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Finnland
Erster Realtest für das bedingungslose Grundeinkommen

Es war kein gutes Jahr für Finnland, denn immer noch kommt die Wirtschaft nicht auf die Beine und die Arbeitslosenquote nähert sich der Zehn-Prozent-Marke. Die Not macht erfinderisch: So lässt die Mitte-Rechts-Regierung die Möglichkeiten eines bedingungslosen Grundeinkommens testen - ein weltweit einmaliges Experiment.

Von Björn Dake | 29.12.2015
    Flaggen der EU-Länder - Finnland
    Finnland will das Grundeinkommen testen. (picture-alliance / dpa / Jp Amet)
    Jeder bekommt Geld, ob er arbeitet oder nicht. Das ist die Idee eines Grundeinkommens. Bisher kürzt der finnische Staat Arbeitslosen die Sozialleistungen, wenn sie etwas dazu verdienen. Einen Job anzunehmen, lohnt sich deshalb für viele nicht. Ob ein Grundeinkommen das ändert, kann Forscher Olli Kangas nicht sagen:
    "Wir wissen nicht, wie sich die Leute verhalten werden. Das hängt vom Menschenbild ab. Arbeit ist sehr wichtig für unser Selbstbild. In dem Fall würden wir erwarten, dass mehr Menschen eine Arbeit suchen. Wenn man aber denkt, der Mensch ist grundsätzlich faul, dann werden weniger arbeiten und es wird teurer als heute."
    Kangas arbeitet für die Sozialversicherungsbehörde. Der Professor mit Glatze und schwarzer Harry-Potter-Brille erklärt mir in der Bibliothek der Behörde, um was es in dem Experiment geht.
    "Wir haben es mit grundsätzlichen philosophischen und politischen Fragen eines Wohlfahrtsstaates zu tun. Zum Beispiel: Was hat Einkommen mit Arbeit zu tun? Wie hoch muss soziale Sicherung mindestens sein? Wer kriegt was? Wenn wir über ein Grundeinkommen diskutieren, sprechen wir über die Prinzipien unseres Wohlfahrtsstaates."
    Ortswechsel. Ich bin mit dem finnischen Wirtschaftsminister Olli Rehn verabredet. Der ehemalige EU-Kommissar befürwortet ein Grundeinkommen.
    "Ich glaube, in Zeiten der Digitalisierung und Automatisierung, wenn Einkommensunterschiede die unterschiedliche Produktivität der Arbeiterschaft spiegeln können, dann müssen wir auch im sozialen Bereiche kreativ und innovativ sein. Und Wege finden, um eklatante Einkommensunterschiede zu vermeiden."
    Ziel ist der Abbau des unübersichtlichen Sozialsystems
    Für den Politiker der Zentrumspartei geht es aber um mehr. Die Regierung will das unübersichtliche Sozialsystem aufräumen.
    "Vor allem sollten wir ein einfacheres System der sozialen Absicherung haben, das starke Anreize für Arbeit und Unternehmergeist bietet."
    Die Finnen mögen die Idee. In einer Umfrage befürworten fast 70 Prozent ein Grundeinkommen. Im Schnitt solle es bei 1.000 Euro liegen. Wie viel Geld es in dem Experiment gibt, ist noch offen. Klar ist nur: Es muss über dem bisherigen Arbeitslosengeld liegen. Das beträgt etwa 550 Euro im Monat. Zum Vergleich: Das Durchschnittseinkommen in Finnland liegt bei etwa 2.500 Euro.
    Grüne und Linke sind schon lange für ein Grundeinkommen. Aber auch unter liberalen und konservativen Politikern wächst die Zustimmung. Ihr Kalkül: Der Staat zieht sich zurück, weil er nur noch eine Sozialleistung zahlt, die Freiheit des Einzelnen wächst.
    Sozialdemokraten sind Gegner des Grundeinkommens
    Das Grundeinkommen hat aber nicht nur Fans. Vor allem die Sozialdemokraten sind skeptisch. Vermutlich fürchten sie um die Macht der Gewerkschaften. In keinem anderen Land der Welt sind so viele Beschäftigte in ihnen organisiert.
    "Ein Grund ist: Wir haben eine Arbeitslosenversicherung, die auf einem Fonds beruht. Und diese Fonds werden von Gewerkschaften betrieben. Ich glaube, Gewerkschafter denken: Wenn wir ein Grundeinkommen haben, dann gibt es keinen Grund mehr, einer Gewerkschaft beizutreten. Und dann verlieren sie an Bedeutung."
    Wenn die Politik mitmacht, kann das Experiment in einem Jahr starten und dann zwei Jahren laufen. Mindestens 10.000 Menschen sollen teilnehmen. Die Regierung lässt sich das 20 Millionen Euro kosten.
    Ob Finnland als erstes Land er Welt ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen wird, wagt Forscher Kangas nicht vorherzusagen.
    "Das hängt sehr vom Ausgang des Experiments ab und welche Parteien dann in der Regierung sind. Es ist eine politische Entscheidung. Es ist unmöglich, den Ausgang vorherzusagen."