Donnerstag, 28. März 2024

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Fischer (Bündnis 90/Die Grünen)

DLF: Beim vergangenen Ärztetag, Frau Fischer, vor knapp einem Jahr in Cottbus, da traten Sie auf mit einer Entschuldigung. Da gab es eine Kontroverse zuvor; Sie hatten den Ärzten angelastet, allzu großzügig zu sein bei der Arzneimittelverordnung. Damals also die Entschuldigung, verbunden mit der ausdrücklichen Aufforderung, man möge im Gespräch bleiben. Der Ärztetag dieses Jahres, der übermorgen beginnt - was wird da Ihre Botschaft an die Ärzte sein?

Birgid Becker | 07.05.2000
    Fischer: Ich glaube, der Ärztetag kommenden Dienstag ist eine Chance, auch ein bisschen zu dokumentieren, dass auch eine Gesundheitsministerin und die organisierte Ärzteschaft ein Verhältnis zueinander finden können, in dem man die Kontroversen mit aller gebotenen Klarheit und Härte austrägt, aber dabei nicht persönlich wird, und wo auch - glaube ich - deutlich werden muss, dass die Erfüllung der Forderungen der Ärzteschaft einer Gesundheitsministerin ja nicht einfach freisteht, weil sie ja über die Gelder von vielen Menschen bestimmt und diese Gelder sozusagen nicht einfach unbegrenzt vorhanden sind. Ich glaube, dass auch das der Ärzteschaft inzwischen sehr klar ist. Und meinerseits werde ich mit Sicherheit die Gelegenheit nutzen, deutlich zu machen, was wir für wichtige Weichenstellungen gemacht haben mit der Reform im letzten Jahr, und dass aber damit selbstverständlich nicht das Ende aller gesundheitspolitischen Tage ist. Das habe ich aber auch im letzen Jahr nie behauptet, dass diese Reform das Letzte ist, was in dieser Legislaturperiode gemacht wird.

    DLF: Wie steht es, wenn Sie sagen, Sie sind mit den Reformdebatten nicht am Ende - wenn ich das Stichwort aufgreife -, wie steht es um ganz akute Konfliktfeuer, die im Gesundheitswesen aufflackern? So zum Beispiel der Konflikt der Krankenkassen untereinander - die Verluste an jungen, gesunden Mitgliedern, die die Großkassen AOK und Ersatzkassen beklagen. Nutznießer angeblich - oder auch Urheber - all der Probleme sind die Betriebskrankenkassen. Von dieser Seite - von Seiten der Großkassen - wird ganz massiv gefordert, dass eine nächste Reformetappe schon in ganz naher Zukunft kommt, am besten vor der parlamentarischen Sommerpause noch.,

    Fischer: Das würde ich für einen Schnellschuss halten, der nie gut ist. Wir haben, übrigens in Kenntnis und im Gespräch mit den Kassen, jetzt Gutachten vergeben, um diesen Ausgleich zwischen den Kassen, den wir seit einigen Jahren haben, zu überprüfen in seiner Wirkungsweise. Es ist sehr umstritten, was die Wirkungen sind. Es ist auch ein so kompliziertes Verfahren, dass es schon geboten ist, da mal einige Fachleute dranzusetzen, die das genauer untersuchen sollen, damit da nicht immer Behauptung gegen Behauptung steht. Es ist vor etwa acht Jahren die Entscheidung getroffen worden, dass es einen Wettbewerb der Kassen geben soll. Ich halte diese Entscheidung für richtig. Sie kommt den Patientinnen und Patienten zu Gute, auch den Versicherten zu Gute, die damit die Möglichkeit haben, mit ihren Kassen auch über ihre Qualität in der Dienstleistung usw. zu reden, und die damit auch eine Möglichkeit haben zu sagen, was sie von höheren und niedrigeren Beitragssätzen halten. Es wäre meines Erachtens ein Schritt in die falsche Richtung, jetzt zu sagen: 'Das räumen wir mal ganz schnell ab, weil es ein akutes Problem gibt'. Ich bestreite das Problem nicht, aber ich bestreite, dass es klug wäre, da mit hektischen Aktionen drauf zu reagieren. Die Gutachten müssen spätestens im März nächsten Jahres vorliegen; es wird mit Sicherheit Zwischenberichte geben. Wir werden eine Arbeitsgruppe mit den Kassen einrichten - auch schon parallel zu dieser Arbeit da dran. Also, wir bleiben nicht untätig. Aber jetzt einfach mal so ganz schnell was daran zu ändern, da wären wir nicht gut beraten.

    DLF: Da schließen Sie also aus, wenn ich Sie richtig verstehe, trotz des Drängens der SPD - der SPD-Bundestagsfraktion, die in Einzelstimmen ja sagt: 'Kommt, lasst uns zumindest für neue Betriebskrankenkassen einen Errichtungsstopp einrichten'. Oder der Gedanke steht auch im Raum, den Versicherten das Sonderkündigungs-recht zu nehmen - dann, wenn die Beiträge steigen. Da gibt es aber von Ihrer Stelle das klare 'Nein, kein Schnellschuss'?

    Fischer: Es war eine gemeinsame Verabredung des Ministeriums mit den Koalitionsfraktionen, dieses Gutachten in Auftrag zu gegen. Und ich weise nur darauf hin: Wenn man die Errichtung von weiteren Betriebskrankenkassen verhindern würde, dann sind ja die bestehenden mit den niedrigen Beitragssätzen weiterhin im Markt. Also, man hat damit überhaupt erst einmal gar nichts geändert. Das Sonderkündigungsrecht der Versicherten abzuschaffen - dann soll man auch ganz klar sagen, man will überhaupt keinen Wettbewerb, weil das eines der zentralen Instrumente ist, damit überhaupt die Versicherten eine Chance haben, Einfluss zu nehmen auf die Politik der Krankenkassen. Das - finde ich - ist eine so weit reichende Entscheidung, weil - das ist der Abschied vom Wettbewerb der Kassen und der Abschied des Versicherten als Souverän, der entscheiden kann. Dann ist diese Entscheidung allemal nicht 'holterdiepolter' zu treffen, und dann sollen diejenigen, die das fordern, auch ganz klar sagen, dass sie keinen Wettbewerb wollen.

    DLF: Könnten Sie sich denn einen anders gearteten Wettbewerb vorstellen? Im Moment ist dieser Wettbewerb in der Kassenlandschaft ja einer - vornehmlich um die Preise, sprich 'Beiträge'. Es ist kein Wettbewerb um die Leistungen; die sind ja zu annähernd 100 Prozent innerhalb der Gesetzlichen Krankenversicherung festgeschrieben. Also, von daher ist das schon ein Stück weit ein 'schräger' Wettbewerb, der da im Solidarsystem 'Gesetzliche Krankenversicherung' herrscht. Hätten Sie andere Wettbewerbsideen?

    Fischer: Also, die Frage der Beiträge ist ja nur ein Punkt, und man soll nicht gering schätzen, dass die Kassen - auch wenn wir einen gemeinsamen und einheitlich vereinbarten Leistungskatalog haben - schon Möglichkeiten haben, darauf einzuwirken, wie diese Leistungen erbracht werden. Wir haben übrigens letztes Jahr da auch neue Instrumente geschaffen: Wir haben die integrierte Versorgung etabliert, also die Möglichkeit, das zu machen - etwas, was es vorher experimentell gab, auch als ein Teil sozusagen der Regelversorgung. Und es liegt jetzt an den Kassen - zusammen eben mit Ärzten, Pflegepersonal, Kliniken usw. -, da nach Möglichkeiten zu suchen. Und da gibt's zum Beispiel so eine Sache, das mit der Behandlung chronischer Krankheiten - was mit der 'dickste Batzen' bei den Ausgaben ist -: Da wissen wir inzwischen, dass, wenn man klug eine Kette der Versorgung macht - also zwischen dem ambulanten Bereich und dem stationären Bereich, die Betreuung von Patienten, Patientenschulung, alle diese Dinge -, also das sind ja häufig Krankheiten, wo es vor allem darum geht, mit der Krankheit leben zu lernen und sie zu bewältigen, auch wenn keine Aussicht auf Heilung besteht - da kann man eine Menge machen, und da haben die Kassen auch Möglichkeiten, mit guten Initiativen dort etwas zu machen. Wir haben sie mit diesem Instrument ausgestattet. Jetzt liegt es an den Parteien der Selbstverwaltung, das Instrument auch positiv zu nutzen.

    DLF: Wie weit gehen Sie davon aus - bei diesem Modell integrierter Versorgungsformen, das Sie jetzt beschrieben haben -, dass das eins sein wird, das Kassen und Ärzte in bekannter Gemeinschaftlichkeit aushandeln?

    Fischer: Also, anders wird es gar nicht gehen, weil die Kassen die Ärzte ja als Partner dafür brauchen. Ich glaube, das ist unterschiedlich. Wenn Sie sich schon jetzt die Landschaft angucken - das muss ja vor Ort ausgehandelt werden, das kann man ja nicht auf Bundesebene beschließen; also auch ich könnte es nie verordnen. Ich kann nur sagen: 'Wir stellen Euch das Instrument zur Verfügung und jetzt macht etwas damit'. Als wir dieses Instrument jetzt ins Gesetz geschrieben haben, da hatten wir ja nicht das Rad neu erfunden, sondern wir haben etwas aufgegriffen, was eben von unten gekommen ist und wo es Orte gab, in denen es gut funktioniert hat -Praxisnetze, Versorgungsverbünde und solche Geschichten. Und wir dachten: O.k., das funktioniert relativ gut - und wir wollen die Hürden niedriger machen, damit man so etwas auch woanders machen kann. Jetzt liegt der Ball im Feld der Selbstverwaltung. Und ich glaube, dass die Vorteile daraus so groß sind und dass es natürlich auch vor Ort immer ganz viele engagierte Leute gibt. Also, wenn Sie da Leute haben - was weiß ich -, zum Beispiel eine Ärztin, die in ihrer Praxis viele Diabetiker hat und sagt: 'Es gibt da ein Problem; ich würde gerne die Zusammenarbeit mit meinen Kollegen, die da mitbehandeln müssen, verbessern'. Häufig passiert es genau so, dann gibt es die Initiative, und dann redet sie, und dann findet sie vielleicht einen vernünftigen Menschen von der Krankenkasse, der sagt: 'Gute Idee, machen wir'.

    DLF: Haben Sie - an dieser Stelle nur kurz nachgefragt - nicht die Sorge, dass angesichts von Krankenkassen, die in mehr oder weniger starker finanzieller Bedrängnis stehen, angesichts von Ärzten, die auch durchaus interessiert sind, ihre Ertragssituation zu verbessern, dass diese beiden Pole, wenn sie anfangen, kreativ zu werden, womöglich dazu kommen, dass man sich mehr oder weniger schicke Patientenklientele greift - Hochdruckkranke zum Beispiel -, und die dann mit optimalen Versorgungsformen integrierter Art ausstattet und sich die ganzen - bewusst in Anführungsstriche gesetzt - die ganzen 'Mühsamen und Beladenen', die Demenzkranken, Mulitmorbiden', dass die dann prompt in so einem System der Kreativität des sich gegenseitigen Verständigens auf Versorgungsformen - dass die prompt hinten hinüberfallen?

    Fischer: Wissen Sie, diese Gefahr kann man nie ausschließen, weil es durchaus einen Anreiz dafür gibt. Auf der anderen Seite - glaube ich - gibt es auch einen gegenläufigen Anreiz, weswegen ich dann da doch noch optimistisch bin, weil wir feststellen: Wechseln tun ja eben nicht die Kranken, sondern eher die Gesunden - so. Und wenn man nun eine Kasse ist mit vielen Kranken, dann kann die sich jetzt überlegen: 'Vergraule ich die?' - was aber offenkundig schwer ist, die gehen nämlich nicht. Wenn man nicht auf die 'Vergraulungsstrategie' setzt, dann hat auch die Kasse ein Interesse daran, diese Patienten gut zu versorgen, was dann auch am Ende sich wahrscheinlich sogar in Kostengünstigkeit auswirken wird. Also, wenn Sie beispielsweise eine gute Diabetesbetreuung machen, dann kostet die am Anfang mehr Geld, als wenn man schlecht betreut. Aber am Ende werden Sie einen Dialysepatienten weniger haben, weil - die Tatsache, dass die meisten Dialysepatienten Diabetiker sind, hat was zu tun mit schlechter Diabetikerversorgung. Das soll heißen: Es könnte auch aus der Perspektive der Kasse, die knausert - das ist ja Ihre Befürchtung -, auch aus der Perspektive dieser Kasse kann es Sinn machen, auf so etwas zu setzen, dass man sagt: 'Wir investieren in die gute Behandlung unserer schwerkranken Patientinnen und Patienten, und auf längere Frist wird sich das rechnen'.

    DLF: Weil Sie eben sagten, Sie hätten mit der Gesundheitsreform 2000 nicht die letzte Gesundheitsdebatte geführt: Mit wem würden Sie die nächste Gesundheitsdebatte gerne führen? Wäre das eine, wo Sie sagen: Wir nehmen einen ganz großen Kreis, wir nehmen auch die politische Gegenseite?

    Fischer: Sagen wir es so: Es gibt ja ein paar unerledigte Dinge aus dem Gesetz vom letzten Jahr, die weiterhin aktuell sind. Wir haben da sehr, sehr, sehr gute Bestimmungen drin in Sachen Datenschutz, also Verbesserung des Datenschutzes. Das war ja sogar am Ende so, dass die Datenschützer der Länder an die CDU-Seite im Bundesrat appelliert haben, doch wenigstens diesen Teil durchkommen zu lassen. Das ist sowohl Datenschutz - aber auch die Frage Transparenz. Wir wollten, dass wir in dieser Black Box 'Gesetzliche Krankenversicherung' ein bisschen mehr wissen, was da gemacht wird. Das geht nur mit Zustimmung der Länderseite, und da - finde ich - muss sich die Opposition schon fragen lassen, ob das ein kluger Punkt ist, hier jetzt in Opposition zu gehen. Also, da sind wir drauf angewiesen; der ganze Krankenhausbereich geht nur mit Zustimmung der Länder. Unsererseits gibt es dazu eine Bereitschaft. Jetzt wollen wir mal gucken : Was ist, wenn die Nordrhein-Westfalen-Wahl vorbei ist, und dann wollen wir gucken, wie sich die CDU neu sortiert - auch inhaltlicher Art; die sind jetzt nicht mehr so ganz so viel mit sich selbst beschäftigt. Das müssen wir einfach abwarten. Aber ich glaube, es gibt im Interesse des Gesundheitswesens ein paar gute Gründe für die Opposition . . .

    DLF: . . . wird es denn so etwas wie ein konkretes Gesprächsangebot von Ihnen geben?

    Fischer: Ich weiß jetzt nicht, als was Sie das gerade verstanden haben, was ich gesagt habe. In der Politik pflegt man ja nicht, diplomatische Noten auszutauschen. Schon im letzten Jahr, als es um das Gesetz ging, da haben wir auch vielfältige Bemühungen unternommen, und am Ende erschien es dann der CDU opportun, daraus sozusagen eine Totalblockade zu machen. Ich glaube, auf Dauer hat damit auch die Opposition nichts zu gewinnen. Also, Herr Seehofer hat gerade vor ein paar Tagen wieder gesagt, man müsse mehr Transparenz in das Gesundheitswesen bringen . . .

    DLF: . . . wären Sie sich ganz einig an der Stelle . . .

    Fischer: . . . kann ich ihm sagen, steht alles in unserem Gesetz, kann er mitmachen.

    DLF: Nun ist es sehr häufig der Fall, dass man mit Gesundheitsreformen nicht seine politische Beliebtheit steigert. Von daher muss sich eine Opposition ja auch immer überlegen, ob sie sich mit ins Boot nehmen lässt. Zum Punkt der politischen Beliebtheit: Die Ärzteschaft - wenngleich sie im Moment auch leiser ist - hält ja an ihrer kritischen Haltung gegenüber der Gesundheitsreform deutlich fest. Und das liest sich auch aus dem Einladungsschreiben für den Deutschen Ärztetag. Da steht gleich in der Einleitung - Zitat - 'Die Gesundheitsreform 2000' hat die Philosophie einer Staatsmedizin zum Dogma erhoben. Wie gehen Sie mit dieser von vornherein vorhandenen Konfliktbereitschaft um?

    Fischer: Wenn ich nicht gute Nerven hätte, wäre ich in diesem Amt ja falsch - und wenn ich nicht auch inzwischen etwas abgestumpft wäre gegenüber den ganz großen Kanonenkugeln, die da immer abgeschossen werden. Das ist klar. Starke Worte - ich werde erklären, warum ich das auch in der Sache für völlig unzutreffend halte, die Sache mit der Staatsmedizin. Und die Ärzteschaft wird einfach dann auch Fragen beantworten müssen. Also, wenn wir auf der Beitragsstabilität beharren, dann tun wir das ja nicht, weil wir etwas gegen Ärzte hätten, sondern dann tue ich das ja deswegen, weil die Menschen in diesem Land irgendwie den Eindruck haben, sie müssen schon genug jeden Monat abgeben. Sie geben ja nicht nur für die Krankenkasse ab, sondern auch noch für die Rente und die Steuern und die Arbeitslosenversicherung usw. Auch damit muss sich die Ärzteschaft auseinandersetzen, die dann gerne sagt: 'Aber den Menschen ist doch die Gesundheit das allerhöchste Gut, und dafür zahlen sie alles'. Der Wechsel zu diesen billigen Betriebskrankenkassen - das ist eine Abstimmung mit den Füßen. Und da wird sich die Ärzteschaft auch mit auseinandersetzen müssen, dass da offensichtlich die Bereitschaft der Menschen, immer höhere Beiträge zu bezahlen, Grenzen hat. Mit diesen begrenzten Ressourcen müssen sie sich auch auseinandersetzen.

    DLF: Nun gab es ja durchaus einen Gedanken von Andrea Fischer, der auf Anhieb den Beifall der Ärzteschaft fand. Das war der Gedanke, doch zu überlegen, ob es bei der beitragsfreien Mitversicherung von nicht erwerbstätigen Ehefrauen, die keine Kinder haben, die keine Angehörigen pflegen, bleiben muss. Und dann hatten Sie den Gedanken, ob es so sinnvoll sein kann und weiterhin bleiben muss, dass die Beiträge allein nach den Löhnen bemessen werden. Da gab es spontan Beifall auf Seiten der Ärzteschaft, aber es gab eben auch einen Bundeskanzler, der sagte: 'Diese Idee mache ich mir nicht zu eigen'. Heißt das nun, die Gedanken sind für Sie gestorben?

    Fischer: Nein, wir pflegen ja keinen Kommandoton in der Bundesregierung, und wir dürfen auch in der Bundesregierung Gedanken äußern. Das war ja auch nie meine Erwartung, dass, wenn ich sage 'auf lange Frist müssen wir über so etwas nachdenken', dass das dann am nächsten Tag Politik der Bundesregierung wird. Nun muss es auf der anderen Seite auch möglich sein - und ich halte es sogar für geboten -, dass man auch als eine im aktiven Handeln stehende Politikerin über den morgigen Tag hinaus denkt. So lieb mir ja der Beifall der Ärzteschaft ist - aber an dem Punkt muss ich sie insofern natürlich enttäuschen, weil der Vorschlag nicht darauf gerichtet, insgesamt den Topf nennenswert zu erhöhen, den wir zur Verfügung haben für die Gesetzliche Krankenversicherung. Sondern es gab zwei Grundsätze, warum ich überhaupt sage, darüber müssen wir reden. Das eine ist die Frage: Ist es sozial gerecht, wie wir im Moment umverteilen? Das ist die Geschichte, warum dürfen da bestimmte Leute beitragsfrei sein. Und die zweite Frage ist die Veränderung der Arbeitsgesellschaft. Auf lange Sicht trocknen wir das System nämlich finanziell aus, wenn wir es ausschließlich am Lohn festbinden. Das heißt aber: Ich will über die Bemessungsgrundlage, von der die Beiträge erhoben werden, reden. Aber dann sollen die Leute nicht insgesamt mehr zahlen, sondern vielleicht nur anders verteilt - auf andere Einkommensarten. Und das ist auf jeden Fall - das ist schon heute so - dass sowohl bei Erwerbstätigen, aber schon gar bei Rentnern, der Anteil derjenigen, die noch andere Einkunftsarten haben, gestiegen ist. Und das wird in Zukunft - wir sorgen alle privat vor usw. - noch stärker werden, also für meine Generation und andere.

    DLF: Wenn Sie nun Begriffe benutzen wie 'irgendwann' und 'auf lange Sicht', dann sagen Sie zugleich, 'es ist mir jetzt nicht dringlich'. Aber wann könnte das dringend werden; wann könnte das auch für Sie als zuständige Fachministerin wichtig sein, das Thema noch einmal pointiert in die Diskussion zu bringen?

    Fischer: Also, beide Sachen, über die ich gesprochen habe, sind schon länger auch in der Fachdiskussion, zum Teil übrigens von Leuten vertreten, die mich jetzt dafür kritisiert haben, auch von Politikern, die offensichtlich ein kurzes Gedächtnis haben. Gleichwohl bedeuten sie natürlich recht weitreichende Veränderungen, das heißt, wir lassen da jetzt auch auf der Fachebene noch weiter dran arbeiten und gucken, was sich da verändert. Aber solche recht tiefgreifenden Veränderungen brauchen ihre Zeit, also auch, um dafür eine politische Mehrheit zu gewinnen. Wie gesagt, man hat gesehen, wie da reflexhaft drauf reagiert wurde von Leuten, die vor zwei Jahren noch was anderes gesagt hatten. Ich will deswegen mich da gar nicht festlegen, wann das sozusagen einen Umsetzungszeitpunkt kriegt.

    DLF: Es gibt eine Nachricht der vergangenen Tage, die dürfte ganz akut geeignet sein, eine Welle der Kritik an Ihrer rückliegenden Gesundheitsreform loszutreten. Nach vorläufigen Berechnungen der Betriebskrankenkassen müssen die Ärzte rd. 250 Millionen Mark an die Kassen zurückzahlen wegen zuviel verordneter Medikamente, also wegen Überschreitung des Budgets für Arzneimittel. Das wird zum Anlass genommen werden - ich glaube, das kann man sagen, ohne Prophet zu sein -, um überhaupt eine Budgetdebatte wieder ins Laufen zu bringen. Wie werden Sie reagieren?

    Fischer: Ich äußere mich nicht zu angeblichen Zahlen und nicht zu Berechnungen und Hochrechnungen und allem. Die verbindlichen Zahlen erwarten wir erst im Sommer, und dann werde ich mich dazu äußern. Und was die grundsätzliche Kritik an Budgets anbelangt, da kann ich nur noch mal auf etwas verweisen, was ich vorhin schon einmal im anderen Zusammenhang gesagt habe: Jeder, der sagt, dass das Teufelswerk ist, der muss auch sagen, wo er den Leuten mehr Geld aus der Tasche nehmen will. Dann sollen sie sich bitte vor die Patienten stellen und sagen, was sie von ihnen mehr haben wollen - oder vor die Versicherten . . .

    DLF: . . . angeblich sagen die Ärzte: 'Lasst uns die Frage stellen: Wie viel ist Euch die Gesundheit wert?' . . .

    Fischer: . . . ja, und ich sage Ihnen: Die 1,8 Millionen Menschen, die im letzten Jahr zu den Betriebskrankenkassen gewechselt sind, die haben den Ärzten eine Antwort darauf gegeben.

    DLF: Ja, nur kriegen sie formal auch von den Betriebskrankenkassen noch die gleichen Leistungen - für weniger Geld die gleiche Leistung.

    Fischer: Ja, ich kann Ihnen nur sagen dazu, dass die Leute damit erst einmal ausdrücken, dass sie nicht bereit sind, die Beiträge ins Unermessliche zu steigern. Damit müssen Sie sich auseinandersetzen. Es gibt offensichtlich Grenzen - übrigens der Fähigkeit und der Billigkeit -, Beiträge für soziale Sicherungssysteme zu entrichten. Die sind in den letzten Jahren überstrapaziert. Wir haben in den 90er Jahren eine Verdoppelung der Zuzahlungen gehabt. Und wenn ich mich nicht völlig falsch erinnere, dann hat das 98 im Wahlkampf eine wirklich wichtige Rolle gespielt, dass die Leute die Faxen dicke davon hatten.

    DLF: Weil Sie das Thema 'Selbstbeteiligung' gerade ansprechen: Nun hat sich der Bundeskanzler selbst geäußert zum Gesundheitswesen - es war bislang nicht unbedingt seine Lieblingsdomäne -, und da hat er doch ganz prägnant gesagt: 'Ein Gesundheitswesen ohne finanzielle, geistige und - in diesem Fall buchstäblich - körperliche Selbstbeteiligung der Versicherten sei nicht mehr vorstellbar' - Zitat Gerhard Schröder in den Frankfurter Heften. Ja, was ist das für Sie? Eine Richtungsentscheidung oder ein Trendwechsel in der Sozialdemokratie, mit dem Sie gut leben können, weniger gut leben können, der Sie freut, weniger freut?

    Fischer: Ich kann bestens damit leben. Grüne Sozialpolitik kommt aus einer Tradition von Subsidiarität, und wenn Sie sich die Anfänge der Debatte der Grünen angucken in den 80er Jahren, so erkennen Sie sehr stark so etwas wie Selbsthilfebewegung, was ja auch eine Form von Eigeninitiative ist, und wir haben uns verpflichtet gefühlt. Wenn Sie sich übrigens die Gesundheitsreform des letzten Jahres angucken, werden Sie da auch eine ganze Reihe Sachen finden. Also Eigeninitiative im Gesundheitswesen ist ja nicht nur höhere Zuzahlung. So ist das lange Zeit buchstabiert worden. Und wir sagen: Eigeninitiative ist eben auch, sich zu interessieren für die eigene Gesundheit und mitzumachen. Wir haben deswegen so etwas drin wie Prävention - wesentlich stärker, Gesundheitsförderung, auch so etwas wie Patientenschulung - Stichwort 'chronische Erkrankung'.

    DLF: Vielleicht kurz noch ein Ausblick - noch mal mit Hinweis darauf, dass Sie nicht die letzte Gesundheitsreform geführt haben: Was wäre ein Lieblingsthema für die nähere Zukunft, sagen wir die Zukunft nach den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen?

    Fischer: Ich würde immer noch gerne diesen Punkt, was wir mit der integrierten Versorgung versuchen, anzugehen, wo ich aber glaube, wir müssten noch mehr dazu machen, um das alte Grundübel des deutschen Gesundheitswesens, das auch eine deutsche Spezialität ist, zu überwinden, dass wir nämlich eine strikte Trennung zwischen ambulant und stationär haben. Wir haben ja letztes Jahr eine Menge mögliche Sachen drin gehabt, zum Teil sind die im Bundesrat gescheitert. Und da habe ich noch eine offene Rechnung, und das ist aber nicht meine private, sondern das ist wirklich etwas, was seit langem einfach ein Riesenproblem ist, das wird auch von allen Gesundheitspolitikern beklagt. Wie gesagt: Letztes Jahr hat es eine Verweigerung gegeben gegenüber dem Vorstoß, den wir da gemacht haben, aber ich finde, da sind alle gefragt, an dem Punkt besser zu werden. Das bezieht sich sowohl auf die Vertreter von bestimmten Interessensgruppen, die dagegen mobil gemacht haben, als auch auf die Opposition - mit Verlaub. Unter dem Begriff 'Globalbudget' war zu verstehen, dass damit es sozusagen über die einzelnen Sektoren hinweg Vergütungen geben kann und dass sich das verschieben können soll, usw. . . .

    DLF: . . . und jetzt verschiebt sich nichts . . .

    Fischer: . . . eben, das liegt aber nicht an mir, sondern daran, dass die Opposition uns letztes Jahr in dem Punkt blockiert hat. Und die Opposition weiß aber ganz genau, dass das eine wesentliche Ursache ist für ungenaue Geldströme, für zu große Geldströme, für zu viel doppelt überflüssig Gemachtes. Eine wesentliche Ursache liegt in dieser Trennung der Sektoren. Und die muss einfach aufgehoben werden, und das heißt, daran müsste noch mal zu arbeiten sein. Auch das geht an die Adresse der Opposition, die sich sozusagen dem verweigert hat, was wir da im letzten Jahr vorgeschlagen haben. Jetzt wären die mal dran, was besseres vorzuschlagen. Das Problem wird von allen Seiten geteilt.