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Finnlands Volksheld

Seine Tondichtung "Finlandia" ist heute noch die inoffizielle Nationalhymne der Finnen. Auch im Ausland wurde Janne Sibelius als Star verehrt und Ende der 30er Jahre von britischen und amerikanischen Radiohörern zum "besten Komponisten der Gegenwart" gewählt. Sibelius' Tagebücher sind hingegen voll von grüblerischen Selbstzweifeln.

Von Sabine Fringes | 20.09.2007
    Schon als Kind ist er ein Einzelgänger: Der am 8. Dezember 1865 in einer kleinen finnischen Garnisonsstadt geborene Janne Sibelius lebt in einer eigenen Welt, am liebsten setzt er sich unter das Klavier und lauscht dort den Klängen, die er mit den Farben des Flickenteppichs in Verbindung bringt. Er spielt Geige im Wald für die Vögel oder auf dem Boot für das Meer und nennt sich nach einem seefahrenden Onkel Jean. Nach Studien der Komposition und Violine in Helsinki und Berlin, erregt der 27-Jährige erstmals Aufsehen mit seiner Tondichtung "Kullervo", die auf Teilen des finnischen Nationalepos "Kalevala" beruht.

    "Eine großartige, mitreißende Springflut finnischer Musik ist aus der Provinz über uns hereingebrochen."

    Der Dirigent und Komponist Robert Krajanus über die Uraufführung von "Kullervo" im Jahr 1892, die als "Geburtsstunde der finnischen Musik" gilt. Als eine Art Volksheld verehrte ihn der finnische Staat und zahlte ihm monatlich einen kleinen Unterhalt. Für seine siebenköpfige Familie reichte er allerdings nicht aus und Sibelius komponierte neben großen Tondichtungen, Sinfonien und Chorwerken, auch Lieder und kleine Klavierstücke, die er selbst scherzhaft die "Butterbrote für meine Töchter" nannte. Zum Arbeiten zog er sich schließlich nach Ainola zurück, in eine nach seiner Frau benannte Holzvilla in Järvenpää, etwa 30 km von Helsinki entfernt.

    "Die zweite Symphonie habe ich in Italien komponiert, die dritte in Paris, und das Quartett in London, aber das Meiste habe ich in Ainola komponiert. Ich finde, die Menschen müssten im Wald leben oder in großen Städten. Hier in Ainola, da spricht die große Stille."

    ""Man kann sich gut vorstellen, dass [...] Sibelius sich ins Land der tausend Seen vergrub, um vor den kritischen Augen seiner Schulmeister geborgen zu sein, [...] wohl bewusst der Tatsache, dass ihm weder einen Choral auszusetzen, noch einen ordentlichen Kontrapunkt zu schreiben vergönnt war",

    " spottet Theodor W. Adorno, einer von vielen prominenten Sibelius-Kritikern, die gegen den "nordischen" Musiker wettern. René Leibowitz nennt ihn gar den "schlechtesten Komponisten der Welt".

    Der eigenwillige, improvisatorisch klingende Stil der Sinfonien eckt an, mehr noch aber reizt die Kritiker der Star-Kult, der in England und den USA um Sibelius betrieben wird, wo ihn Rundfunkhörer Ende der 30er Jahre in New York zum "besten Komponisten der Gegenwart" wählen.

    Sibelius selbst focht all der Wirbel um seine Person nur wenig an. Zu stark tobten die eigenen inneren Kämpfe in ihm. Seine Tagebücher sind voll von grüblerischen Selbstzweifeln. Zu seinem sechzigsten Geburtstag gewährt ihm der finnische Staat eine großzügige Pension, die ihn mit einem Schlag von allen finanziellen Nöten befreit. Zugleich beginnt damit auch Sibelius’ dreißig Jahre währende Schaffenskrise, bis zu seinem Tod am 20. September 1957 wird er kaum noch etwas komponieren. Doch seine Landsleute vergessen den in Ainola zurückgezogen lebenden Komponisten nicht. Seine Tondichtung "Finlandia" ist heute noch die inoffizielle Nationalhymne der Finnen.