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Flake: "Heute hat die Welt Geburtstag"
Inside Rammstein

Christian Lorenz, den als Keyboarder der Band Rammstein alle nur Flake nennen, hat mit dem ersten Teil seiner Memoiren einen unerwarteten Bestseller gelandet. Nun ist der zweite Teil mit dem Titel "Heute hat die Welt Geburtstag" erschienen, in dem der Autor aus dem Innenleben der erfolgreichsten deutschen Rockband berichtet.

Von Maik Brüggemeyer | 22.11.2017
    Flake Lorenz bei einem Konzert mit Rammstein in Berlin
    Flake auf der Bühne: Im Buch erzählt er über ganz normale Tage im Tourleben der Band. ( imago/Kai Horstmann)
    In seinem Leben sei eigentlich nichts Spektakuläres passiert, über das man berichten müsste, schrieb der Musiker Christian Lorenz in seinem ersten, äußerst erfolgreichen Erinnerungsband "Tastenficker" von 2015. Doch als der 1966 in Ost-Berlin geborene Autor, der schon seit seiner Kindheit nach dem Wikingerdorf aus der Zeichentrickserie "Wicki und die starken Männer" "Flake" gerufen wird, nach fast 400 Seiten am Ende seines Buches angekommen war, fiel ihm auf, dass er noch gar nichts über die Zeit in der Band erzählt hatte, die ihn zum Weltstar machte: Rammstein. Das holt er nun in seinem zweiten Erinnerungsbuch, "Heute hat die Welt Geburtstag", nach.
    Rammstein sind die international erfolgreichste deutsche Band der vergangenen Jahrzehnte. Wahrscheinlich, weil sie die dunklen und gefährlichen Seiten eines Deutschlandbildes beleuchten, das man auf der ganzen Welt aus alten Schwarz-Weiß-Dokumentationen kennt. Das hat auch für den ein oder anderen Skandal gesorgt. Ihre zu harten Gitarren mit böser Märchenonkelstimme vorgetragenen Lieder über Fleischeslust, Perversion und Totschlag inszenieren die Brachialromantiker mit pyrotechnisch ausgefeilten Bühneninszenierungen.
    "Und Rock'n'Roll, was ist das überhaupt?"
    Diese bedienen sich beim deutschem Expressionismus, bei wagnerianischem Größenwahn, sado-masochistischen-Praktiken und proto-faschistischen Ästhetisierungen von Gewalt und Krieg. Man erwartet also nicht ohne Grund in dem vorliegenden Buch eine gehörige Portion guten alten schockierenden Rock'n'Roll zu finden. Doch Flake nimmt dieser Erwartung gleich auf den ersten Seiten den Wind aus den Segeln:
    "Der Rock'n'Roll ist längst nicht mehr das, was er mal war, würde ich behaupten. Es ist natürlich fraglich, ob ich ein kompetenter Gesprächspartner zu dem Thema bin, nur weil ich Musik mache. So richtig Ahnung habe ich übrigens von überhaupt nichts. Und Rock'n'Roll, was ist das überhaupt? War das nicht diese lustige Musik, die unsere Eltern früher gehört haben? Oder waren das unsere Großeltern? Waren die nicht dabei, als dieser Bill Haley kurz nach dem Krieg in der Deutschlandhalle gespielt hat? Oder war das die Waldbühne? Für uns Kinder der DDR war das egal, wir konnten mit den beiden Namen nicht viel anfangen, und auch später als Jugendliche kannten wir kaum mehr als den Kulti und das Haus der jungen Talente. Manche der Talente waren allerdings schon über siebzig, aber die spielten den Blues, da war das in Ordnung."
    Flake, der sich selbst seit seiner Jugend eher als Punk sieht denn als Rocker, ist ein bescheidener Mann. Er weiß natürlich viel mehr, als er hier zugibt. Aber den Eindruck, der Rock'n'Roll sei nicht mehr das, was er mal war, bestätigt er auf den folgenden 350 Seiten. Er erzählt von einem ganz normalen Tag auf Tour mit Rammstein.
    Am liebsten nach getaner Arbeit nach Hause gehen
    Die Band spielt an diesem Abend in Budapest. Es ist noch eine Weile hin zum Konzert. Und Flake ist der erste, der zur Halle fährt. Er schildert die Desorientierung des sich ständig zwischen den Orten befindenden Reisenden, die Sprachlosigkeit im Ausland, das Verschwimmen der Tage und Wochen, die Rituale, die er und seine Bandkollegen vor dem Konzert pflegen, die Inszenierung auf der Bühne und die Leere nach der Show. Am liebsten würde er nach getaner Arbeit einfach nach Hause gehen, schreibt er.
    Band Rammstein bei der Filmpremiere "Rammstein Live in Paris" in der Berliner Volksbühne: Richard Zven Kruspe, Paul Landers, Oliver Riedel, Christian Lorenz, Christoph Schneider und Till Lindemann.
    Band Rammstein bei der Filmpremiere "Rammstein Live in Paris" in der Berliner Volksbühne: Richard Zven Kruspe, Paul Landers, Oliver Riedel, Christian Lorenz, Christoph Schneider und Till Lindemann. (imago/Tinkeres)
    "Es soll auch Musiker geben, die nach einem Konzert sogar in ihrer Heimatstadt im Hotel wohnen, damit sie sich gut fühlen. Sie wollen mit ihrer Leere nach dem Konzert die Familie nicht belasten. Sagen sie zumindest. Aber vielleicht wird man wirklich nachdenklich, wenn das Konzert vorbei ist und alle Leute gegangen sind. Dann ist ja alles, wofür man berühmt ist, schlagartig vorbei. Man ist dann nur noch ein kleiner Mensch. Mit klein meine ich jetzt natürlich nicht die physische Größe, sondern eher die Unwichtigkeit in der Masse."
    Mehr als ein Tourtagebuch
    Doch "Heute hat die Welt Geburtstag" ist mehr als ein Tourtagebuch, zwischen die Routinen streut Flake im ihm eigenen Plauderton immer wieder Anekdoten aus der Rammstein-Geschichte ein. Vom Ende seiner vorherigen Band Feeling B, über erste Proben im Keller der Berliner Kulturbrauerei und Konzerte vor einer Handvoll Leute im Osten bis zum großen Erfolg.
    Doch auch hier bleibt er bescheiden und humorvoll. Der absolute Kunstwille und Provokationsdrang, der den Inszenierungen seiner Band immer eigen war, findet sich in seiner Prosa nicht. Er ist der lustige Außenseiter innerhalb der Band, der etwas schusselige Faxenmacher zwischen lauter bösen Jungs, der sich auf der Bühne ebenfalls wie ein böser Junge gibt. Bis auf eine Festnahme, nachdem Flake und Sänger Till Lindemann auf der Bühne für die Behörden im prüden Massachussetts allzu explizit sexuelle Handlungen angedeutet hatten, geht er auf keinen einzigen Skandal ein.
    Harmloses, aber sehr unterhaltsames Buch
    Die Aufregung um den Videoclip zur Rammstein-Version des Depeche-Mode-Songs "Stripped" etwa, in dem Regisseur Philip Stölzl Bilder aus Leni Riefenstahls von Joseph Goebbels in Auftrag gegebener Olympia-Dokumentation verwendet hatte, kommt nicht vor, auch eine generelle Stellungnahme zu den Vorwürfen, sich einer faschistoiden Ästhetik zu bedienen, sucht man vergeblich.
    "Heute hat die Welt Geburtstag" ist ein harmloses, aber sehr unterhaltsames Buch eines - wie es scheint - sympathischen Menschen, der in einer Band spielt, die gern mal ein bisschen böse ist.
    Flake "Heute hat die Welt Geburtstag"
    S. Fischer, Frankfurt 2017. 366 Seiten, 20 Euro