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Fischer im französischen Dieppe
Der geteilte Ärmelkanal

In der Stadt Dieppe in der Normandie leben die Fischer von und mit den Briten. Mehr als die Hälfte sucht nämlich ihren Fang in britischen Gewässern. Nach einem Brexit könnte es damit vorbei sein. Nach Branchenangaben sind mehr als 2.200 Arbeitsplätze in Gefahr.

Von Andreas Noll | 21.03.2019
Fischerboote im Hafen des normannischen Dieppe
Fischerboote im Hafen des normannischen Dieppe (Deutschlandradio / Andreas Noll)
Das Wetter ist schlecht, als Loic Marguerie im Hafen von Dieppe auf dem Trockenen sitzt. Seit ein paar Tagen war er nicht mehr draußen auf dem Meer. Zu stark der Wind, zu hoch die Wellen. Jetzt reparieren Marguerie und seine vier Matrosen die Netze der "Daniel Auguste". Doch nicht nur das Wetter bereitet den Fischern in der Normandie derzeit Sorgen.
"Ein harter Brexit würde uns massiv treffen. Bis zu 80 Prozent der Zeit fischen wir vor der britischen Küste. Nur die Jakobsmuscheln, die fangen wir hier."
Es ist gerade Hochsaison für die Jakobsmuschel, die schönste und edelste aller Meeresfrüchte. In Frankreich hat die gesetzlich streng geschützte Delikatesse einen herausgehobenen Stellwert. Die guten Restaurants in der Normandie schmücken sich mit ihr auf der Speisekarte.
"In den Hafenanlagen von Dieppe werden die Muscheln frühmorgens aus den Booten geladen. Der eine Teil wandert über die Fischbörse direkt in den Verkauf, der andere geht in die Hallen neben der Anlegestelle der 'Daniel Auguste'. Dort lösen Frauen in Handarbeit die Muschel-Nuss von der Schale. Das laute Rauschen, wenn die leeren Schalen in große Kisten geschüttet werden, gehört zum Soundtrack des Hafens."
"Sie würden den Ärmelkanal am liebsten teilen"
Für den 30-Jährigen Loic Marguerie ist die Jakobsmuschel in diesen Brexit-Chaos-Tagen so etwas wie eine Lebensversicherung. Zum Glück, so sagt er, finden sich die besten Fanggebiete in französischen Gewässern. Sonst wäre alles noch viel schlimmer. "Zum Glück, sonst wäre das eine Katastrophe."
Die halbe Katastrophe könnte allerdings sehr wohl eintreten. Dann nämlich, wenn nach einem Brexit die Briten ihre Gewässer dichtmachten. Es wäre ein Bruch mit einer jahrzehntealten Tradition, aber ausgeschlossen ist das nicht.
"Sie würden den Ärmelkanal am liebsten teilen und ihre Hälfte dann für ausländische Boote sperren. Aber unsere Eltern und Großeltern haben dort schon gefischt. Man kann uns das doch nicht von einem auf den anderen Tag wegnehmen?!"
Der 30-jährige Fischer Loic Marguerie vor seinem Boot, der "Daniel Auguste"
Der 30-jährige Loic Marguerie fürchtet um sein Geschäft und um weitere Jobs, die an der Fischerei hängen (Deutschlandradio / Andreas Noll)
Tradition ist dem jugendlich aussehenden Mann mit dem für Fischer typischen Vollbart wichtig. Loic Marguerie stammt aus einer Fischerfamilie – die "Daniel Auguste" hat er nach seinen Großvätern benannt. Doch die britischen Kollegen, davon ist er überzeugt, wollen den Bruch mit der Tradition:
"Wir sehen die britischen Fischer doch permanent auf dem Meer: wenn sie Jakobsmuscheln ernten oder mit ihren Trawlern fischen. Es gibt da zwar keine direkte Konfrontation, aber ihre Haltung ist eindeutig. Sie geben uns zu verstehen, dass sie es mit dem Brexit eilig haben, damit wir da verschwinden."
Sperren die Briten ihre See, wird es knapp
Loic Marguerie fährt zur See seit er 16 ist. Vor ein paar Jahren hat er sein erstes eigenes Schiff gekauft. Vier Matrosen beschäftigt er auf seinem Boot. Ob er die auch bezahlen könnte, wenn die britischen Gewässer zukünftig tabu sind? Marguerie ist skeptisch.
"Viele Jobs hängen hier von diesem Wirtschaftszweig ab. Wenn es keine Fischerboote mehr gibt, dann braucht man auch keine Frauen, die die Muscheln auskratzen, keine Hafenarbeiter und die anderen Berufe, die von uns abhängen."
Dieser Beitrag gehört zur Reportagereihe "Lost in Brexit – Französisch-britische Trennungsgeschichten" in der Sendung "Gesichter Europas".
Ein paar Schritte vom Kai entfernt hat das Regionale Fischerkomitee seinen Sitz in einem kleinen Büro über einer Lagerhalle. Ein Hinweisschild an der blauen unscheinbaren Stahltür gibt es nicht, doch der Verband ist mächtig - verhandelt in Paris, Brüssel und London über Quoten und Schutzgebiete.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
In der ersten Etage begrüßt Pascal Coquet die Besucher in einem schlichten Büro. Der Chef der französischen Jakobsmuschelfischer hat von hier einen guten Blick auf den Hafen von Dieppe und die Probleme der Branche.
Auf einem großen Tisch hat er zwei Karten vom Ärmelkanal ausgebreitet. Mit seinen Fingern wischt er über verschiedene Rottöne, mit denen die Karten eingefärbt sind:
"Die verschiedenen Farben zeigen die Größe der Fischbestände an. Hier im Ärmelkanal vor unserer Küste sind die fruchtbarsten Fischgründe. Also kommen alle hierher. Wenn es nun zum Brexit kommt und die Briten ihre See sperren, haben wir hier doppelt so viele Boote für halb so viele Fische. Man muss dabei wissen, dass man uns in den kommenden Jahren in diesem Gebiet auch noch drei große Offshore-Windparks aufs Auge gedrückt hat. Selbst die Investoren geben zu, dass der Bau der Windparks die Fische in einem Umkreis von 25 Seemeilen vertreibt. Zumindest für die lange Zeit der Arbeiten."
Der "Jakobsmuschelkrieg"
Mit den Briten hat er schon harte Kämpfe ausgefochten. Im vergangenen August zum Beispiel, als der "Jakobsmuschelkrieg" europaweit Schlagzeilen machte. Französische Kutter hatten britische Boote im Ärmelkanal rüde abgedrängt. Denn anders als bei den Fischen, deren Quoten von der EU bestimmt werden, hat Frankreich für die Muscheln strenge nationale Vorschriften. Zum Schutz des Bestandes dürfen französische Fischer nur zwischen dem 1. Oktober und dem 15. Mai die Muscheln ernten.
Pascal Coquet, Verbandschef der französischen Jakobsmuschelfischer
Machen die Briten ihre See dicht, wird es eng für die vielen französischen Fischer, sagt Pascal Coquet, Verbandschef der französischen Jakobsmuschelfischer (Deutschlandradio / Andreas Noll)
Auch die britischen Fischer haben sich an die Beschränkungen gehalten – allerdings nur die großen Boote. Die kleinen fischten das ganze Jahr über. Nach zähem Ringen einigten sich beide Seiten im Herbst dann doch wieder auf Eckpunkte für die laufende Saison:
"Die Stärke der Briten ist ein großes Problem für uns. Ich glaube, die haben 220 Muschelfischer und ihre Boote sind zehn Mal so groß wie unsere. Die fischen natürlich ganz andere Massen ab als wir."
"Da wird sich hier richtig Wut entladen"
Doch nicht nur die Briten drängt es in französische Gewässer. Die EU-Ausländer fischen uns unsere Gewässer leer, kritisieren die Kollegen auf der Insel. Und doch, am Ende würde der Brexit auch in dieser Branche nur Verlierer produzieren, analysiert Verbandschef Coquet:
"Die glauben doch nicht, dass sie uns verbieten können, in ihre Gewässer zu fahren, um dann mit Kampfpreisen auf unseren Märkten ihre Waren abzusetzen?! Die Briten selbst essen ja keine Jakobsmuscheln. Da wird sich hier richtig Wut entladen und die französischen Fischer werden zu verhindern wissen, dass britische Fänge weiter die Grenzen passieren."