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Finnlands Russlandpolitik
Mal hart, mal zart

"Eingeklemmt" zwischen West und Ost hat Helsinki einen eigenen Weg gefunden, um die Beziehungen zum umstrittenen Nachbarn zu pflegen. Skeptiker fühlen sich an die "Finnlandisierungs"-Debatte erinnert, die Finnen selbst verteidigen ihren "Pragmatismus". Ist der ein Vorbild für die EU?

Von Carsten Schmiester | 16.04.2018
    Finnlands Präsident Sauli Niinistö mit Wladimir Putin in Naantali 2016
    Finnlands Präsident Sauli Niinistö hält es für wichtig, dass die Kluft zwischen dem Westen und Russland nicht noch weiter aufreißt (AFP)
    "Ich halte es für wichtig, einen offenen Gesprächskanal zu haben. Weltweit ist noch kein Frieden per Telefon geschaffen worden und auch diese Situation wird so nicht gelöst."
    Finnlands Präsident Sauli Niinistö vor dreieinhalb Jahren vor seinem Abflug nach Moskau. Er wollte den russischen Kollegen Wladimir Putin treffen, obwohl die Krim-Annexion nur wenige Wochen zurücklag. Auch in Finnland gab es Kritik an der Reise, aber die war eher leise. Das Land hat eine etwa 1.300 Kilometer lange Grenze mit Russland. Nach dem Zweiten Weltkrieg behielt es trotz der unmittelbaren Nachbarschaft zum kommunistischen Sieger seine Souveränität, seine demokratische Verfassung und Marktwirtschaft, nahm von da an aber stets Rücksicht auf Moskau, auch wenn es offiziell zwischen den Blöcken neutral blieb. Kritiker der deutschen Annäherungspolitik an den Osten in den 1970er und ‘80er Jahren prägten dafür den nicht eben positiv besetzten Begriff "Finnlandisierung". Die Finnen selbst sprechen lieber von Pragmatismus, der ihnen ihre Freiheit gesichert habe. Professor Mika Kallioinen ist Historiker an der Universität Turku.
    "Russland war, ist und bleibt die größte politische Herausforderung. Ich will nicht von einer Bedrohung sprechen, aber es gibt doch eine politische Realität auf der anderen Seite der Ostgrenze, die Finnland berücksichtigen muss."
    Vermittler mit Tradition
    Finnland ist geopolitisch "eingeklemmt" zwischen Ost und West, hat aus dieser vermeintlichen Schwäche aber eine Stärke gemacht und sich schon im Kalten Krieg als Mittler profiliert:
    "Unser Ziel ist, über Entschließungen hinaus zu praktischen Ergebnissen zu gelangen, um der Entspannungspolitik in Europa zusätzlich und mehr Substanz zu geben."
    Helmut Schmidt war gerade Bundeskanzler geworden, als er 1974 in dieser Regierungserklärung Helsinki erwähnte. Das war während der Verhandlungsphase der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, KSZE. Deren Ergebnis war die Festschreibung der europäischen Grenzen, auch wenn sie nicht als "unverrückbar" bezeichnet wurden, freier Handel dazu und Fortschritte im Bereich humanitärer Fragen wie garantierte Meinungs-, Reise- und Informationsfreiheit im Osten. Bis heute genießt Finnland deshalb einen exzellenten Ruf als Vermittler in internationalen Krisen. Ex-Präsident Martti Ahtisaari bekam für seinen Einsatz in Afrika, Asien, im Kosovo und im Irak 2008 den Friedensnobelpreis. Sein Nachfolger Sauli Niinistö ist stolz darauf:
    "Im internationalen Vergleich steht Finnland als außergewöhnlich sicheres, friedfertiges und entwickeltes Land da. Mehrere internationale Rankings belegen, dass Finnland eine sehr stabile und hoch entwickelte Gesellschaft ist. So werden wir im 'Fund-For-Peace-Index' erneut als sehr nachhaltig stabiler Staat eingestuft, als einziger in dieser Kategorie auf der ganzen Welt."
    Distanz zur Nato
    Damit das so bleibt, balanciert Helsinki weiter: Fest im Westen verankert, aber nicht in der Nato, Russland gegenüber offener als andere, aber man lässt auch nichts gefallen. Der Staat wehrt sich konsequent und öffentlich gegen russische Störmanöver, sei es die Verletzung des Luftraumes oder Online-Hetze gegen finnische Journalisten. In der Giftgasaffäre um den Doppelagenten Skripal zog Helsinki mit, allerdings weniger kräftig. Präsident Sauli Niinistö nahm das zum Anlass, erneut für den "finnischen Weg" zu werben:
    "Wir schließen uns der Haltung der EU an und weisen einen russischen Diplomaten aus Finnland aus. Aber der Dialog mit Russland muss weitergehen. Möglicherweise ist das jetzt noch wichtiger als bisher. Es gibt gute Gründe, entsprechende Anstrengungen zu unternehmen, damit die Kluft zwischen dem Westen und Russland nicht noch weiter aufreißt und sich der Konflikt am Ende nicht in eine ganz andere Richtung entwickelt."
    Auch der amerikanisch-britisch-französische Luftangriff auf Ziele in Syrien wurde vom finnischen Präsidenten und seinem Außenminister in diesem Sinne kommentiert: Man habe damit gerechnet, der Westen habe handeln müssen. Aber, so Sauli Niinistö, er sei sich ganz sicher, dass die USA und Russland dafür sorgen würden - Zitat - "dass das Feuer nicht noch größer wird". Sollte dafür doch ein Mittler gebraucht werden, wäre Sauli Niinistö sicher eine gute, wenn nicht sogar die beste Wahl...