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Finanzkräftige Ruheständler für Portugal

In der Schuldenkrise suchen die betroffenen Länder nach neuen Wegen, wie Geld in die Kassen gespült werden kann. Eine Idee der portugiesischen Regierung ist es, dass in Zukunft mehr wohlhabende Nord- und Mitteleuropäer ihren Lebensabend in Portugal verbringen. "Ruhestand in der Sonne" heißt das Programm, mit dem das Land zum europäischen Florida werden will.

Von Tilo Wagner | 19.10.2011
    Karl Richter blickt aus seinem Wohnzimmerfenster. Die Abendsonne wirft ihr weiches Licht auf das immergrüne Küstengebirge von Sintra, nur hier und da durchbrechen Schlösser und Parkanlagen die dichte Waldfläche. Das malerisch gelegene Grundstück hat der 78-jährige ehemalige Arzt bereits in den 1980er Jahren erworben. Nach seiner Pensionierung verbringt Richter einen großen Teil seines Lebens in dem Ferienhaus rund 40 km vor den Toren von Lissabon. An Portugal reizt ihn jedoch nicht nur die landschaftliche Schönheit und das angenehme Klima:

    "Eine individuelle Freiheit kann ich hier genießen, die von den anderen respektiert wird, also von der einheimischen Bevölkerung. Na gut, ich falle nicht irgendwie dem Sozialsystem von Portugal zu Last, sondern das Gegenteil ist der Fall, ich zahle ja auch meine Mehrwertsteuer, Grundsteuer. Das ist, wenn ich ins Geschäft gehe, diese Freundlichkeit, die mir da entgegenschlägt, das ist das, was ich daran wirklich schätze."

    Wenn es nach dem Willen der portugiesischen Regierung ginge, dann sollen in Zukunft mehr wohlhabende Nord- und Mitteleuropäer wie Karl Richter ihren Lebensabend in Portugal verbringen. Dazu wurde ein eigenes Programm aufgelegt, "Ruhestand in der Sonne" heißt es, die Details sollen in den kommenden Monaten veröffentlicht werden. Während die Regierung damit beschäftigt ist, mehr finanzkräftige Senioren nach Portugal zu locken, gibt es zugleich eine starke Bewegung in die entgegengesetzte Richtung. Fällt doch die Initiative in eine Zeit, in der immer mehr junge, gut qualifizierte, aber arbeitslose Portugiesen ihr Land verlassen, um in London, Paris oder München eine Stelle zu suchen. Der Politikanalyst Pedro Adão e Silva hält diese Migrationsströme innerhalb Europas jedoch für unbedenklich, ja sogar für positiv:

    "Europa braucht mobilere Menschen, und auch mobilere Fachkräfte. Das ist das, was mit wirtschaftlicher Integration gemeint ist. Das Vorbild sind die USA, wo Migration zwischen den Staaten kein Problem ist. Es ist doch völlig normal, wenn ein Portugiese nach London geht, weil er hier zurzeit keinen Job findet. Denn die Leute kommen ja auch wieder zurück."

    Der Zustrom von Rentnern aus Nordeuropa wiederum ist keine neue Entwicklung. Zehntausende Engländer, Deutsche und Skandinavier haben in den vergangenen Jahrzehnten auch ohne staatliches Anreizprogramm ihr Feriendomizil in Portugal gebaut. Diesen Trend will das Wirtschaftsministerium nun noch verstärken. Portugal soll zum europäischen Florida werden, die Renten älterer Europäer größtenteils in Portugal ausgegeben werden.
    Schwierigkeiten dürfte dabei allerdings der harte Sparkurs bereiten, mit dem die Regierung die Staatsschulden in den Griff bekommen will. So wurde der Etat des Gesundheitsministeriums um 11 Prozent gekürzt – nicht gerade ein positives Signal an ältere Menschen mit gesundheitlichen Problemen. Schon jetzt bemerkt der pensionierte Arzt Karl Richter Engpässe im überstrapazierten staatlichen Gesundheitssystem:

    "Wenn Sie eine normale Krankheit haben, oder nicht geklärte Krankheit, wenn Sie Beschwerden haben, und es ist nicht geklärt, woher die kommen, diese Klärung nimmt unverhältnismäßig viel Zeit in Anspruch in meinen Augen durch ein ineffizientes Gesundheitssystem."

    Auch Adão e Silva warnt, dass die zu erwartende Verschlechterung im portugiesischen Gesundheitssystem Rentner aus Nord- und Mitteleuropa abschrecken könnte:

    "Wenn ein wohlhabender Bürger aus Nordeuropa darüber nachdenkt, Teil seines Lebens im südlichen Europa zu verbringen, dann erwartet er nicht nur schöne Golfplätze. Er will wissen, dass es gute Krankenhäuser gibt für den Fall, dass ihm etwas zustößt. Die Sparmaßnahmen im öffentlichen Gesundheitssektor bedrohen deshalb indirekt auch den Erfolg des Programms."

    Auch die angekündigten Privatisierungen der Flughäfen und der Fluggesellschaft TAP könnten das Programm "Ruhestand in der Sonne" beeinträchtigen. Internationale Unternehmen könnten dann die bisherigen Staatsbetriebe aufkaufen. Sollten die kein Interesse an direkten Flugrouten zwischen Nord- und Mitteleuropa und Portugal haben, würde das Reiseziel im äußersten Südwesten Europas zusätzlich leiden.

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