

    Nutz: Aber wenn Sie das vor der Abstimmung erfahren hätten, hätten Sie sich da anders verhalten?

    Wagner: Wieso? Es ist doch kein anderer Tatbestand.

    Nutz: Wo setzen Sie dann die Schmerzgrenze?

    Wagner: Die habe ich ja eben genannt; es gibt da zwei Hürden.

    Nutz: Was ist, wenn noch mal neue Zahlen kommen, die alles in ein anderes Licht noch mal setzen?

    Wagner: Nein, ich spekuliere nicht, was jetzt noch kommt. Ich möchte eine Gesamtbewertung haben, die aufklärt, was das für Geld war, warum das ins Ausland transferiert wurde – offensichtlich in Befürchtung eines bevorstehenden neuen Parteiengesetzes, das wir seit dem haben. Wenn das eigenes Geld war, dann sieht das anders aus, als wenn das Geld ist, das durch irgendwelche Transaktionen aus anderen Bereichen gekommen ist. Das alles, plus die Frage, warum Herr Kanter alle anderen Nachfolger angelogen hat – das sind die Dinge, die wir insgesamt zu bewerten haben. Ich werde aber keine Bewertung geben zu jeder 'Teil-Neuinformation'.

    Nutz: Wie verkaufen Sie denn die Schmerzgrenze, die Sie gerade skizziert haben, dem Wähler?

    Wagner: Ich habe das so wie eben erklärt bei allen Veranstaltungen, die in den letzten Wochen waren, wie der Fraktionsvorsitzende im Hessischen Landtag auch. Und ich habe den Eindruck, dass unsere Wähler, die F.D.P. -Sympathisanten, das verstehen. Wir haben entsprechende Reaktionen positiver Art, die besagen: 'Es ist eine Parteienkrise, die die CDU bewältigen muss, aber keine Koalitionskrise und keine Regierungskrise. Ihr habt gute Arbeit gemacht. Das was Ihr als Auftrag habt – Ihr, die F.D.P., im Bereich Bildung, Wirtschaft, im Bereich Hochschule –, das wird offensiv umgesetzt. Und dafür habt Ihr ein Mandat für vier Jahre'. Also, ich habe fast durch die Bank solche Äußerungen. Natürlich gibt es auch andere Stimmen, aber die große Mehrheit stimmt unserer Haltung zu.

    Nutz: Haben die Hessen denn mit dem jetzigen Kenntnisstand – der ist ja ein anderer, als bei den Landtagswahlen vom 7. Februar 99 – haben sie da nicht einen Anspruch auf Neuentscheidung?

    Wagner: Nein, sie haben doch in der Sache entschieden. Sie waren unzufrieden mit der Schulpolitik von Herrn Holzapfel und von Herrn Eichel. Sie wollten nicht den automatischen Doppelpass, wie ihn Schröder und Schily ursprünglich wollten. Das hat die F.D.P., so bitter das ist mit unserem mageren Ergebnis, ja verhindert.

    Nutz: Aber glauben Sie denn, dass die Bürger zufrieden sind mit dieser Parteispendenaffäre und dessen, was da noch herauskommt?

    Wagner: Das hat doch damit nichts zu tun. Das ist ja ein anderes Thema. Sie haben mich jetzt gefragt, ob die Hessen mit ihrer Regierung zufrieden sind. Sie sind offensichtlich mit der CDU nicht zufrieden, das sieht man in den Umfragen. Aber die Wähler haben ja wegen inhaltlicher Dinge anders gewählt. Ich glaube, dass sich darauf die Legitimation unserer Regierung stützt.

    Nutz: Ihre Parteifreunde in Bayern, also die bayerische F.D.P. vermisst eine klarere Distanz zur CDU. Sie als Landesvorsitzende hätten der Union von Anfang an deutlich machen müssen - sagen sie -, dass Sie für den Fall der Verwicklung auch nur eines Fraktionsmitgliedes der CDU in die Affäre die Koalition sofort aufkündigen.

    Wagner: Also, das habe ich bisher noch nicht gelesen; ich weiß nicht, wo das war. Aber wenn das gesagt wurde, dann verbitte ich mir das. Ich gebe den bayerischen F.D.P. -Leuten auch keine Vorschriften für ihr Fraktionsverhalten oder Regierungs-verhalten – aber die sind ja noch nicht einmal im Landtag.

    Nutz: Vielleicht ist auch gemeint, dass die Vertrauensschwelle niedriger angesetzt werden soll. Wie stehen Sie dazu?

    Wagner: Also, ich kenne diese Meldung nicht. Ich weiß da nicht. Ich habe mich an meinen Landesvorstand zu halten. Mein Landesvorstand und alle Kreisvorsitzenden Hessens haben einstimmig - ohne jede Kritik - unser Verhalten gebilligt. Und der Bundesvorstand der F.D.P., dem ich berichtet habe, hat das auch – was die jetzige Situation angeht – für richtig erachtet. Wir haben immer gesagt: 'Nach dem jetzigen Kenntnisstand und nach der jetzigen Bewertung'. Ich weiß nicht, warum die bayerische F.D.P. sich hier einmischt. Alle anderen Landesverbände haben mir gesagt, dass das eine Entscheidung von uns ist. Wir werden das schon sehr glaubwürdig und sehr nachhaltig prüfen, wie wir uns weiter verhalten.

    Nutz: Wie viel Zeit geben Sie sich für die Gesamtbewertung und für die Prüfung?

    Wagner: Ich habe keine Zeitvorstellung. Das hängt davon ab, was die CDU im Bund und in Hessen an Aufklärung braucht. Ich habe keinerlei Vorschriften zu machen, wie viel Zeit die CDU braucht.

    Nutz: F.D:P. -Generalsekretär Westerwelle sieht die Zeit gekommen für eine Generalinventur der Politik und des Parteiensystems. Was würden Sie sich denn darunter vorstellen?

    Wagner: Ja, wir haben das ja gemeinsam im Bundesvorstand besprochen. Wir brauchen wirklich eine Reihe von Maßnahmen, die die Struktur der Parteienlandschaft angeht, die Frage des Einflusses von Parteien in allen möglichen Gremien. Das gilt ja für Nordrhein-Westfalen auch, und das gilt für Bayern, wo ganz bestimmter Parteienproporz in allen Aufsichtsräten von großen Unternehmen – also staatlich beteiligten Unternehmen – existiert. Das halte ich für richtig. Ich glaube, dass wir darüber nachdenken müssen, eine persönliche Verantwortung in das Parteiengesetz zu verankern. Wir sind der Auffassung, dass wir die Regierungsamtszeiten begrenzen müssen, wie zum Beispiel das Amt des Bundeskanzlers auf zwei Legislaturperioden. Das sind alles Vorschläge, die ich für richtig erachte. Dazu gehören aber zum Beispiel auch Dinge, die das Parlament angehen. Ich will schon seit vielen Jahren zum Beispiel eine Stärkung der Parlamente und eine klarere Trennung zwischen Amt und Mandat. Ich habe mein Mandat abgegeben aus Überzeugung. Ich bin nicht Mitglied des Parlamentes, weil ich glaube, dass man die Gewaltenteilung einhalten muss.

    Nutz: Ruth Wagner im Deutschlandfunk. Sie ist Landesvorsitzende der F.D.P. in Hessen und Wissenschaftsministerin im Kabinett von Roland Koch. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.