Gynäkologie

Frauenkrankheiten werden weniger ernst genommen

05:33 Minuten
Eine Ärztin führt einen Ultraschall bei einer Schwangeren durch.
In der Gynäkologie bleibt die Entwicklung neuer Therapien in manchen Bereichen auf der Strecke, sagen Kritiker. © Imago / agefotostock
Von Pia Masurczak · 05.11.2020
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Sexualität, Schwangerschaft, Wechseljahre: Kaum ein Bereich der Medizin berührt so viele sensible Themen wie die Gynäkologie. Doch gesellschaftliche Tabus und mangelhafte Ausbildung führen zu Behandlungslücken.
Das Netzwerk "Doctors for Choice" wollte nicht länger warten: Anstatt auf die Ausbildung in den Kliniken zu setzen, bietet die Initiative seit August selbst eine zertifizierte Weiterbildung für Schwangerschaftsabbrüche an. Mehr Fachwissen sei bei dem Thema unbedingt nötig, sagt Alicia Baier vom Netzwerk. Denn auch wegen der gesellschaftlichen Stigmatisierung würden hier ohne Not veraltete Methoden angewendet:
"In der gynäkologischen Musterweiterbildungsordnung stehen bisher die medikamentöse Methode für Schwangerschaftsabbruch und Fehlgeburten und auch die Vakuumaspiration nicht drin. Und die Vakuumaspiration ist eben die sicherste und modernste Methode im chirurgischen Bereich für Fehlgeburt und Schwangerschaftsabbrüche."

Es fehlt an Expertise

Diesen Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Tabus und Lücken in der gynäkologischen Versorgung sieht auch Adrian Hector von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität. Wer beispielsweise als Transmann eine gynäkologische Behandlung benötige, treffe oft auf fehlende Expertise:
"Wenn man als Transmann zum Arzt geht, möchte man da ja auf jemanden treffen, der mehr Ahnung hat als man selbst und den Arzt nicht erst noch aufklären müssen."
Welche Folgen das für die Gesundheit haben kann, macht Hector am Beispiel Brustkrebsvorsorge deutlich. Die ist für Transmänner auch nach einer Transition wichtig:
"Da wird ja im Grunde bei einer guten OP das ganze Gewebe entfernt, wo sich Krebs bilden könnte. Aber es können immer noch Reste dableiben. Und deswegen ist es wichtig, dass man trotzdem weiter zur Kontrolle geht."
Mehr Tabus gleich schlechtere Ausbildung? Diese Erklärung greift zu kurz, sagt Achim Rody von der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Zwar sieht auch er die Kliniken in der Pflicht, den angehenden Ärztinnen und Ärzten das nötige Fachwissen nicht nur theoretisch zu vermitteln. Allerdings hätten Gynäkologinnen und Gynäkologen während der Ausbildung in den Krankenhäusern andere Aufgaben als später in der Niederlassung.
"Wir haben in den Kliniken einen operativen Schwerpunkt und das führt dazu, dass natürlich in den Sprechstunden unter Umständen lediglich Patienten sich vorstellen, die eine Operationsindikation haben. Die konservative Therapie ist eine Domäne des niedergelassenen Bereiches."
Konservativ – also mit Medikamenten und nicht mit einer Operation – werden in der Regel Themen wie Menstruationsbeschwerden, Probleme in den Wechseljahren oder Verhütungsfragen behandelt. Sie tauchen im Klinikalltag nur selten auf. Was für niedergelassene Gynäkologinnen und Gynäkologen alltägliche Behandlungen sind, kann also nur zum Teil in den Lehrkrankenhäusern vermittelt werden.

Viele endokrinologische Abteilungen wurden geschlossen

Besonders schwierig ist die Lage derzeit in der gynäkologischen Endokrinologie, also in der Diagnose und Behandlung von hormonellen Störungen. Dabei wird gerade hier wichtiges Fachwissen für die gängigsten gynäkologischen Behandlungen vermittelt, sagt die Endokrinologin Julia Bartley:
"Es sind in Deutschland die niedergelassenen Gynäkologen, die die Frauen beraten bei Blutungsstörungen, zur Verhütung und Hormontherapie in den Wechseljahren, die Hinweise erkennen müssen, ob Hormonstörungen mit Langzeitfolgen verbunden sind. Ein holistisches Verständnis, denke ich, gynäkologischer Erkrankungen ist ohne Kenntnis der Endokrinologie schlicht nicht möglich."
Nachdem an vielen Krankenhäusern die endokrinologischen Abteilungen in den letzten Jahren geschlossen wurden, sieht auch Achim Rody die Weiterbildung in diesem Fachbereich gefährdet:
"Das ist ein Fachbereich, der im Laufe der Jahre aus den Kliniken abgewandert ist und ganz fest in die Niederlassungen gegangen ist. Da gibt es Schwerpunktpraxen, die das anbieten, die natürlich unter hohen ökonomischen Zwängen arbeiten und wo dann vorzugsweise eine Ausbildung nur untergeordnet stattfindet. Das heißt, Assistenzärzte haben keine Möglichkeiten, dort hinein zu 'rotieren'."

Entwicklung neuer Therapien bleibt auf der Strecke

In den Praxen steht zudem die Behandlung und nicht die Forschung im Vordergrund. Deshalb bleibt die Entwicklung von neuen Therapien selbst bei weitverbreiteten Krankheiten wie Endometriose auf der Strecke.
"Im niedergelassenen Bereich gibt es vielleicht einige klinische Studien, die noch mitbetreut werden. Aber ernstzunehmende Grundlagenforschung wird schon lange nicht mehr betrieben."
Ausschlaggebend sind dabei auch finanzielle Fragen. In eigenen Praxen lässt sich oft mehr Geld verdienen als in Krankenhäusern – und auch Kliniken müssen darauf achten, gewinnbringend zu arbeiten. Alicia Baier von "Doctors for Choice" erklärt das Problem am Beispiel Schwangerschaftsabbruch:
"Momentan ist es ja zum Teil so, dass manche Krankenhäuser sich gar keine Absauggeräte anschaffen, weil sie sagen, das rechnet sich jetzt nicht für uns. Wenn es da jetzt finanzielle Anreize gäbe, dass das zum Beispiel besser vergütet wird, wenn man eine Vakuumaspiration macht als eine Ausschabung, dann würde es vielleicht dazu führen, dass dann mehr entsprechende Geräte angeschafft werden."

Schwangerschaftsabbrüche sind nach wie vor ein Politikum

In Sicht sind solche Anreize freilich nicht. Schwangerschaftsabbruch ist nach wie vor ein Politikum – und die Forderung, diesen Eingriff für Frauen unkomplizierter zu machen, stößt gerade in jüngster Zeit wieder vermehrt auf Widerspruch.
"Hier spielt sicher aber auch eine fehlende Wertschätzung von Frauenleiden eine Rolle", sagt Julia Bartley – und zwar nicht nur bei tabuisierten Behandlungen wie dem Schwangerschaftsabbruch, sondern ganz grundsätzlich:
"Regelschmerzen werden oft als Bagatelle abgestempelt, selbst wenn sie sehr hohen Krankheitswert haben für die Frauen."
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