Donnerstag, 25. April 2024

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Fipronil-Skandal
"Da hat die EU-Kommission versagt"

Die EU-Kommission habe die Pflicht, europäische Gesetze zu kontrollieren, sagte CDU-Politiker Karl-Heinz Florenz im Dlf. Beim Fipronil-Skandal habe sie aber versagt. Die Hauptschuld für den Skandal trügen allerdings die Mitgliedsländer, so der EU-Parlamentarier.

Karl-Heinz Florenz im Gespräch mit Sandra Schulz | 11.08.2017
    Karl-Heinz Florenz (CDU), Mitglied des EU-Parlaments und Mitglied im Ausschuss Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit
    Karl-Heinz Florenz (CDU), Mitglied des EU-Parlaments und Mitglied im Ausschuss Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (AFP)
    Sandra Schulz: Zwölf EU-Mitgliedsstaaten sind inzwischen betroffen, in zwölf EU-Mitgliedsstaaten wurden Lieferungen nachgewiesen von Eiern oder Geflügelprodukten, die mit dem Insektengift Fipronil belastet sind. Jetzt will die EU über Konsequenzen beraten.
    Und am Telefon ist Karl-Heinz Florenz, CDU, im Europäischen Parlament für die EVP-Fraktion Mitglied im Ausschuss Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Schönen guten Tag!
    Karl-Heinz Florenz: Ja, schönen guten Tag, Frau Schulz!
    "Die EU-Kommission vergisst ihre Grundsatzpflicht"
    Schulz: Die EU plant jetzt also ein Krisentreffen, wir haben es gerade gehört, so schnell wie möglich, aber auch mit der Einschränkung, wenn alle Fakten auf dem Tisch liegen! Könnte das nicht ein bisschen spät sein?
    Florenz: Ja, ich glaube, das Parlament und auch mein Ausschuss wird erst einmal sehr massiv mit der Kommission diskutieren. Die Kommission vergisst, dass sie eine Grundsatzpflicht hat, nämlich die Kontrolle der europäischen Gesetze. Und wir haben es in vielen Fällen gehabt, dass eben bei Pferdefleisch und vielen anderen die Informationen aus den Mitgliedsstaaten nicht gekommen sind, da muss eben Andriukaitis und seine Kommission viel massiver vorgehen. Jetzt eine pflaumenweiche Konferenz einzuberufen, das überzeugt mich überhaupt nicht, sondern die beteiligten Länder - dazu gehört ab und zu auch Deutschland - müssen wesentlich zügiger Unregelmäßigkeiten bekannt geben und die dann auch wirklich ahnden. Wenn man da zwei Hauptverdächtige in Holland in Haft genommen hat, dann schütteln die sich ja nur und sagen, ach, da sind wir sowieso gleich wieder draußen. Die müssen sofort von Europaseite aus ein Berufsverbot bekommen. Ich bin Landwirt, wenn ich meinen Raps an meine Ölmühle fahre und da sind Pflanzenschutzmittel drin, dann muss ich die auf der Stelle zurückholen. Und wenn das nicht geschieht und das zweimal hintereinander geschieht, dann habe ich ein Berufsverbot. Also, ich weiß gar nicht, warum die Kommission da nicht ernsthafter durchgreift. Denn die Regeln für dieses Schnellinformationssystem, die kommen ja von der Kommission. Und da hat sie also meiner Meinung nach versagt.
    "Die ersten Schuldigen sind die Mitgliedsländer"
    Schulz: Herr Florenz, wir haben ja eine Situation, in der sich alle Beteiligten inzwischen halbwegs einig sind, dass wir über Gesetzesverstöße, über Gesetzesübertretungen sprechen. Verstehe ich Sie richtig: Schuld an dieser Schieflage, an einem Schnellwarnsystem, das über Wochen nicht greift, ist die Kommission?
    Florenz: Nein, nicht ausschließlich. Also, die ersten Schuldigen sind natürlich die Mitgliedsländer, die da wochenlang nicht melden. Aber dass sie sich das erlauben, dass Belgien sich erlauben kann, wochenlang heiße Informationen nicht auf diese Plattform zu stellen oder aber eben den Gesundheitsbehörden der Kommission nicht ordnungsgemäß zu melden, nicht nur ein paar E-Mails schreiben, sondern wirklich sagen, da ist was am Brennen, das werfe ich der Kommission schon vor, dass sie das nicht getan hat.
    Florenz: EU muss Missstände sanktionieren
    Schulz: Was muss sich denn da künftig ändern, damit wir in eine solche Situation nicht noch mal geraten?
    Florenz: Wir haben Hunderte von Beispielen, dass Europa relativ gute Schularbeiten macht, aber die Mitgliedsländer – auch da muss sich Deutschland nicht ausklammern – oft genug sich an diese Regeln nicht halten. Und das darf die Kommission als Hüterin der Gesetze sich nicht erlauben. Gerade in dieser Zeit, wo Europa in Kritik steht, muss man klar und deutlich dann auch Sanktionen aussprechen. Und das werfe ich der Kommission vor. Bevor die da mal wirklich aktiv werden, das dauert ja Jahre, bis die mal verklagt werden, das sehen wir ja bei dem VW-Skandal, das sehen wir am Pferdefleischskandal. Die Kommission ist ein schlafender Riese. Schade, dass nur der Kommissar gewählt wird, andere müssten da auch gewählt werden, dann würden die viel flotter.
    Florenz: Mitgliedsländer im Europäischen Rat wollen sich nicht selbst bestrafen
    Schulz: Jetzt sprechen wir über ein uraltes Thema in der Europäischen Union, das Vollzugsdefizit. Ich verstehe Sie aber richtig, da wird sich dann auch künftig gar nichts ändern und solche Probleme werden wir dann einfach weiter haben?
    Florenz: Na ja, es muss sich ändern. Aber die Mitgliedsländer sitzen ja in dem sogenannten Europäischen Rat, und in diesem Europäischen Rat werden dann natürlich Sanktionsmaßnahmen nur ungerne beschlossen, weil es sie ja auf der Stelle treffen könnte. Also, da muss das Europäische Parlament auch mutiger werden und sagen: Wenn da einer hier bei der Geflügelwirtschaft systematisch über Monate und wahrscheinlich sogar Jahre Mittel einsetzt, die in der Lebendgeflügelhaltung überhaupt nicht erlaubt sind, dann kann ich nur sagen, da müssen die davor Angst haben. Das scheint in den Niederlanden und in Belgien keiner zu haben.
    Schulz: Sind die Lebensmittelkontrollen, sind die Lebensmittelkontrolleure ausreichend ausgestattet?
    Florenz: Ach, das ist immer einfach, die Kontrolleure anzugreifen. Ich glaube, viel wichtiger muss sein, dass die …
    Schulz: Ja, oder die, die sie ausstatten.
    Florenz: Ja, ich glaube, viel wichtiger ist, dass die Ministerien, auch unsere 16 Gesundheits- und Landwirtschaftsministerien einen hinreichenden Respekt vor der Keule aus Brüssel bekommen müssen, das haben sie nicht.
    Länder mit laschen Kontrollen exportieren nach Deutschland
    Schulz: Ich würde mit Ihnen gerne noch über ein Thema sprechen, über ein Störgefühl, das wir heute Morgen hatten, als wir das Thema diskutiert haben hier bei uns in der Redaktion. Wir haben jetzt die Meldung aus Frankreich, da sind offensichtlich auch mit Fipronil belastete Eier geliefert worden, schon im Frühjahr, zwischen April und Mai eine halbe Million Eier, die wohl auch schon längst gegessen wurden. Da heißt es jetzt aus Frankreich, ein gesundheitliches Problem habe es da gar nicht gegeben. Irgendwas scheint doch da falsch zu laufen, was ist jetzt falsch daran: Die Aufregung über Fipronil-Eier oder jetzt diese massenhafte Vernichtung von Eiern, die wir sehen?
    Florenz: Ja, ich glaube, dass man in Deutschland keinem Verbraucher erklären kann, dass er doch die Eier essen soll. Wir essen natürlich normal hier unsere Spiegeleier oder was auch immer. Aber wenn da toxische Stoffe drin sind, die da nicht reingehören, dann habe ich nicht genug Mut, den Bürgern zu erzählen: Nun esst die mal schön weiter! Also, dass die alle aus dem Verkehr genommen werden, das ist schon richtig. Wenn sie dann in die Biogasanlage gehen, dann haben sie wenigstens noch einen Energieeffekt. Aber vielleicht darf man da nur ein ganz klein bisschen ausholen: Vor einigen Jahren haben wir in Europa die Hennen-, die Käfighaltung verboten, das war auch richtig so. Deutschland hat dieses Verbot vier oder fünf Jahre vorzeitig umgesetzt. Das Ergebnis ist, dass die Legehennenhaltung aus Deutschland abgewandert ist, wir in Deutschland ja nur einen ganz kleinen Anteil an eigener Eierproduktion haben, die sind alle in Holland, in Belgien, in Ungarn, in Polen, in Tschechien, wo auch immer gelandet. Und da sind die Kontrollen natürlich lasch und oberflächlich. Und da dürfen wir uns nicht wundern, wenn dann Eier aus superbilligen Ländern zu uns kommen, die ihre Regeln der Europäischen Union nicht einhalten. Also, wir müssen kritischer werden und wir müssen mehr darauf achten, dass unsere Lebensmittel auch hier, im Rheinland - für mich ist das nun mal im Rheinland -, auch hier erzeugt werden, und meine Hühnereier, die müssen bei uns nicht aus Budapest kommen.
    Kritik an europäischer Agrarpolitik
    Schulz: Ja, jetzt sagen Sie uns noch, was das Ganze jetzt bedeutet, wenn wir über die Bedingungen sprechen, in denen diese Lebensmittel ja produziert werden, in einer Landwirtschaft, über die es heißt, es sei eine industrielle Landwirtschaft. Wie vertretbar ist das denn eigentlich noch?
    Florenz: Wir werden in 2020 eine neue Agrarreform bekommen und dann müssen wir zwei oder drei Fragen beantworten. Die eine Frage ist: Ist es richtig, dass über drei Jahre in der Vergangenheit die Milch billiger war als Mineralwasser? Ist es richtig, dass ein Glas Gurken, das Glas teurer ist als die Gurken, die da drin sind? Ist es richtig, dass ein junger Landwirt heute unter 3.000 Mastschweinen erst gar nicht anfangen kann zu wirtschaften? Ist das unsere Agrarpolitik? Nein, meine ist das nicht. Wir brauchen bäuerliche Strukturen. Ich will ja auch nicht zurück zur Arche Noah, aber ich strebe nicht die supergroßen Betriebe an und Schweineställe über 5.000 Einheiten, das ist für mich einfach nicht überschaubar. Das mögen andere Kollegen anders sehen, aber ich habe 30 Jahre lang Mastschweine gehabt, ich weiß auch ein kleines bisschen, wovon ich rede.
    Schulz: Karl-Heinz Florenz, im Europäischen Parlament unter anderem Fachmann für Umweltfragen und Lebensmittelsicherheit und Mitglied der EVP-Fraktion. Ganz herzlichen Dank für Ihre Einschätzungen heute Mittag!
    Florenz: Gern geschehen, alles Gute!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.