Samstag, 13. April 2024

Archiv


Fiskalpakt "führt zu einseitigem Sparen"

Die im Fiskalpakt festgelegte Wahrung der Haushaltsdisziplin mache die europäischen Regierungen "langfristig handlungsunfähig", bemängelt Michael Sommer. Der EU-Sondergipfel habe nicht die Frage beantwortet, wie man an "zusätzliche Staatseinnahmen" gelangen könnte.

Michael Sommer im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 31.01.2012
    Dirk-Oliver Heckmann: Sparen, Sparen, Sparen – das war bisher die Devise im Kampf gegen die Schuldenkrise. Dass aber ein solcher Weg erst recht in die Rezession führen kann, das hat das Beispiel Griechenland nach Ansicht vieler Experten bereits gezeigt. Europa habe das Land durch seinen aufgezwungenen rigiden Sparkurs erst so richtig in die Rezession getrieben, meinen sie. Muss neben die Konsolidierung der Haushalte also nicht auch eine Aktivierung der Wirtschaft treten? Darüber haben die EU-Staats- und –Regierungschefs gestern beraten und entschieden, nicht abgerufene EU-Mittel in Höhe von rund 80 Milliarden Euro sollen eingesetzt werden, unter anderem, um die Jugendarbeitslosigkeit in den Krisenländern zu bekämpfen. – Dazu begrüße ich Michael Sommer, den Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Schönen guten Morgen, Herr Sommer.

    Michael Sommer: Guten Morgen, Herr Heckmann.

    Heckmann: Blicken wir zunächst aber kurz auf den Fiskalpakt. Jean-Claude Juncker, der Chef der Eurogruppe, hat gerade eben bei uns im Deutschlandfunk sich optimistisch gezeigt und gesagt, es gibt gute Chancen, dass dieser Fiskalpakt schärfer sein wird als der vormalige Euro-Stabilitätspakt. Sind Sie da auch so optimistisch?

    Sommer: Ich schätze Herrn Juncker sehr und ich habe vorhin auch das Interview von ihm gehört, das Sie geführt haben. Ich bin da leider nicht so optimistisch – schlicht und ergreifend deshalb, weil der Fiskalpakt, so wie er angelegt ist, aus unserer Sicht wirklich eine falsche Rezeptur ist und damit auch zu falschen Ergebnissen führt. Er führt zu einseitigem Sparen, er geht nur darauf hinaus, dass man sozusagen sogenannte Haushaltsdisziplin wahrt, die dazu führt, dass insbesondere dort, wo Krisen sind, die Krise sich verschärft. Von daher beantwortet er viele Fragen nicht, übrigens auch nicht – das ist auch dann Etikettenschwindel -, er beantwortet nur das Thema Haushaltsdisziplin, also Sparen, er beantwortet überhaupt nicht die Frage, wie man zum Beispiel zu mehr Staatseinnahmen kommt, in Irland oder Deutschland oder wo auch immer, wo das dann dazu führen würde, dass man nicht Neuverschuldung machen muss, aber trotzdem die Staaten handlungsfähig hält. Was man jetzt macht, ist, die Staaten weiter handlungsunfähig zu machen – übrigens auch für Deutschland mit einem fatalen Punkt. Das ist ja nicht nur, dass die Schuldenbremse des Grundgesetzes eingehalten werden soll, sondern es soll ja die Neuverschuldung zurückgeführt werden. Für Deutschland bedeutet das, ...

    Heckmann: Sind Sie dagegen, dass die Schuldenbremse eingehalten wird?

    Sommer: Ich bin dafür, dass die Staaten handlungsfähig sind, und da gibt es zwei Möglichkeiten. Die eine ist, dass sie dort, wo es sinnvoll ist, auch durch Neuverschuldung zusätzliche Investitionen ankurbeln, um Wachstum zu generieren, und das Zweite ...

    Heckmann: Also Schulden mit neuen Schulden bekämpfen?

    Sommer: Na ja, das ist ökonomisch natürlich nicht so wie im normalen Haushalt, wo man sagt, die Überschuldung führt dann dazu, dass man irgendwann es nicht mehr zurückzahlen kann, sondern man muss schon dafür sorgen, dass die Wirtschaft läuft und auch die Wirtschaft angekurbelt wird. Zum Zweiten gibt es ja eine Möglichkeit, ...

    Heckmann: Moment, Herr Sommer! Da möchte ich gerne noch mal kurz einhaken, denn hat uns diese Politik nicht genau in diese Krise geführt, in der wir jetzt stecken?

    Sommer: Nein. Uns hat in diese Krise geführt unter anderem eine große Wachstumsschwäche in Europa, die dazu geführt hat, dass die Staaten sich nicht refinanzieren können. Das Zweite, was uns in diese Krise geführt hat, ist, dass systematisch die Staaten durch Steuersenkungen insbesondere für Reiche und Unternehmen sozusagen arm gemacht worden sind, dass sie ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen konnten, und genau das ist der Punkt, wo ich ansetzen will, nämlich an dem Punkt, dass wir zusätzliche Staatseinnahmen brauchen, zum Beispiel durch die Transaktionssteuer, die wir immer wieder fordern, zum Beispiel auch dadurch, dass wir die Steuerlast auch endlich auf die ausdehnen, die reicher und stärker sind, und dann könnten die Staaten auch handlungsfähig werden. Wenn wir das machen, was jetzt in dem Fiskalpakt vorgesehen ist, werden wir in Deutschland noch zusätzlich jedes Jahr 30 Milliarden einsparen müssen, was zum Beispiel bedeutet, dass wir uns die Frage stellen müssen, wie finanzieren wir zum Beispiel die Leistungen für Hartz IV oder Ähnliches mehr. Ich will damit nur sagen: Es gibt ja eine zweite Möglichkeit, die Staaten handlungsfähig zu halten, und das ist, sie auf eine vernünftige Steuerbasis zu stellen, und das stimmt für Deutschland nicht, das stimmt aber insbesondere auch für Irland und andere Krisenstaaten nicht, das stimmt übrigens auch für Griechenland nicht, wo ja eins der Grundprobleme ist, dass von den Leuten, die wirklich Steuern zahlen könnten, keine Steuern erhoben werden – mit der Folge, dass Griechenland insgesamt handlungsunfähig wird.
    Ich will nicht einer Neuverschuldung per se das Wort reden. Ich habe gesagt, es macht Sinn, eine Neuverschuldung dann zu machen, wenn sie wirtschaftlich vernünftig eingesetzt wird – zum Beispiel, um Wachstum zu generieren. Aber insbesondere geht es mir darum, die Staaten in eine wirtschaftliche Handlungsfähigkeit zu bringen, und dazu gehört eine vernünftige Steuerbasis.

    Heckmann: Die Steuern zu erhöhen, Herr Sommer, das dürfte doch die Wirtschaft erst recht abwürgen.

    Sommer: Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil! Wir wollen ja auch nicht eine allgemeine Steuererhöhung, sondern wir wollen dort eine Steuererhöhung ansetzen, wo es Sinn macht, zum Beispiel die Spekulation zu besteuern. Wir wollen dort sagen, wie auch viele Reiche selber sagen. Wenn Sie jetzt am Wochenende zum Beispiel die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" gelesen haben, wo der Chef der Post, der ja doch wohl gut verdient, sagt, die Reichen zahlen zu wenig Steuern, sie wären durchaus bereit, mehr Steuern zu bezahlen. Also es gibt durchaus ja auch auf der Seite der Unternehmen und Besitzenden Ansätze, die sagen, da stimmt etwas nicht, wir haben eine soziale Schieflage. Und im Übrigen haben wir ja auch die Auffassung, dass es noch andere Instrumente gibt, wie zum Beispiel eine Vermögensanleihe, wo man sagt, es gibt unglaublich viel privates Vermögen in wenigen Händen konzentriert, warum macht man nicht bei den Vermögenden eine Anleihe, um daraus zum Beispiel Zukunftsprogramme zu finanzieren. Also es gibt mehrere Möglichkeiten, die müssen nicht immer nur mit Neuverschuldung zusammenhängen. Aber was wir brauchen ist auf jeden Fall eine Refinanzierung der Staaten, dass sie handlungsfähig sind. Was wir momentan machen ist, dass wir die Staaten systematisch arm machen und damit handlungsunfähig.

    Heckmann: Herr Sommer, jetzt ist es ja so, dass die EU-Regierungschefs und –Staatschefs sich darauf verständigt haben, rund 82 Milliarden Euro in die Hand zu nehmen, um die Wirtschaft anzukurbeln, um die Wirtschaft gerade in den Krisenländern anzukurbeln, Jobs für Jugendliche zu schaffen. Das dürfte doch ganz in Ihrem Sinne sein, oder?

    Sommer: Ja, das ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung, allerdings ein zu halbherziger, weil der unseres Erachtens nicht ausreicht. Aber erst mal: Ich bleibe mal bei der positiven Seite. Wir haben immer wieder darauf gedrungen, dass die Wirtschaft angekurbelt werden muss, insbesondere in den Ländern, wo wir eine unglaublich hohe Arbeitslosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit haben. Es gibt ja in Europa nur drei Staaten, in der EU nur drei Staaten, die eine Jugendarbeitslosigkeit unter zehn Prozent haben. Das sind wir, das ist Österreich und das sind die Niederlande. Überall sind die Arbeitslosenraten deutlich darüber bei Jugendlichen, in Spanien 45 Prozent. Da muss man etwas tun durch öffentliche Investitionen, da muss man etwas tun durch Konjunkturprogramme, da muss man etwas tun durch Ausbildungsprogramme für Jugendliche, und von daher ist der Schritt richtig. Wir sind nur der Auffassung, A werden die 82 Milliarden nicht ausreichen. Die Summen müssten wesentlich größer sein.

    Heckmann: Wie groß müssten die Summen denn sein?

    Sommer: Ich hatte neulich mal ein Gespräch im Kanzleramt, da wurde mir gesagt, eigentlich sieht auch das Kanzleramt das so, dass man mindestens 300 Milliarden braucht, um da wirklich was Vernünftiges zu machen. Jetzt ist weniger als ein Drittel davon herausgekommen.

    Heckmann: Und wer soll das finanzieren? Ich meine, die staatlichen Haushalte sind leer gefegt.

    Sommer: Bei dem Thema waren wir eben schon mal, wie man das finanziert. Man finanziert es entweder über höhere Steuereinnahmen – da ist ja der Schritt, den Sarkozy jetzt angekündigt hat, sozusagen eine Finanztransaktionssteuer light einzuführen, ein Schritt in die richtige Richtung. Ich habe Ihnen eben schon mal gesagt, man kann das über eine Vermögensabgabe machen, die man dann wieder zurückzahlt, wenn die Konjunktur wieder angelaufen ist. Man kann es auch machen durch eine höhere Neuverschuldung; Letzteres ist ein Punkt, der wohl momentan der Punkt ist, der als Dritter erst nur infrage kommt. Aber man hat verschiedene Möglichkeiten. Nur wenn man es nicht tut, dann führt das zur Situation wie in Griechenland. Wir hatten in Griechenland im vergangenen Jahr allein durch die Wirkung dieses sogenannten Sparpakets einen Wirtschaftseinbruch von minus sechs Prozent. Minus sechs Prozent heißt, dass ist höher als das, was wir in Deutschland in der Lehman-Krise hatten, wo wir übrigens mit Konjunkturprogrammen, mit Kurzarbeit und mit aktiven staatlichen Maßnahmen gegengesteuert haben. Sonst wären wir nie aus der Krise herausgekommen. Wenn sie das nicht tun, verschärfen sie die Krise, und deswegen muss man schlicht und ergreifend Geld in die Hand nehmen, das ist ökonomisch nun leider so.

    Heckmann: Letztendlich, Herr Sommer, sind Sie, ist der Deutsche Gewerkschaftsbund auch dafür, dass die EZB, die Europäische Zentralbank, die Gelddruckmaschine anwirft. Ist Ihnen Geldwertstabilität nichts mehr wert?

    Sommer: Nein, das ist überhaupt nicht falsch. Wir wollen auch. Das hört sich immer so an, als ob wir jetzt die Notenpresse anwerfen wollten, so nach dem Motto, koste es, was es wolle. Uns geht es darum, dass man die ökonomischen Instrumente, die man hat, klug einsetzt. Dazu gehört auch, dass die EZB so eingesetzt wird, dass sie tatsächlich den Staaten hilft. Was sie heute macht ist: sie hilft den Banken. Sie verleiht für ein Prozent Geld an die privaten Banken, die dann Staatsanleihen für 7, 8, 9, 14 Prozent wieder refinanzieren. Das ist ein reines Bankenkonjunkturprogramm. Und wir stellen uns die Frage, warum man dieses Geld nicht direkt den Staaten zur Verfügung stellt, zum Beispiel indem man den europäischen Rettungsfonds mit einer Bankenlizenz ausstattet. Dann hätten wir viele dieser Probleme gelöst. Wir sind auch der Auffassung, dass die Europäische Zentralbank konjunkturstützend eingreifen muss. Die Geldwertstabilität ist ein Ziel, das andere Ziel muss es sein, dass die Konjunktur und die Wirtschaft insgesamt am Laufen gehalten werden, und das muss man vernünftig in Übereinstimmung bringen. Es gibt in Deutschland ja so eine Urangst, die wohl aus dem Jahre 1923 zielt, die ja immer wieder geschürt wird, als ob jede geldpolitische Maßnahme automatisch zu einer Hyperinflation führen muss. Das ist ja überhaupt nicht der Fall. Wenn man das klug macht und die Europäische Zentralbank ihre Gelder klug einsetzt und nicht nur zur Bankenrettung zur Verfügung stellt, sondern zur Staaten- und zur Gesellschaftsrettung zur Verfügung stellt, dann würde man sehr viel klügere Politik machen, als nur einseitig auf die sogenannte Geldwertstabilität zu gucken.

    Heckmann: Sie haben gerade eben schon, Herr Sommer, Nicolas Sarkozy erwähnt, der ja angekündigt hat, in Frankreich im Alleingang sozusagen ab August eine Finanztransaktionssteuer zu erheben. Dazu die Frage: Ist es jetzt Zeit, vonseiten Deutschlands, vonseiten derjenigen EU-Länder, die das auch wollen, nachzuziehen, und was würde das bringen, außer der Verlagerung von Finanzinstituten nach New York, nach London, nach Singapur?

    Sommer: Erstens: Wenn Frankreich das alleine macht, ist das natürlich nicht ausreichend. Es muss nach unserer Auffassung erfolgen mindestens im Euroraum, also im Euro der 17. Dann wäre das eine sehr starke Wirtschaftskraft, die dahinter steht, die dann auch eine Signalwirkung hätte. Natürlich wäre es am besten, wenn man es weltweit einführen würde. Nur alleine, wenn die Londoner City und die Wall Street sich dagegen wehren – und sie tun es ja und haben dann ja auch wohl ihnen hörige Regierungschefs, die dann verhindern, dass man das einführt -, dann muss man ja handeln. Die Alternative ist ja, dass zwei Staaten und zwei Finanzzentren auf der Welt jeden vernünftigen Fortschritt blockieren. Deswegen muss man den Schritt tun. Frankreich alleine reicht meines Erachtens nicht aus. Es reicht auch nicht aus, nur die Aktien zu besteuern oder mit einer Abgabe zu belegen, sondern es geht ja insbesondere darum, die Spekulationen zu belegen, das heißt zum Beispiel auch das, was sich im Bereich von Hedgefonds abspielt, was sich im Bereich von Computerhandel abspielt, übrigens auch mit Währungsspekulationen und Spekulationen zum Beispiel auch gegen den Euro, diese Spekulationen tatsächlich zu besteuern. Dann würde das helfen. Ich glaube, das ist eine Einsicht, die die deutsche Bundesregierung auch hat. Es ist jetzt überfällig, dass das im Euro-17-Raum eingeführt wird, und das würde unseres Erachtens auch einen so starken politischen Druck ausüben, dass andere Staaten nachziehen müssten. Und im Übrigen: Wenn die Spekulanten dann sich nach Großbritannien verziehen und dann anfangen, in Großbritannien gegen das Pfund zu spekulieren, dann wird sich auch die britische Regierung relativ schnell die Frage stellen, wie lange sie sich das eigentlich gefallen lassen kann, oder ob sie den Offenbarungseid gegenüber ihrer eigenen Bevölkerung leistet. Nur wenn man überhaupt nichts tut, dann heißt das schlicht und ergreifend, dass man letztendlich der Spekulation Tür und Tor öffnet und von den Finanzmärkten permanent vor sich hergetrieben wird – mit der Folge, dass Politik handlungsunfähig wird. Es geht jetzt auch darum, dass Politik wieder die Handlungsfähigkeit zurückgewinnt und sich freimacht von dem Druck der Finanzmärkte.

    Heckmann: Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, live hier im Deutschlandfunk. Herr Sommer, ich danke Ihnen für das Interview.

    Sommer: Ich danke Ihnen auch, Herr Heckmann.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.