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Berliner Festival
Nur wenig wirklich Neues bei "Tanz im August"

Das Internationale Festival "Tanz im August" ist das herausragende Ereignis für Tanz in Berlin. Es geht um die Tanzhistorie, aber auch um aktuelle Strömungen. Bei der diesjährigen Ausgabe war aber nur wenig wirklich Neues zu sehen - mit einer Ausnahme.

Von Elisabeth Nehring | 30.08.2019
eine Projektion einer Frau dir tanz auf einer transparenten Leinwand. Sie beugt sich vorne über. Der gesamte dunkle Raum ist mit großen Leinwänden behangen auf denen tanzende Menschen zu sehen sind. Zuschauer stehen drum her rum uns schauen den projezierten TänzerInnen zu
Installation von Deborah Hay auf dem Festival "Tanz im August" (HAU/ Dajana Lothert)
Selten war so viel Tanzhistorie wie heute. Die Hinwendung zeitgenössischer Choreografinnen und Choreografen zur Vergangenheit der eigenen Kunstform als Akt der Selbstvergewisserung dauert nun schon einige Jahre. Und sie trägt Früchte in Form immer neuer Rekonstruktionen und performativer Annäherungen an Werke, die Geschichte geschrieben haben.
Deborah Hay interessiert das Nicht-Vorhersehbare
Auch die großen Festivals hat diese Welle erreicht – beim Internationalen Tanzfestival Tanz im August zeigt Leiterin Virve Sutinen fast jedes Jahr eine Retrospektive. In diesem Jahr wurde diese Aufmerksamkeit der amerikanischen Choreografin Deborah Hay zuteil, die neben ihren zu verschiedenen Zeiten entstandenen Produktionen auch Uraufführungen präsentierte. Hays jahrzehntelange Vorliebe, mit nicht-professionellen Tänzern zu arbeiten, ist zwar in den letzten Jahren der Entscheidung für Profis gewichen, aber ihre Argumente – niedergeschrieben in zahlreichen Briefen und Schriften, die ebenfalls beim Festival ausgestellt wurden – sind noch immer höchst aktuell: das Nicht-Vorhersehbare interessiere sie an der Arbeit mit Laien. "Unknown, untrained, unpredictable and unspoiled" – also "unbekannt, untrainiert, nicht vorhersehbar und unverdorben" - brachte Hay ihre künstlerischen Prämissen schon in den siebziger Jahren auf den Punkt.
Wie frisch und überraschend die Vergangenheit im Tanz sein kann, bewies auch der Jubiläumsabend zum 100. Geburtstag von Merce Cunningham. Das Ballet de Lorraine zeigte mit "Soundance" und "RainForest" zwei Klassiker des post modern dance - großartig komponiert und mitreißend getanzt von den jungen Tänzerinnen und Tänzern des Ballet de Lorraine, die über jede auratische Heiligkeit des big names-Gestirn hinwegfegten und bewiesen, dass erst die Verbundenheit mit dem tänzerischen Material ein Tanzwerk zum Leben erweckt.
Unterhaltsame und herausfordernde Produktionen
Neben der Tanzgeschichte will Festivalchefin Virve Sutinen bei Tanz im August immer auch den breiten Bogen zwischen der Präsentation aktueller Strömungen und der Attraktivität des Festivals für ein breites Publikum schlagen. Unterhaltsames, hochvirtuoses Tanzkauderwelsch aus Korea steht daher neben stillen, den Zuschauer durchaus herausfordernden Produktionen wie WO CO aus Japan, die die Tänzer über eineinhalb lange Stunden als posthumane Wesen zeigt. Trotz einiger unterirdischer Ausreißer tut diese Mischung einem großen Publikumsfestival wie Tanz im August gut, auch wenn es dabei bei dieser Ausgabe wenig wirklich Neues zu sehen gab.
Die Ausnahme: eine junge Choreografin aus Irland. Oona Doherty brachte das Kunststück hervor, auch mit einem choreografisch noch nicht ganz ausgereiften Werk zu begeistern. Die junge Irin führt in ‚Hard to be soft – a Belfast Prayer’ auf die Straßen ihrer Heimatstadt. Mit der eigenen, weiblichen Physis verkörpert sie die Virilität und matcho-haften und zugleich jede Verunsicherung überspielenden Gesten der Belfaster Straßengangs und löst deren Härte mit jeder Muskelfaser in eine große Weichheit, ein tänzerisches Release auf. Wie sie damit der Realität ihr Material abschaut und zu Tanz transformiert, ist außergewöhnlich und – um noch einmal auf den Anfang zu kommen – unerwartet und unbekannt.