Dienstag, 23. April 2024

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Finanzierung des Wiederaufbaus nach dem Hochwasser

Probst: 70 Millionen Euro als Soforthilfe wie eben gehört und beim Treffen zwischen Verkehrsminister Bodewig und den Vertretern der Länder vereinbart. Noch diese Woche die ersten Auszahlungen, am Freitag genauer gesagt. Die Modalitäten sollen dann vor Ort auf unteren Ebenen geregelt werden. Michael Czupalla ist Landrat im Kreis Delitzsch in Sachsen, guten Tag Herr Czupalla.

28.08.2002
    Czupalla: Ein recht schönen guten Tag, Herr Probst, einen schönen Gruß nach Köln.

    Probst: Ich grüße sie zurück. Wo genau in Sachsen ist der Kreis Delitzsch?

    Czupalla: In Nordwestsachsen, genau an der Grenze zum Anhaltinischen, nördlich von Leipzig.

    Probst: Und wie schwer von der Flutkatastrophe betroffen?

    Czupalla: Ja, Herr Probst, ich kann vielleicht folgendes sagen: 15 bis 20 Prozent der Infrastruktur des Landkreis Delitzsch sind nicht mehr zu gebrauchen. 5000 Familien haben in wenigen Stunden alles verloren, haben nichts mehr. Wir haben erhebliche Schäden an der Infrastruktur, an Gebäuden, Schulen, Krankenhäusern, im privaten Bereich. Wir können Bereiche nicht mehr erreichen, weil einfache kommunale- und Bundesstraßen weggespült wurden. Also stehen wir vor einer gewaltigen Aufgabe. Lassen Sie mich aber eines sagen, da ich die Chance habe, in Ihrem Sender ein Interview zu geben: An erster Stelle möchte ich mich bei vielen Bürgern der Bundesrepublik bedanken. Aus ganz Deutschland, sowohl von Verwaltungen, aus Hilfsorganisationen, aus Vereinen kam Hilfe nach Delitzsch. Ein herzliches Dankeschön. Und wenn Sie es mir gestatten, ein besonderes Dankeschön an den Landkreis Schwäbisch-Hall, an die Stadt Crailsheim, unseren Partnerkreis, die sofort zur Stelle waren.

    Probst: Herr Czupalla, zum Konkreten: 70 Millionen Euro, die Zahl habe ich eben genannt, wenn das vom Bund über das Land auf den Kreis und die lokale Ebene geht, haben Sie eine ungefähre Ahnung, wie viel da für Ihren Landkreis kommen wird?

    Czupalla: Das ist momentan ein großes Thema. Es gibt wenig Verständnis von Seiten der kommunalen Politik, dass wir immer noch über soziale Hilfsfonds sprechen. Wir brauchen im Prinzip die Mittel sofort. Wir haben im Landkreis Delitzsch im Prinzip seit gestern den Katastrophenalarm zurückgenommen, sind nun bei den Bauarbeiten. Wir haben erhebliche Probleme im Mittelstand, im Handwerk und im Dienstleistungsbereich. Die Rücklagen dieser Unternehmen sind fast null, sie sind alle hoch verschuldet und wir brauchen Sofortmaßnahmen, damit nicht in Größenordnungen Arbeitsplätze verloren gehen und die Existenzen nicht gefährdet sind. Das ist meine größte Sorge.

    Probst: Heißt das dann, Herr Czupalla, dass bislang überhaupt kein Geld geflossen ist? Es gab ja schon mal diese Soforthilfe auf die die Bürger Anspruch haben sollten, wenn sie ein entsprechendes Formular bei ihrer kommunalen Verwaltung ausgefüllt haben, das dann auch auf Landesebene schnell und unbürokratisch beantwortet und bearbeitet werden sollte?

    Czupalla: Das läuft unbürokratisch. Ungefähr 1500 Anträge sind gestellt worden. Für die entsprechenden Maßnahmen selber. Es sind beim Landkreis vom Freistaat Sachsen als Soforthilfe 1,9 Millionen Euro und vom Bund 1,4 Millionen Euro eingegangen. Aber wenn ich Ihnen alleine sage, dass ich Schäden an öffentlichen Gebäuden, wozu ich Schulen oder Krankenhäuser zähle, von rund 15 Millionen Euro habe, dass ich ein Pflegeheim, das jetzt auch abgerissen wird, vollkommen evakuieren musste, dass wir alleine in der Problematik des Straßennetzes um die sieben Millionen Euro Schäden haben werden und dass wir in der Regel circa fünf bis sieben Millionen aufbringen müssen, um sofort 17 Dammbrüche im Landreis zu schließen, damit bei erneuten starken Regenfällen nicht wieder vor dem gleichen Problem stehen und dass ungefähr 250 bis 300 Unternehmen mit einer Schadenssumme von circa 30 Millionen Euro zu Buche stehen, dann zeige ich Ihnen nur mal das Szenario auf, wo wir uns momentan befinden.

    Probst: Die Diskussion über die Größenordnung, Herr Czupalla, es ist ja jetzt die Rede von rund 10 Milliarden, die aus dem Topf der verschobenen Steuerreform kommen soll, und was dann mit den Bundesbankgewinnen nach der Wahl passiert, ist auch noch eine andere Sache. Aber es ist schon Geld geflossen. Funktioniert denn die Zuteilung reibungslos?

    Czupalla: Die Verteilung funktioniert reibungslos, die ging bei uns auch am Wochenende quer durch, und ich sage mal, es werden die ersten Aufträge auch von diesem Geld vor allen Dingen erteilt, dass wir den Schulbetrieb wieder hinbekommen. Im Landkreis Delitzsch haben wir, eine Behindertenschule ausgenommen, wieder Schulbetrieb und wir werden das erste Geld natürlich in diese Gebäude stecken, damit wir die öffentliche Infrastruktur wieder einigermaßen herstellen können. Das ist richtig. Was natürlich unverständlich in dieser Form ist, dass man sich in der großen Politik nicht zusammenfindet und sagt: Wir sind nach wie vor eines der reichsten Länder dieser Erde, wir wissen ungefähr von welcher Größenordnung wir reden, 10 oder 15 Milliarden, und wir wissen auch, was das prozentual am Gesamthaushalt ausmacht, das sind unter zwei Prozent, wir stellen das Geld jetzt erst mal zur Verfügung, damit es einen gewaltigen Schub gibt. Lippenbekenntnisse können die Leute nicht mehr hören. Auch wenn der Kanzler diese Woche in Sachsen-Anhalt verkündet hat, dass es den Betroffenen nach der Flut nicht schlechter gehen wird als zuvor, dann sind die Instrumentarien noch nicht da. Und wenn nicht sofort zu den Töpfen gegriffen werden kann, ist das für die Leute unglaubwürdig, und ich glaube, das müsste machbar sein.

    Probst: Es hat ja, Herr Czupalla, nicht nur diese Lippenbekenntnisse gegeben: Sie haben ja selber eben den zahlreichen Hilfsangeboten und Spenden gedankt. Da sind ja auch Millionen in die verschiedenen Töpfe gegangen und die sollen, hört man aus Berlin, mit diesen Soforthilfen verzahnt und vor Ort zugeteilt werden. Ist das aus Ihrer Sicht eine gute Idee?

    Czupalla: Wir wollen das jetzt anders machen. Gleich um 13 Uhr habe ich die Kirchen und die großen Wohlfahrtsverbände eingeladen. Wir haben ein Spendenkonto und haben eine ganze Menge Sachspenden bekommen und ich sage, das ist richtig, auch an Manpower, und wir müssen uns jetzt gemeinsam darüber verständigen, wie wir nach einer entsprechenden Liste diese Gelder aufteilen. Aber trotzdem sind das zwei verschiedene Ansichten. Für alles andere, damit das öffentliche Leben wieder hergestellt werden kann, gehen die Kommunen und der Landkreis auch für die gesamten Aufbauarbeiten voll ins Risiko und voll in Kasse. Alles was bisher abgelaufen ist - trotz der ungefähr insgesamt 3,5 Millionen Euro, die ich bisher bekommen habe -, ist in der Phase des Katastrophenschutzes - und wir hatten 14 Tage Katastrophenalarm - voll in Vorkasse gegangen. Wie es um die Haushalte der Kreise und Städte auch vor der Katastrophe stand, ist Ihnen ja ebenfalls bekannt.

    Probst: Herr Czupalla, ich danke Ihnen für das Gespräch. Das war Michael Czupalla, Landrat des Kreises Delitzsch in Sachsen.

    Czupalla: Auf Wiederhören.