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Finanzskandal erschüttert die Evangelische Kirche

Wenn es darum geht, ethische Unternehmensführung einzufordern, dann ist die Evangelische Kirche vorn dabei. Nun muss sich die Kirche fragen lassen, wie ernst sie die eigenen Grundsätze nimmt: Sie soll eine Tochtergesellschaft mit 20 Millionen Euro retten, da diese sich verzockt hat.

Von Rainer Brandes | 07.12.2011
    20 Millionen Euro muss die rheinische Landeskirche in die Hand nehmen, um ihr Unternehmen bbz GmbH im pfälzischen Bad Dürkheim vor der sofortigen Pleite zu bewahren. Das ist wahrlich kein Pappenstiel und so beeilt sich der Sprecher der Evangelischen Kirche im Rheinland, Jens Peter Iven, zu betonen, dass das Geld nicht aus dem laufenden Haushalt komme, sondern aus einer Rücklage. So werde sichergestellt, dass keine Gemeinde auf bereits eingeplante Haushaltsmittel verzichten müsse. Trotzdem: Peinlich ist der Vorfall für die Kirche schon, das gibt ihr Sprecher unumwunden zu:

    "Das Geld stammt aus der sogenannten Ausgleichsrücklage auf landeskirchlicher Ebene, das ist eine Art Sparbuch, sag ich mal untechnisch, also eigentlich eine Rücklage für schlechte Zeiten. Ja, sie ist ganz gewiss nicht dazu gedacht, eine Rücklage für solche Fälle zu sein. Und wir sagen sehr deutlich: Das ist bitter, dass das Geld, das uns ja treuhänderisch anvertraut worden ist – die Kirchensteuern gehören uns nicht, unsere Mitglieder geben uns das Geld, damit wir damit ordentliche Arbeit machen, damit wir ordentlich auch damit umgehen – dass da Gelder auf diese Art und Weise jetzt eingesetzt werden müssen."

    Die kircheneigene Beihilfe- und Bezüge-Zentrum GmbH (bbz) scheint in den vergangenen vier Jahren weniger ordentlich mit Geld umgegangen zu sein. Sie ist hauptsächlich für die Bearbeitung von Beihilfeansprüchen von Kirchenbeschäftigten zuständig. Als privatwirtschaftliches Unternehmen hat sie aber auch weitere Kunden. Dazu gehören öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten genauso wie Kommunen und Kreishandwerkerschaften. Das Geld dieser Kunden hat das bbz auf dem Kapitalmarkt angelegt. Das ist ein übliches Verfahren. Nicht üblich aber ist das Anlagemodell, das die Firma gewählt hat. Einzelheiten darf Kirchensprecher Jens Peter Iven aus ermittlungstaktischen Gründen nicht nennen, nur so viel:

    "Die Firma macht Verluste. Diese Verluste auszugleichen, muss natürlich jeder Geschäftsführer bemüht sein. Nun hat aber der – sag ich mal – normale Kapitalmarkt offensichtlich nicht mehr das hergegeben, was er hergeben sollte. Und auf der Suche nach einer anderen Anlageform ist hier offensichtlich die Geschäftsführung bei einer Anlageform fündig geworden, die nun gar nicht unserer eigentlichen Norm entspricht, die durch und durch extra-ordinär ist und mit der man jetzt offensichtlich Schiffbruch erlitten hat."

    Im Klartext: Die Gesellschaft hat sich bei einer unseriösen Geldanlage verzockt. Damit das nicht auffiel, hat die Geschäftsführung seit 2007 die Bilanzen geschönt. Aufgeflogen ist der Schwindel erst, als im Sommer dieses Jahres die Geschäftsführung nicht weiter wusste und die Kirchenleitung informierte. Nun hat die Landeskirche Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Kapitalanlagebetrug gestellt. Warum dem Finanzchef der rheinischen Landeskirche, Georg Immel, all die Jahre nichts auffiel, ist unklar. Immerhin saß Immel bis Anfang Oktober im Aufsichtsrat des bbz. Diesen Posten musste er jetzt für den Justiziar und Vizepräsidenten der Rheinischen Landeskirche, Christian Drägert, räumen. Ob damit aber der Vertrauensverlust in die Kirche abgewendet werden kann, ist fraglich. Der evangelische Theologie-Professor Traugott Jähnichen lehrt an der Ruhr-Universität Bochum und beschäftigt sich mit Wirtschaftsethik. Für ihn ist es zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung ein Unterschied, ob ein solcher Finanzskandal in irgendeinem Unternehmen vorkommt oder aber in der Kirche.

    "In moralischer Hinsicht ist es sicherlich grundsätzlich so, dass für kirchliche Institutionen und andere Unternehmen oder Privatpersonen eigentlich die selbe Moral gilt, wobei Kirche eben immer sich völlig darüber Rechenschaft abgeben muss, dass man gerade im Blick auf dieses sensible Geschäft und der sensiblen Umgangsweise mit Geld in besonderer Weise eben den eigenen Kriterien gerecht werden muss, und dies muss nachhaltig durchgesetzt werden."

    Dies sei umso wichtiger, als sich die Kirche ja nicht aus der Welt zurückziehen könne. Sie sei darauf angewiesen, am Kapitalmarkt Gelder anzulegen, um Pensionen, Gehälter und Beihilfeansprüche bezahlen zu können. Inzwischen hat sich auch die rheinische Landeskirche verbindliche ethische Regeln gegeben, wie sie ihre Gelder anlegen darf. Im Jahr 2007, als das bbz die zweifelhafte Anlage wählte, waren diese Regeln zwar noch nicht in Kraft. In der Folgezeit hätte die kirchliche Aufsicht aber versagt, kritisiert Traugott Jähnichen.

    "Also, ich denke, das ist ein eklatanter Fall von Versagen der kirchlichen Aufsicht, dass bestimmte Akteure im Bereich der Kirche immer wieder auch gegen geltendes Recht im Extremfall, oder auch gegen moralische Vorstellungen verstoßen, und da sind dann auch eben kirchliche Aufsichtspersonen, die sich sehr stark in Frage stellen müssen."

    Der Wirtschaftsethiker geht sogar noch einen Schritt weiter. Für ihn ist klar: Die Kirche muss sich fragen, inwieweit sie überhaupt unternehmerisch tätig werden sollte. Ist es wirklich notwendig, dass ein kirchliches Unternehmen zum Dienstleister wird, das für andere Institutionen die Personalabrechnungen bearbeitet?

    "Das war vielleicht schon der erste Schritt, der problematisch war, dass man dann eine eigene Gesellschaft gegründet hat, die dies alles organisiert. dadurch ist man natürlich stärker aus den kircheninternen Zusammenhängen und vielleicht auch Aufsichtsmöglichkeiten hinausgegangen. Inwieweit es ein Problem ist, dass man sozusagen über den eigenen Kernbereich dort wirtschaftlich aktiv geworden ist, wird man sicherlich diskutieren müssen."

    Diese Diskussion führt inzwischen auch die Evangelische Kirche im Rheinland. Noch ist nichts entschieden, doch tatsächlich könnten die Vorfälle dazu führen, dass sich die Kirche von dieser Art der wirtschaftlichen Betätigung trennt. Sprecher Jens Peter Iven weist darauf hin, dass seine Kirche im Jahr 2000 die aus der pfälzischen Pensionskasse hervorgegangene bbz GmbH aufgekauft habe, weil die Verantwortlichen glaubten, dies sei der effizienteste Weg der Beihilfebearbeitung. Heute erscheine manches in einem anderen Licht. Jens Peter Iven:

    "Na, das ist ja wie montags nach der Bundesliga. Montags wissen immer alle, wie man besser hätte spielen sollen. So ist es hier natürlich auch. Natürlich ist auch das wieder ein Anlass, darüber nachzudenken, an welchen Stellen ist unsere wirtschaftliche Betätigung auf einem Markt sinnvoll, nötig, risikoarm, oder gibt es etwa Alternativen dazu. Das müssen wir – auch ausgehend von diesem Beispiel natürlich – neu überdenken."

    Bis Mitte nächsten Jahres gibt sich die Kirchenleitung Zeit, um diese Fragen zu klären.