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Flackernde Synapsen
Liveübertragung aus dem Gehirn von Fliegen

Mithilfe eines sogenannten Multiphotonenmikroskops haben Forscher der Universität Göttingen in das Gehirn von Fruchtfliegen geschaut. Das Besondere daran: Die Fliegen leben und riechen während der rund zehnstündigen Versuche verschiedene Duftstoffe. Das Spezialmikroskop erkennt dann quasi in Echtzeit die Nervenzellen und sogar die Synapsen, die beim Erkennen und Abspeichern der olfaktorischen Informationen aktiv werden.

Von Michael Engel | 22.04.2015
    Eine Stubenfliege in Nahaufnahme
    Eine Stubenfliege in Nahaufnahme (picture alliance / dpa/ Maximilian Schönherr)
    Die Fruchtfliegen von Ulrike Pech lieben Äpfel und hassen den Duftstoff 3-Octanol. Die Forscherin vom Institut für Zoologie und Anthropologie der Uni Göttingen gab ihnen beides zum Riechen, um mit dem Multiphotonenmikroskop zu beobachten, was dann im Gehirn - genauer gesagt - in den Synapsen der miteinander verschalteten Nervenzellen passiert.
    "Man sieht erst mal Fluoreszenz. Also wir haben Fluoreszenzmoleküle in den Neuronen. Die regen wir an. Und was man sieht, sind erst mal verschiedene Punkte, die leuchten. Und wenn ich jetzt der Fliege einen Duft gebe - von außen - dann leuchten da eben einzelnen Punkte auf. Das heißt, ich weiß, dort diese Synapsen sind gerade aktiv."
    Aus gerade mal 150 Nervenzellen besteht der untersuchte Nervenknoten im Fliegenhirn. Wie sich der Nervenimpuls dort ausbreitet, erkennt die Forscherin am Flackern einzelner Nervenzellen und der dazugehörigen Synapsen. Die Biologin ist quasi live dabei, wenn die Fliege riecht:
    "Wir haben so eine kleine, selbst gebastelte Kammer, in die eine Fliege recht gut rein passt. Und in diesem kleinen Gang sitzt ein Kopfkissen, wo der Kopf der Fliege draufgelegt werden kann. Und dann können wir durch den Klebestreifen hindurch in die Cutikula ein Fenster schneiden. Das heißt, die Fliege an sich ist unversehrt. Wir haben nur ein Loch, durch das wir direkt in das Gehirn reinschauen können und dann auch mit dem Mikroskop reinfokussieren können."
    Multiphotonenmikroskope können tief in das Gewebe hinein schauen. Sie erkennen dabei aber nur fluoreszierende Substanzen, die in den Nervenzellen normalerweise nicht vorkommen. Deshalb müssen die Tiere genetisch verändert werden, damit sich Sensorproteine in den Synapsen bilden. Diese wiederum fangen an zu leuchten, wenn elektrische Impulse einlaufen. Bei mehreren Impulsen hintereinander fangen die Synapsen sogar an zu flackern, erklärt André Fiala, Leiter der Arbeitsgruppe Molekulare Neurobiologie des Verhaltens:
    "Wir haben damit eine Methode geschaffen, um viele Synapsen auf einmal in einem lebenden Tier anzuschauen. Was man mittlerweile sehr gut kann, ist auf einzelne Synapsen zu schauen und die Physiologie einzelner Synapsen zu untersuchen, oder die Synapsen in Gewebepräparationen oder in kultivierten Zellen zu beobachten. Unser Ziel ist es, die Aktivität von vielen, vielen Nervenzellen und von vielen Synapsen in einem Kontext zu beobachten, in dem das Tier noch lebt und Reize wahrnehmen kann."
    Auf diese Weise lassen sich Lern- und Gedächtnisprozesse untersuchen, die im Gehirn ablaufen und in Form von Leuchterscheinungen sichtbar werden: Live im lebenden Tier. Ob Apfel, Banane oder 3-Octanol: Jeder Duft, so ein Ergebnis der Versuche, aktiviert ganz unterschiedliche Nervenzellen im Gehirn der Fliege. Die Impulse lassen sich genau detektieren. Ihre Interpretation dürfte die Forscher allerdings noch lange beschäftigen. Fiala:
    "Also, ich habe nicht den Eindruck, dass uns die Forschungsthemen in nächster Zeit ausgehen. Im Gegenteil, es wird immer spannender, weil man immer mehr über das Gehirn lernt. Aber wie komplexe Nervennetze arbeiten, wie Information kodiert wird, wie gelernt wird, das ist noch in einem so hohen Masse unverstanden, dass ich überzeugt bin, dass noch viele Jahrzehnte genug Forschungsarbeit vor uns liegt."