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Finanzielle Fairness in der Arbeitswelt

Leistung lohnt sich in Deutschland nicht immer gleichermaßen. Während viele Arbeitnehmer seit Jahren mit Reallohnverlusten kämpfen, stopfen sich Topmanager anscheinend die Taschen voll. Im kommenden Bundestagswahlkampft wird von fairen Löhnen und Gehältern viel die Rede sein.

Von Svenja Pelzel | 30.03.2013
    Birgit steht in ihrem Friseursalon, föhnt einer Kundin die Haare. Um acht Uhr morgens hat sie ihren kleinen Laden in Berlin-Friedrichshain geöffnet, abends um 19 Uhr wird sie ihn wieder schließen. 11,59 Euro brutto, so hat es die 42-Jährige mal ausgerechnet, bleiben ihr als Stundenlohn - nachdem sie alle Betriebskosten abgezogen hat. Eigentlich kein schlechter Verdienst im Friseurhandwerk und trotzdem kommt sie finanziell auf keinen grünen Zweig.

    Das Geld, das ihrer dreiköpfigen Familie monatlich zur Verfügung steht, reicht hinten und vorne nicht aus - vor allem seit Birgits Mann Alex wegen seines kaputten Knies krankgeschrieben ist. Auch an diesem Morgen sitzt der 43-Jährige im Geschäft auf einem freien Frisierstuhl, trinkt Kaffee und liest Zeitung. Seinen Nachnamen will das Ehepaar lieber nicht nennen. Seit 25 Jahren arbeitet Alex als Maurer. Obwohl das eigentlich nicht zu seinen Aufgaben zählt, liest er Baupläne, fährt LKW und leitet sein Team selbstständig an. Auf seinem Gehaltszettel sieht er von diesen Zusatzleistungen jedoch nichts. "Wer mehr leistet, verdient auch mehr" - dieser Satz gelte in Deutschland schon lange nicht mehr, klagt Alex dann auch. Gerecht findet er das nicht:

    "Wenn ich überlege, was Manager in Anführungsstrichen verdienen und in Anführungsstrichen ein einfacher Arbeiter, ist das schon sehr ungerecht. Ich will keine Millionen verdienen, aber für die Arbeit, für die Leistung, die ich bringe, müsste das schon ein bisschen mehr rüber kommen. Weil es reicht teilweise manchmal vorne und hinten nicht. Wenn denn am Monatsende man auf das Konto guckt, wo ist denn das ganze Geld geblieben?"

    "Ein Großteil beim Finanzamt", sagt Birgit und lacht etwas bitter auf.

    "Es ist schon so, dass in unserem Land man das erste halbe Jahr für den Staat arbeitet, für die Steuern; weil, es wird auch alles erhöht. Es wird auch immer mehr an Steuern, was man zahlt. Es war vor ein paar Jahren noch wesentlich mehr, was man verdient hat, was in die eigene Tasche gewirtschaftet wird, das ist heutzutage weniger."

    Wie Birgit und Alex geht es vielen Menschen in Deutschland: Sie arbeiten fleißig, verdienen mittelmäßig und sparen wenig. Ein finanzieller Aufstieg ist für sie kaum noch möglich, weil ihre Leistungen nur gering honoriert werden, ihre Fixkosten fürs tägliche Leben stetig steigen und ihnen Kapital fehlt. Den eigenen Baubetrieb zum Beispiel wird Alex niemals gründen können. Was passieren würde, wenn er wegen seines kaputten Knies endgültig mit der schweren Arbeit aufhören müsste? Der Maurer weiß es nicht.

    "25 Jahre auf dem Bau und jetzt kriege ich 63 Prozent Krankengeld. Es dankt dir keiner mehr. Ich kriege dann ein Plasteknie irgendwann, und irgendwann bin ich dann mal - ? Ja. Da interessiert es keinen, ob ich 25 Jahre gearbeitet habe auf dem Bau für eigentlich viel zu wenig Geld. Und wenn ich nicht mehr auf dem Bau arbeiten gehen kann, was mach ich dann? Da krieg ich keine Abfindung so wie ein Manager."

    Im Moment nimmt Alex seine Situation noch mit Humor. Er witzelt, dass er später einfach in die Politik gehen, ein großes Ding in den Sand setzen und dann die Abfindung kassieren könnte. So richtig komisch aber finden er und seine Frau es dann doch nicht, dass deutsche Minister nach ihrer Entlassung hohe Übergangsgelder oder Manager viele Millionen Euro in Form von Boni und Abfindungen erhalten können. Der Vater einer Tochter kann von solchen Summen nur träumen.

    "Ich hatte mal vor drei Jahren eine Lohnsteigerung von drei Cent in der Stunde. Da dachte ich, das ist ein Druckfehler auf dem Lohnstreifen, aber das war dann doch drei Cent Erhöhung. Naja, mit drei Cent kann man ja schon ´ne Menge machen."

    Während viele Arbeitnehmer mit Reallohnverlusten zu kämpfen haben und sich Gewerkschaften mit Lohnforderungen von 6,5 Prozent abmühen, stecken sich Topmanager Millionen in die Tasche. In der Bevölkerung setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass etwas faul ist in Deutschland. Von Abzockermentalität, von Ungerechtigkeit ist die Rede. Die Politik will reagieren – schließlich steht im September eine Bundestagswahl an. Seit der Volksabstimmung in der Schweiz fordern Politiker auch hierzulande eine gesetzliche Regelung zur Begrenzung der Boni. Richtig – findet das Birgit:

    "Die Frage ist, was sie dafür für Leistung bringen, was sie machen, wofür? Also, 20 Millionen im Jahr. Natürlich müssen die irgendein Unternehmen führen, haben Verantwortung vielen Mitarbeitern gegenüber und müssen anderen zur Seite stehen, aber das sind halt Summen, die ja letzten Endes wir Steuerzahler zahlen."

    Wer Ulrich Thielemann besuchen will, muss hoch in den ersten Stock eines Westberliner Altbaus steigen. Hier hat der 52-jährige Ökonom seit ein paar Monaten seine Denkfabrik für Wirtschaftsethik angesiedelt. Zuvor war er fast zehn Jahre lang Vizedirektor des Institutes für Wirtschaftsethik in Sankt Gallen. In seinen Schriften und Vorträgen propagiert der Kapitalismuskritiker eine – wie er es nennt - ‚Menschliche Marktwirtschaft’. Thielemann fordert, kurz gesagt, dass die Wirtschaft für den Menschen da sein müsse und nicht umgekehrt. Seiner Meinung nach eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Doch laut Thielemann bestehe heute kaum noch ein Zusammenhang zwischen Mensch und Wirtschaft, zwischen Leistung und Vergütung.

    "Ja, das setzte Ende der 70er-Jahre ein, das war die Wende zur Marktgläubigkeit. Bekannt sind natürlich Maggie Thatcher und Ronald Reagan, da setzte das ein. Das ist auch messbar, dass dann die Einkommensdisparitäten einsetzten."

    Einkommensdisparitäten – ein kompliziertes Wort für eine simple Tatsache: Leistung lohnt sich nicht immer gleichermaßen. Altenpfleger, Lagerarbeiter, Verkäuferinnen, Erzieherinnen, Hausmeister, Handwerker und viele andere arbeiten acht Stunden täglich. Manche müssen sogar schichten und verdienen in der Regel keine 30.000 Euro im Jahr. Zum Vergleich: Die Topmanager der 30 deutschen Dax-Unternehmen kamen im vergangenen Jahr im Schnitt auf 5,33 Millionen Euro. Das geht aus einer kürzlich veröffentlichten Studie des Beratungsunternehmens Towers Watson hervor.

    Dieses extreme Ungleichgewicht hat für Ulrich Thielemann eine eindeutige Ursache: Die ökonomischen Grundregeln der Betriebswirtschaftslehre und Volkswirtschaft haben sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt. Wo früher zum Beispiel Werte wie Stabilität, Nachhaltigkeit, langfristige Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit galten, zählt heute nur noch eines: die Eigenkapitalrendite. Diese Maxime predigen - laut Thielemann - heutzutage fast alle Wirtschaftswissenschaftler und Managementtheoretiker.

    "Die BWL, die Managementwissenschaft und die VWL hat das Kapital zum Prinzipalen des Unternehmens erklärt. Prinzipal heißt: Dem Kapital, den Investoren, den Aktionären stehen alle Vorrechte zu. Das Management ist der Agent des Kapitals. Das hört sich beinahe marxistisch an, so spricht die Managementtheorie. Und dieser Agent ist genauso gierig wie das Kapital. Das Kapital kennt hier keine Rendite, die zu hoch ausfallen könnte. Wenn die hundert Prozent der Wertschöpfung bekommen könnten, würden die das nehmen."

    Mit Kapital meint Thielemann all jene, die ein leistungsfreies Einkommen erzielen - also Aktionäre, Banken, Fonds und Investoren. Sie besitzen - seiner Meinung nach - die eigentliche Macht.

    "Ich meine, wer heute regiert, Politiker sind doch nur Marionetten – na, Marionetten ist zu viel gesagt, aber sie sind angewiesen auf Experten und zwar auf ökonomische Experten, die ihnen sagen, wohin die Reise gehen könnte. Sie können heute die Welt nicht mehr mit Laien regieren. Wir brauchen ökonomische Expertisen und diese ökonomischen Experten gehen eben durch die Gehirnwäsche des Wirtschaftens. Und nur, wenn wir da eine andere ökonomische Theorie haben, bekommen wir auch eine gemäßigte Marktwirtschaft."

    Vereinzelt versuchen Politiker den extremen Entwicklungen entgegenzusteuern, indem sie Mindestlöhne oder Grenzen für Managergehälter und Bonuszahlungen fordern. Doch diese Forderungen greifen für Thielemann zu kurz, weil sie – seiner Meinung nach - die eigentliche Ursache des Problems nicht beseitigen: den gesellschaftlichen Konsens, dass Kapitalgeber und Investoren möglichst viel Rendite erzielen sollen. Solange sich an diesem Konsens nichts ändere, so lange würden auch die Ungerechtigkeiten bestehen bleiben, davon ist der Wirtschaftsethiker überzeugt: Billige Arbeiter und
    Bonushungrige Manager würden nämlich genau das garantieren: eine hohe Rendite.

    Auch den Schweizer Bürgerentscheid, wonach Vorstandsgehälter künftig von den Aktionären abgesegnet werden müssen, sieht der Wissenschaftler deshalb kritisch. Im Fernsehen, sagt er, werden häufig Bilder von lautstark protestierenden Aktionären gezeigt, die den Eindruck erwecken, dass hier eine breite Masse mitbestimmen kann. In Wirklichkeit würden die im Saal Anwesenden jedoch nur eine kleine Gruppe Aktienbesitzer repräsentieren. 95 Prozent der Papiere befinden sich in der Hand von Großinvestoren und Fonds. In der Vergangenheit haben Aktionärsversammlungen dann auch regelmäßig für hohe Managergehälter gestimmt. Ulrich Thielemann fordert deshalb neue Studiengänge und eine veränderte Ausbildung für die zukünftige Managergeneration.

    "Das A und O ist die ökonomische Theorie. Alle Experten, die über solche Fragen befinden, gehen durch diese Ideologie durch. Samuelson, das war bis vor Kurzem, heute ist er durch Mankiw abgesetzt worden, war der Top-Lehrbuchschreiber der Welt. Der hat mal gesagt: Mir ist es doch egal, wer ein Land regiert. Solange ich das Lehrbuch der Ökonomie für diese Staaten schreiben darf."

    Dieses besagte Buch des Wirtschaftsnobelpreisträgers Paul A. Samuelson, der 2009 verstarb, trägt den Titel ‚Economics’ und hat mittlerweile eine Auflage von vier Millionen. Es scheint allerdings so, als ob Samuelson seine Meinung zum Thema geändert habe. In seinen letzten Lebensjahren jedenfalls forderte der Wissenschaftler, das Tempo der Globalisierung durch politische Maßnahmen zu verlangsamen.

    Thielemanns Forderung nach einer veränderten Ausbildung für Manager ist nichts völlig Neues oder Abwegiges. Mancherorts werden heute schon wirtschaftsethische Ansätze gelehrt, zum Beispiel an der 1998 gegründeten Steinbeis-Hochschule in Berlin. Seit zwei Jahren bietet die SHB den einjährigen Studiengang ‚Responsible Management’, also verantwortungsvolles Management, an. Felicitas Mocny ist 52 Jahre alt, promovierte Philosophin und leitet das Institut. Ihr Studiengang erfreut sich nicht nur bei Studenten ständig wachsender Aufmerksamkeit.

    "Wir merken auch vonseiten der Studierenden, nicht nur unserer, wir sind da ja im Diskurs, dass das immer mehr verlangt wird. Wir werden auch immer mehr angefragt für Konferenzen, wo diese Dinge diskutiert werden. Also, es ist nicht so starr, dass da gar nichts passiert. Aber man kann noch nicht von einer Bewegung sprechen, dass sich etwas verändert."

    Zwei Jahre hat Mocny mit ihrem Team am Lehrplan für den neuen internationalen Masterstudiengang gearbeitet. Dabei geht es nicht darum, einzelne Probleme, wie zum Beispiel die fehlende Leistungsgerechtigkeit, zu lösen. Vielmehr sollen die Studenten sich mit ethischen Theorien beschäftigen; lernen, Themen von allen Seiten aus zu beleuchten, um neue Lösungsansätze zu entwickeln.

    "Bewusst wollen wir den Studierenden Methodik beibringen, eine Reflexionsmethodik und ein Reflexionsbewusstsein mit den entsprechenden Tools, dass sie sich in der Lage fühlen, genau solche Fragen zu beantworten und zu diskutieren."

    Die ersten 25 Absolventen haben das Studium bereits mit Erfolg abgeschlossen. Die Nachfrage nach Führungskräften, die sich mit ethischen, ökologischen und sozialen Themen beschäftigt haben, ist groß. Im derzeitigen Kurs sitzen 70 Studentinnen und Studenten aus 28 Ländern. Unterrichtssprache ist deshalb Englisch.

    "Ich studiere das aus Überzeugung. Das ist der Leitfaden oder das Grundmotiv. Und zwar ich hab jetzt drei Jahre im Eventmanagement gearbeitet, hab für Großunternehmen gearbeitet, hab für internationale Konzerne gearbeitet und hab dadurch, glaube ich, einen sehr breiten Eindruck bekommen und habe auch gesehen, dass viel falsch gelaufen ist. Und ich glaube, ein ethischer Bezug oder ein nachhaltiger Bezug sollte nicht nur resultieren aus einem Druck von außen, aus einem sozialen Druck aus einem gesellschaftlichen Druck, sondern sollte mehr ein innerlicher Druck sein."

    Stefan Reinhold ist 25 und hat bereits ein Studium in Tourismus und Freizeitwirtschaft abgeschlossen. Für das Masterstudium an der privaten Steinbeis-Hochschule bezahlt er 10.000 Euro aus eigener Tasche; ebenso seine Kommilitonin, die 35-jährige Marie Nadine Hazebrouck. Beide arbeiten neben dem Studium - wie alle hier. Ein Arbeitsplatz ist nämlich Voraussetzung für den Studiengang. Denn die Teilnehmer sollen das Gelernte sofort in die Praxis umsetzen können.

    Marie Hazebrouck: "Wir können versuchen von unten die Revolution zu starten, schauen wir mal, ob es klappt. Aber natürlich sind wir alle nur ein ganz kleiner Part in dem ganz großen."

    Susan Levermann hat diese Revolution schon hinter sich. Die 39-jährige, leicht rundliche Frau, trägt blonden Pagenschnitt, gemusterte Bluse, Jeans, lacht gerne und viel, während sie von ihrer persönlichen Totalverwandlung vor fünf Jahren erzählt. Damals, im Jahr 2008, wurde sie als Managerin des besten Deutschland-Aktienfonds ausgezeichnet. Der Festakt fand in der Frankfurter Oper statt – in Anwesenheit der Crème de la Crème der Finanzwelt. Am nächsten Tag kündigte sie.

    "Es hatte schon einen gewissen Vorläufer. Ich war schon etwas länger etwas unzufrieden in dem Job. Aber das war der Gipfel zu sagen, ja, jetzt kriegst du einen Preis, von dem du nie gedacht hast, dass du es schaffst, und jetzt hast du es geschafft und kannst dich überhaupt nicht freuen. Das war für mich das i-Tüpfelchen zu sagen: Irgendwas läuft hier falsch, und du musst hier raus."

    Die damals 34-Jährige galt als Jungstar der Finanzwelt. Sie hatte ein eigenes Computermodell zur Bewertung von Aktien entwickelt. Als Fondsmanagerin verwaltete sie ein Vermögen von zwei Milliarden Euro. Sie selbst verdiente in wenige Jahren Hunderttausende. Trotzdem empfand Levermann das als zu wenig.

    "Also, ich finde das Phänomen Gier sehr interessant, weil Gier kennt ja kein genug. Mir ist es irgendwann mal so gegangen, als ich mit meinem Chef über meinen Bonus verhandelt habe, und irgendwie gesagt habe, dass ist einfach nicht genug, was du mir hier bietest. Und dann hat er mich so angeguckt und gesagt: Was ist denn genug? Und dann dachte ich so: Ja, was ist eigentlich genug?"

    Dieses ‚Genug’ herauszufinden, scheint in der Welt der Finanzjongleure und Unternehmensvorstände gar nicht so einfach zu sein. Auch das geht aus der bereits erwähnten Studie hervor. Deutsche Topmanager verdienten im vergangenen Jahr im Schnitt gut fünf Millionen Euro – im Vergleich zu ihren Kollegen in den USA jedoch wenig, deren Vergütung bei durchschnittlich 13,3 Millionen Euro lag. Nur ein deutscher Manager konnte diese Zahl 2012 toppen: VW-Chef Martin Winterkorn mit 14,5 Millionen Euro. Das ist das 300-fache eines durchschnittlichen Industriearbeiters.

    "Man vergisst ein bisschen, wo man lebt, weil es ist auch eine gut abgeschottete Welt. Sie sitzen in ihrem schicken Großraumbüro, fahren ein kleines Cabriolet und gehen halt in Viersternerestaurants essen oder so was. Und man kriegt dadurch gar nicht so mit, dass es noch eine andere Welt gibt. Ich glaube, man stellt sich die Frage gar nicht, ist es fair, dass ich jetzt mehrere hunderttausend Euro verdiene, und dann gehe ich auf die Straße und dann putzt mir jemand für drei Euro die Schuhe. Ist das fair? Ich glaube, die Frage stellt man sich einfach nicht."

    Susan Levermann hat sich diese Frage gestellt und die Konsequenzen gezogen. Heute arbeitet die 39jährige als Deutschlandchefin der Nichtregierungsorganisation "Carbon Disclosure Project", kurz CDP. Die in London gegründete Initiative kämpft gegen den Klimawandel und dafür, dass Unternehmen ihre Umweltdaten wie den CO2-Ausstoß veröffentlichen. CDP analysiert und bewertet diese Daten und stellt sie dann Investoren zur Verfügung mit dem Ziel, dass Anleger diese einbeziehen in ihre Investitionsentscheidung. Dass ihr jetziger Arbeitgeber eine Nichtregierungsorganisation ist, die von Sponsoren und Projektgeldern lebt, war ihr sehr wichtig.

    "Es gibt Systeme, es gibt Zwänge, es gibt Anreize, aber am Ende des Tages ist es immer das Individuum, das handelt. Es ist vielleicht eine harte Erkenntnis, und das klingt vielleicht ein bisschen brutal, aber es ist einfach ein Fakt. Man sollte sich immer bewusst machen als Mensch: Du hast immer eine Wahl, auch wenn es manchmal eine Scheißwahl ist, aber du hast eine."

    Egal mit wem man sich derzeit unterhält, Millionenboni auf der einen Seite, 3,50 Euro Stundenlohn im Niedriglohnsektor auf der anderen Seite - empfinden viele als ungerecht, selbst Ludger Ramme, Hauptgeschäftsführer des sogenannten Führungskräfteverbandes. Seine Organisation vertritt um die 54.000 Manager der mittleren und höheren Ebene; Manager, die zwischen 50.000 und 180.000 Euro jährlich verdienen. In der Regel würden seine Leute mit den Topverdienern in einen Topf geworfen, erzählt Ramme. Dabei habe sich sein Verband schon vor Jahren gegen das einseitige Renditedenken ausgesprochen.

    "Wir haben schon vor 15 Jahren eine Broschüre herausgegeben zum Thema shareholder value versus stakeholder value. Das sind jetzt englische Worte, für das, dass nicht der Tanz ums Goldene Kalb – Aktionärsausschüttung und Umsatz - ein Unternehmen richtig beschreibt in seinem Beitrag zur Gesellschaft."

    Sondern – auch andere Fragen wichtig seien. Für Ludger Ramme zählen beispielsweise gesicherte Arbeitsplätze, Leistungsgerechtigkeit oder die Generationenfrage dazu.

    "Da muss es etwas anders werden, und da muss wieder mehr darauf geachtet werden, dass die Wirtschaft für die Menschen da ist und nicht die Menschen für die Wirtschaft da sind. Und das muss an den Eliteuniversitäten, wo Führungsnachwuchskräfte ausgebildet werden, unbedingt mit zum Basispensum gehören, dass diese ethische Komponente – wozu wirtschaften wir überhaupt, und wer soll am Ende profitieren – dass das stärker in den Fokus gerückt wird."

    Von fairen Löhnen und Gehältern, auch von leistungsgerechter Entlohnung wird im Bundestagswahlkampf viel die Rede sein. Jüngst hat der Koalitionsausschuss von CDU, CSU und FDP beschlossen, dass – ähnlich wie in der Schweiz - künftig nicht mehr der Aufsichtsrat, sondern die Aktionäre von Unternehmen über die Höhe der Vergütung von Vorständen entscheiden sollen. Bis zur Sommerpause soll der Bundestag eine entsprechende Änderung des Aktienrechts verabschieden.


    Alle Beiträge der Serie "Vom großen Wort Gerechtigkeit" im Überblick.