Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Fischer hofft, dass die Proteste gegen Bush friedlich bleiben

Gerner: John F. Kennedy, Jimmy Carter, Ronald Reagan, Bill Clinton. Bei jedem dieser Besuche hat ein US-Präsident einen Satz in Berlin gelassen. Es darf gerätselt werden, welcher es bei George Bush sein könnte. Sein Besuch wirft Fragen auf, Fragen nach der Sicherheit, angesichts einer Vielzahl angekündigter Demonstrationen, und Fragen nach der Zukunft des deutsch-amerikanischen beziehungsweise des europäisch-amerikanischen Verhältnisses. Darüber möchte ich jetzt mit Außenminister Joschka Fischer reden. Herr Fischer, drei Tage Demonstrationen für 19 Stunden Besuch, wie ist Ihnen zumute, angesichts dieser Situation?

21.05.2002
    Fischer: Ich denke, zu einer Demokratie gehört das Demonstrationsrecht. Das ist wesentlich. Und solange die Demonstrationen friedlich sind und die Meinungen dort zum Ausdruck gebracht werden, gehört das zu unserer demokratischen Verfassung, und das ist auch nicht zu kritisieren, sondern man wird sich über die Inhalte auseinander zu setzen haben, und da wird es sicher unterschiedliche Auffassungen geben.

    Gerner: Sie haben keinerlei Sorge, dass es an der einen oder anderen Stelle in Gewalt ausarten könnte?

    Fischer: Das habe ich damit nicht gesagt. Ich hoffe, dass es friedlich bleibt, aber das ist Aufgabe der Veranstalter, die dafür die Verantwortung tragen, und es ist Aufgabe der Polizei. Ich meine, im Interesse aller muss es friedlich ablaufen, weil ansonsten eine völlig andere Botschaft als die, die intendiert wird, transportiert wird. Es wäre keine Botschaft in der Sache, sondern es würden dann sehr hässliche antiamerikanische Bilder über den Atlantik gehen, und ich denke, das kann niemandes Interesse sein. Im Übrigen verpflichtet auch unsere demokratische Verfassung alle zum friedlichen Demonstrieren.

    Gerner: Gerade die Grünen haben widersprüchliche Eindrücke abgegeben. Die Berliner Grünen demonstrieren mit; die Bundespartei hält sich etwas raus. Ihre Partei ist mithin etwas widersprüchlich im Verhalten.

    Fischer: Die Politik der amerikanischen republikanischen Administration führt natürlich nicht nur bei uns, sondern auch in den USA zu entsprechenden kontroversen Diskussionen. Ich möchte hier nur etwa die Haltung zum Kyoto-Protokoll oder zum internationalen Strafgerichtshof benennen. Auf der anderen Seite sind die USA für Frieden und Stabilität in der Welt unverzichtbar, und vor allen Dingen auch einer der großen Pfeiler von Frieden und Stabilität im 21. Jahrhundert, in einem Jahrhundert, das sehr unfriedlich und unsicher begonnen hat, ich darf Sie nur an den 11. September erinnern, aber auch an andere Krisenherde, gerade eben jetzt über das Wochenende in Kaschmir, wo zwei Nuklearmächte sich bewaffnet gegenüberstehen, aufeinander schießen. Es zeigt sich hier, wie wichtig dieser Friedenspfeiler Transatlantik tatsächlich ist. Die transatlantischen Beziehungen sind von entscheidender Bedeutung für uns, für unsere Menschen, und das macht die Beziehungen zu den USA so wesentlich.

    Gerner: Nun hat ausgerechnet US-Außenminister Colin Powell, der eigentlich derjenige in der US-Regierung ist, der bisher das größte Verständnis für europäische Anliegen gezeigt hat, gesagt, ihn irritiere die Amerika-feindliche Stimmung in Europa. Er hat auch das Wort - so wurde es zumindest übersetzt - vom 'intellektuellen Geblubbere' zitiert. Ist das ein Indiz dafür, dass Europa und die USA auseinanderdriften, es zumindest ernsthafte Probleme gibt?

    Fischer: Ich denke, im Außenministerium der USA besteht diese Gefahr nicht. Allerdings habe ich in vielen Diskussionen mit der Öffentlichkeit, mit Journalisten in Hintergrundkreisen und vor allen Dingen auch mit Kongressabgeordneten beider Häuser festgestellt, dass es doch sehr unterschiedliche Sichtweise auf die Dinge gibt, und dabei spielen ohne jeden Zweifel zwei Faktoren eine Rolle: Der furchtbare Terrorangriff, den die USA erlebt haben hat dort zu einem anderen Bewusstsein von der Gefährdung und zu der Entschlossenheit, sich mit allen Mittel dagegen zu wehren, geführt. Auf der anderen Seite haben Sie die ganz unterschiedliche Wahrnehmung des Nahost-Konfliktes. Ich sage gar nicht, dass die amerikanische Wahrnehmung die richtige ist und die europäische die falsche, sondern ich konstatiere nur, dass es hier eine unterschiedliche Sichtweise gibt. Wir müssen gewährleisten, dass sich daraus nicht eine transatlantische Kluft ergibt. Deswegen ist es auch so wichtig, dass unsere Haltung zu Israel eben nicht auf einer einseitigen Parteinahme für die eine oder andere Seite beruht, sondern dass sie sich klar gründet auf unsere historische Verpflichtung als Land, die fortwährt, die die Sonderbeziehungen mit Israel gründet, und dass wir auf dieser Grundlage eben eine ausgewogene Haltung einnehmen, dass wir versuchen, einen Frieden in zwei Staaten zu erreichen, wie es auch Präsident Bush in einer sehr bedeutenden Rede im April formuliert hat. Wenn wir eine andere Haltung einnehmen würden, wie das etwa gegenwärtig in der deutschen Innenpolitik aus einer bestimmten Ecke kommt, hätte das katastrophale Konsequenzen für die transatlantischen und für die deutsch-amerikanischen Beziehungen.

    Gerner: Eine persönliche Frage: Was hat denn Ihr Amerika-Bild von früher auf geprägt? Was war das Erste, was Sie mit Amerika verbinden?

    Fischer: Ich bin in Süddeutschland geboren und aufgewachsen. Und seitdem ich zurückdenken kann, gehörten damals die US-amerikanischen Soldaten als Befreier dazu. Durch Vietnam, durch Chile hat sich dieses Bild völlig verändert.

    Gerner: Welche Gründe gab es damals, gegen die USA zu demonstrieren?

    Fischer: Ich habe den Vietnam-Krieg - und das gilt für mich heute immer noch - immer als einen großen Fehler, als einen tragischen Irrtum begriffen, dass das Land der Freiheit - und das waren und sind die USA - dort als postkoloniale Unterdrücker aufgetreten ist. Und Robert McNamara, der damalige Verteidigungsminister der Administration von Präsident Johnson hat gesagt, es war ein Irrtum, es täte ihm Leid. Das hat nur sehr viele Menschen das Leben gekostet. Damals hatten wir ein Bild bekommen, das eben nicht das Bild von Kennedy vor dem Schöneberger Rathaus, das nicht das Bild der amerikanischen Schutzmacht beim Mauerbau am 13. August 1961 war, das nicht das Bild der Befreier war. Aber gleichzeitig war für mich die Antikriegsbewegung in den USA, in Berkeley, in Ohio ganz wesentlich.

    Gerner: Wenn Sie die damaligen Proteste mit den heutigen vergleichen, sind die heutigen Proteste weniger legitim?

    Fischer: Das ist eine Frage, wo man in die Inhalte gehen müsste. Was etwa Kyoto betrifft, den Klimaschutz, die Verantwortung der reichen Länder für eine gemeinsame Entwicklung gerade auch der ärmeren Länder, für eine ökologische Abrüstung der reichen Länder beim Energieverbrauch, damit andere wachsen können, müssen wir neue Technologien einsetzen, um unseren Energieverbrauch zu reduzieren und das Weltklima zu schützen. Da haben wir Europäer und die USA unterschiedliche Positionen. Ich meine, die europäische Position ist hier die richtige. Wenn dagegen demonstriert wird, wenn das zum Inhalt gemacht wird, kann ich das nicht kritisieren. Wenn allerdings hier generell die USA als Kriegstreiber verurteilt werden, oder wenn Antiamerikanismus verbreitet wird, es tut mir Leid, das kann ich nicht nur nicht teilen, sondern das hielte ich für falsch.

    Gerner: Die Umfragen zeigen ja eins: Die uneingeschränkte Solidarität ist ja nicht mehr in dem Maße bei der deutschen Bevölkerung da, wie es direkt nach dem 11. September der Fall war. Vielmehr gibt es, nicht nur bei den Medien, denke ich, Sorgen darum, dass eine Weltmacht da ist, die die Verbündeten nur unzureichend konsultiert, etwa beim Thema, wie es mit dem Irak weitergeht.

    Fischer: Ich denke, das ist eine Frage, die wir an uns selbst richten müssen, die Frage nämlich: Wie stark oder wie schwach ist dieses Europa? Und das ist die große Sorge, die überhaupt nichts mit den USA zu tun hat, die aber Auswirkungen auf die transatlantischen Beziehungen haben wird. Wenn Rechtspopulismus und antieuropäische Positionen Zulauf bekommen, wird es den europäischen Integrationsprozess nicht beschleunigen, sondern eher zum Stagnieren bringen. Das allerdings wird Europa in eine Schwächeposition halten. Ich will mehr Europa, nicht weniger USA. Europa muss stärker werden; das ist unsere Zukunft. Und wenn dieses nicht geschieht, dann wird das natürlich in den USA dazu führen, dass man nicht länger auf die Europäer wartet und bei uns das Gefühl verstärken, dass die USA alleine, unilateral handeln. Zum Irak: Beim Irak müssen wir alles tun, damit die einschlägigen UN-Resolutionen umgesetzt werden. Ich denke, das ist von überragender Bedeutung. Der Sicherheitsrat hat jetzt das neue Sanktionsregime formuliert, beschlossen, es wird umgesetzt. Es gibt neue Möglichkeiten, dass der Irak Lebensmittel, Medikamente und Ähnliches für die Bevölkerung einführt.

    Gerner: Es gibt auch neue Erwartungen, wenn Sie erlauben, die Sicherheitsberaterin Rice hat gesagt, sie erwartet deutsche Unterstützung im Falle eines Vorgehens gegen den Irak. Können wir uns dem entziehen?

    Fischer: Ich habe mir das heute morgen genau angeschaut, und es geht genau um diese Punkte, nämlich zu verhindern, dass Technologien, dass Güter, die doppelt benutzt werden können, für zivilen Gebrauch wie auch für die Herstellung von Massenvernichtungsmittel einer strikten Exportkontrolle unterworfen werden. Aber ganz entscheidend ist, dass wir den Irak dazu bringen, dass er UN-Inspektoren wieder zulässt, und dass sie die Produktionsstätten nicht vorhalten, also das sind jetzt die Dinge, um die es geht. Alles andere sage ich Ihnen, und zwar nicht diplomatisch verklausuliert. Mein Eindruck ist der, dass in Washington bisher eine mögliche Militäraktion eine spekulative Diskussion ist, und an dieser spekulativen Diskussion möchte ich mich nicht beteiligen.

    Gerner: Nochmals zum Stichwort 'uneingeschränkte Solidarität'. Bringt das für die Bundesrepublik neue Pflichten, aus denen wir in Zukunft nur noch schwer heraus können, oder will die Bundesregierung, wollen wir eine wichtigere Rolle in der Welt, und muss der Bevölkerung das nun in homöopathischen Dosen beigebracht werden?

    Fischer: Weder noch. Ich sehe beides nicht. Niemand von uns hat sich den 11. September vorstellen können, und die Konsequenzen daraus sind, dass diese Terrordrohung über uns allen schwebt, und ich möchte nicht, dass wir die Debatte dann erleben, wenn noch - wovor uns Gott bewahren möchte - etwas Schlimmes passiert, aber auszuschließen - das haben jüngste Äußerungen gezeigt - ist dieses nicht.

    Gerner: Es gibt ja eine neue Terrordrohung, sagt die US-Regierung. Können Sie sich das überhaupt vorstellen, wie es auch ist, dass das schlimmer als am 11. September werden könnte?

    Fischer: Ich möchte darüber nicht spekulieren. Das muss und kann jeder selbst tun, denn wir haben alle dieselben Bilder, wir haben alle denselben Schock erlebt. Sie hätten es nicht für möglich gehalten, was wir am 11. September erlebt haben, als wir auf CNN live sahen, wie das zweite Flugzeug mit den Menschen an Bord in den Südturm krachte, und die Folgen daraus für die Menschen in New York waren furchtbar. Und niemand kann das ausschließen; wir haben Djerba erlebt, wir haben einen anderen Terroranschlag auf französische Staatsangehörige in Karachi erlebt. Wir müssen uns dagegen wehren, wir können mit dieser Terrordrohung nicht leben. Niemand will eine weltausgreifende militärische Interventionspolitik, das ist völliger Quatsch, das würde für die Bundesrepublik Deutschland keinen Sinn machen, und den USA zu unterstellen, sie würden dieses tun, ist ebenfalls Unsinn, denn sie tun es bereits, sie sind globaler Ordnungsfaktor. Schauen Sie sich Ostasien an, was da loswäre, wenn sich die USA zurückziehen würden, was übrigens eine Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung will und fordert. Also wenn man sich die Dinge genauer anschaut, dann stellt man fest, dass diese Überschriften nichts taugen, sondern wir müssen alles tun, um wie in Afghanistan wieder Strukturen zu schaffen, innerhalb derer Terrorismus nicht möglich ist. Die militärische Seite ist manchmal leider unverzichtbar, aber die Erfahrung zeigt, dass der zivile Wiederaufbau, dass die Hilfe wieder zur Staatsbildung, zu geordneten Verhältnissen - Universitäten, Gesundheitssystem, Schulsystem, eine vernünftige Administration, Entstehung einer Demokratie - die eigentliche Leistung ist, die wir zu bringen haben. Das ist nicht billig, das erfordert einen langen Atem, und das zeigen wir auf dem Balkan, das zeigen wir in Afghanistan. Darum geht es eigentlich. Die Welt sicherer zu machen, das ist nicht zuerst und vor allen Dingen eine Rüstungsfrage und eine militärische Frage.

    Gerner: Die USA dominieren wirtschaftlich und militärisch in Europa seit 1914. Friedrich Naumann, liberaler Vordenker, wahrhaft kein Radikaler, hat 1919 gesagt, Ziel der USA sei ein neues Römisches Reich. Die Römer - erinnern wir uns - haben nach dem Prinzip 'teile und herrsche' regiert. Kann es sein, dass wir Deutschen uns auch ganz gut damit abfinden können, weil die Segnungen der amerikanischen Massenkultur die Menschen mehr oder weniger bei Laune halten?

    Fischer: Also da fiele mir viel zu ein. Deutschland hat wesentlich dazu beigetragen, dass es dazu gekommen ist, im Ersten und ganz gewiss im Zweiten Weltkrieg. Darüber hinaus geht vieles von dem, was die Stärke der amerikanischen Kultur ausmacht, zurück auf jene Deutschen und Europäer, die die Nazis vertrieben haben, die im wahrsten Sinne des Wortes nichts als ihr Leben retten konnten und ihre Kreativität mitgenommen haben; eine Wunde, die der Nationalsozialismus uns selbst geschlagen hat, die bis heute nicht verheilt ist. Es geht nicht um 'teile und herrsche', um ein neues Römisches Reich. Ich denke, wir müssen nach vorne schauen, und da führt der Rückblick in die Irre. Die Europäer müssen zusammenfinden, das ist der entscheidende Punkt. Wir müssen dieses demokratische, vereinte Europa schaffen, und zwar jetzt. Wenn wir dieses nicht tun, werden wir in der Welt des 21. Jahrhunderts nur eine nachrangige Rolle spielen, und das wird sehr viele negative Konsequenzen haben. Also mehr Europa, das ist die entscheidende Herausforderung, vor der wir stehen. Und deswegen ist für mich die Sorge des neuen Nationalismus und Rechtspopulismus die entscheidende Sorge, um die es tatsächlich gegenwärtig geht. Dem müssen wir widerstehen, weil es sonst sehr viele negative Konsequenzen in den transatlantischen Beziehungen geben wird.

    Gerner: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio