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Firma Müller-Gespanne
Mit Waldi auf der Harley

Motorrad-Beiwagen sind eine Alternative für alle, die nicht gerne auf dem Sozius platznehmen. Oder dies nicht können - wie zum Beispiel Hunde. Die Firma Müller-Gespanne aus der 500-Seelen-Gemeinde Brodersby bei Kappeln an der Schlei baut Beiwagen für Zwei- sowie Vierbeiner. Präzise Maßarbeit und nicht ganz billig.

Von Wibke Starck | 24.07.2015
    Ein Hund sitzt in einem Motorrad-Beiwagen
    Knapp 60.000 Beiwagen sind derzeit in Deutschland zugelassen. (picture-alliance/ dpa - Maurizio Gambarini)
    Elsbeth Müller stoppt ein Motorrad mit Beiwagen vor der Werkstatt und lässt die alte BMW R80R noch einen Moment laufen, schaltet hier, schaltet dort, ein Stupser auf die Hupe und dann ist die Kiste wieder aus. Allgemeine Fahrzeugdurchsicht. In erster Linie aber baut Elsbeth Müller so etwas: "Generell fertigen wir zwei verschiedene Gespanntypen, entweder ein starres Gespann, das heißt, Motorrad und Seitenwagen sind fest miteinander verbunden, können auch nicht voneinander getrennt werden."
    Und Schwenker-Gespanne baut sie auch: "Ein Schwenker-Gespann ist einfacher herzustellen, es hat nur zwei Anbindungspunkte und dadurch fährt die Maschine – wie solo – auch noch mit Schräglage."
    Auf so etwas gefahren ist sie schon, bevor sie richtig laufen konnte, weil sie "als Baby, als Kind, als Kleinkind von meinem Vater auf den Tank eines Gespannes gesetzt wurde. Auf dem Motorradtank musste ich sitzen, weil in dem Seitenwagen schon drei meiner Geschwister saßen und hinten drauf saß auch noch jemand. Ich hatte nur noch Platz auf dem Tank. Und irgendwie ist diese Erinnerung in mir wieder hoch gekommen, als ich selbst Kinder hatte. Und, ja, dann bin ich irgendwie hängen geblieben."
    "Früher war es ein Armeleute-Fahrzeug"
    Inzwischen ist die drahtige Frau mit dem schmalen Gesicht und den langen braunen Haaren 50 geworden, und die eigenen Kinder sind bereits erwachsen. Aber Mutter und leidenschaftliche Motorradfahrerin zu sein, das war für sie nur vereinbar mit einem Motorrad-Gespann. Darüber lernte sie Peter Sauer kennen. Genauso ein früh Infizierter.
    "Früher war es ein Armeleute-Fahrzeug, nach dem Krieg. Ich kenne das auch noch von meinen Eltern und meinen Großeltern", erinnert sich Sauer. Aus zwei Leidenschaften wurde eine Motorrad-Gespann-Werkstatt. In der gut 100 Quadratmeter großen Verkaufshalle funkeln frisch lackierte Gespanne und Solo-Beiwagen. Verschiedenste Formen und Farben. Manches Gefährt aufwendig mit Airbrush verziert. Peter Sauer erklärt: "Heute haben Gespanne mal eben 200 PS. Früher, nach dem Krieg, da hatten sie 12, 13 PS. Es musste sich da was entwickeln, und ich überlege mir immer, wenn das Ding auf der Hebebühne steht, wie bring ich Stabilität da rein? Und das wird natürlich auch alles berechnet und TÜV abgenommen. Und das ist immer eine sehr große Prozedur. Aber da wir das schon 35 Jahre machen, haben wir auch einen ganz guten Vertrauensvorschuss."
    Bei den Leuten vom TÜV, wie auch bei den Kunden. Der 68-Jährige mit den dichten weißen Haaren hantiert kniend mit zwei für den Laien undefinierbaren Metallteilen herum. Gehalten durch einen blauen Mini-Kran, steht auf der Hebebühne,vor ihm ein Motorradskelett. Als Ganzes hatte der Kunde sein Motorrad hierher gebracht.
    Elsbeth Müller räumt ein: "Davon kannst du jetzt nicht mehr viel erkennen. Also vorne hat es kein Rad mehr drin, keine Gabel mehr drin, keine Bremsanlage mehr drin."
    Dem Besitzer müssten beim derzeitigen Anblick die Tränen kommen. Peter Sauer schiebt die Schutzbrille zurück und erklärt: "Ich habe jetzt den Hilfsrahmen für das Motorrad geheftet, und jetzt bau' ich den wieder ab, um den fertig zu schweißen. Dann muss der geglüht werden, damit der spannungsfrei sitzt. Und dann geht das später zum Sandstrahlen und Pulverbeschichten, Verzinken und so weiter. Jedes Teil muss einzeln angefertigt werden."
    Spaßfahrzeuge zum Preis eines deutschen Mittelklassewagens
    Derartige Maßarbeit ist in der Gespannbau-Branche selten, und sie hat ihren Preis, sagt Elsbeth Müller: "Schwenkerumbau liegt meistens zwischen 10.000 und 11.000 Euro. Wenn wir jetzt starre Gespannumbauten machen, sind die meistens zwischen 25.000 und 30.000 Euro. Und wenn einer mal richtig hinlangen möchte und mal so ein richtig extravagantes Modell haben will, wie unsere Harley hier, mit einem Formel-1-Seitenwagen, ein garantiertes Einzelstück, dann geht es auch schon mal Richtung 100.000."
    Spaßfahrzeuge zum Preis eines deutschen Mittelklassewagens. Knapp 60.000 solcher offenen Gefährte sind in Deutschland zugelassen. Wie viele die beiden jährlich fertigen, sei schwer zu sagen, meinen sie. Mancher Umbau sei in ein paar Wochen getan, mancher braucht drei, vier Monate, aber sie könnten davon gut leben, sagt Gespann-Bauer Peter Sauer. Die Aufgabenverteilung in ihrem "Eine-Frau-und-ein-Mann-Betrieb" ist dabei nicht streng geregelt. Peter Sauer teilt so: "Ich bin mehr für die groberen Sachen zuständig, Elsbeth ist für die Feinheiten. Wenn ich was kaputt gemacht hab, dann repariert sie das wieder. Vor allem Elektrik und solche Sachen macht sie hauptsächlich."
    Was sie nicht selber machen können oder wollen, geben sie bewusst in die Hände von Betrieben aus der Region, betont Gespannbauerin Müller: "Wir haben Designer, entsprechende Lackierer oder auch Künstler."
    Auf den Hund gekommen
    Wenn die beiden Gespanne-Liebhaber mit ihren eigenen Schmuckstücken unterwegs sind, kommt statt der inzwischen erwachsenen Kinder nun immer der Hund mit. Und oft werden deshalb gerade Motorrad fahrende Hundebesitzer zu ihren Kunden, weil auch sie ihren Hund nicht zu Hause lassen möchten. Peter Sauer zeigt auf einen kleinen Beiwagen: "Hier zum Beispiel für so einen kleinen Rauhaardackel, da haben wir ein kleines Boot gemacht für ihn, der braucht ja nicht so einen Riesenseitenwagen, das ist dann auch relativ leicht. Die Schwenkergeschichte ist in fünf Minuten mal an und mal ab gebaut, dann kann der Hund mal mit oder nicht mit."
    Weil die Kinder andere Interessen haben, suchen Elsbeth Müller und Peter Sauer mittlerweile einen Nachfolger für ihren Betrieb. Denn für das Schrauben würden sie inzwischen gern etwas weniger Zeit aufwenden, damit etwas mehr davon zum Fahren bleibt.