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Fische trinken die Pille

Die Trinkwasserqualität in Deutschland ist überwiegend gut. Allerdings können in vielen Seen und Flüssen relativ hohe Konzentrationen von Medikamenten gemessen werden, die über den Urin ins Abwasser gelangen. Dies hat vor allem Auswirkungen auf die Wasserflora und -fauna.

Von David Gößmann | 29.05.2009
    Fast 40.000 Tonnen Medikamente, verteilt auf über 2500 verschiedene Wirkstoffe, werden jährlich in Deutschland von Apotheken und Krankenhäusern ausgegeben. Welche Mengen davon ins Trinkwasser gelangen, untersuchte unter anderem das Kompetenzzentrum Wasser in Berlin. Rund 100 Arzneimittelwirkstoffe stellten die Wasserforscher auf den Prüfstand.

    Ergebnis: Selbst Medikamente wie das Antiepileptikum Carbamazepin, dessen Wirkstoff sich vergleichsweise schlecht abbaut, sind nur in sehr geringen Mengen im Trinkwasser aufgefunden worden. Ludwig Pawlowski, Leiter des Wasserkompetenzzentrums:

    ""Wenn man sich diese Einzelstoffe anguckt, dann ist die Größenordnung, die wir detektieren in den Analysen, so enorm gering, dass man ein Vielfaches von dem normalen Gebrauch des Wassers zu sich nehmen müsste, um überhaupt eine Wirkungsdosis der üblichen medizinischen Verabreichung dieses Mittels zu bekommen. Wir glauben nicht, dass dadurch irgendein Trinkwasser gefährdet ist.”"

    Auch das Zusammenwirken von unterschiedlichen Wirkstoffen im Wasser, der sogenannte Cocktaileffekt, stelle keine Gefährdung für die Gesundheit dar. Bei höheren Werten in der Nähe von Krankenhäusern sollte man jedoch, so Pawlowski, gegebenenfalls über Urintrennung nachdenken, um so das Abwasser von pharmazeutischen Rückständen zu reinigen.

    Das Forschungslabor des Leibniz-Instituts, Werner Kloas, Leiter für Gewässerökologie, will herausfinden, wie Medikamentenrückstände auf die Lebewesen und Pflanzen in Gewässern wirken. Denn das ist bisher unklar. Pharmaka müssen anders als Umweltchemikalien nicht ökotoxikologisch getestet werden. Ihre Effekte auf die Umwelt liegen mehr oder weniger im Dunkeln. Dabei hält Kloas die bisher festgestellten Mengen von Wirkstoffen keineswegs für ungefährlich.

    ""Bei vielen dieser Stoffe - die sind in relativ hohen Konzentrationen in der Umwelt: Mikrogramm pro Litermengen. Das ist etwas, wenn man das isoliert, hat man ein kleines Pülverchen auf der Hand. Das sieht man. Das ist nichts irgendwas Nano oder Piko oder so - etwas in diesen nicht sichtbaren, sondern nur noch indirekt messbaren Bereichen. Hormonell wirksame Stoffe, wo man eben auch sieht, dass eben in einem Gewässer, in einem Kläranlagenablauf Fische verweiblichen, weil zu viele Östrogene drin sind. Das sind Stoffe, die im zehn Nanogramm pro Liter Bereich wirksam sind. Und wir haben viele dieser Stoffe noch gar nicht untersucht. Gerade aus dem Bereich der Pharmazeutika.”"

    Aber nicht nur Fische nimmt Kloas ins Visier. Auch die biologischen Auswirkungen auf Krebse, Schnecken oder Muscheln, Bakterien und Pflanzen sollen untersucht werden.

    Hypothese ist, dass die im Wasser vorhandenen Wirkdosen bei Lebewesen und Pflanzen in aquatischen Gewässern Stress erzeugen, dem eine sogenannte Stressantwort folgt. Im Klartext: Die Physiologie von Lebewesen und Pflanzen kommt durcheinander und das führe zu Beschädigungen und Erkrankungen der Organismen. Welche biologischen Veränderungen auf welche Stoffe folgen, das will man jetzt herausfinden. Verweiblichung von Geschlechtsteilen, Nieren- und Leberschäden sind bei Fischexperimenten schon festgestellt worden. Der Gewässerökologe Kloas geht davon aus, dass einige Wirkstoffe als bedenklich eingestuft werden könnten.

    ""Im Visier ist natürlich Carbamazepin als Antiepileptikum, dann ein Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Diklophenak, dann Lipidsenker, dass sind auch Stoffe, die in hohen Mengen vorhanden sind, von denen man auch nicht genau weiß, was das bei Wirbellosen auslöst, und dann natürlich die hormonell wirksamen Stoffe, die Kreislaufregulierer, die Ingredienzien der Minipille, die Gestagene.”"

    Falls umweltschädigend, sollten die Wirkstoffe vom Markt genommen werden oder durch spezielle Filtermethoden in den Kläranlagen zurückgehalten werden. Noch einmal Werner Kloas vom Leibniz-Institut.

    ""Ich werde ruhiggestellt über mein Trinkwasser, so eine Überschrift würde ich nicht unterschreiben. Aber dass es für die Umwelt unbedenklich ist, das ist etwas, was ich nach den ersten Vorergebnissen und nach Ergebnissen, die Kollegen bisher schon produziert haben, auf keinen Fall unterschreiben würde.”"