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Fliegen-Genetik
Der Apfel fällt doch weit vom Stamm

Forscher aus Sydney haben bei einer australischen Fliegenart eine mehr als ungewöhnliche Eigenschaft in der Fortpflanzung entdeckt: Offenbar kann ein früherer Sexualpartner die Entwicklung der Eier eines Weibchens beeinflussen - auch wenn sein Samen die Eier gar nicht befruchtet hat. Eigentlich schließt die moderne Genetik solche Mechanismen aus.

Von Lucian Haas | 20.10.2014
    Fliegeneier in einer Dose
    Fliegeneier in einer Dose (JENNY GOLDHAWK-SMITH / AFP)
    Telostylinus angusticolis ist eine Fliegenart aus der Gattung der Neriiden, die in Australien beheimatet ist. Für die Evolutionsforscherin Angela Crean und Kollegen von der University of New South Wales in Sydney ist sie als Forschungsobjekt besonders interessant.
    "Diese Fliegen werden in ihrer Entwicklung stark von der Umwelt beeinflusst. Was männliche Fliegen als Maden zu fressen bekommen, bestimmt später ihre Körpergröße. Und die geben sie an ihre Nachkommen weiter."
    Schlecht genährte Maden werden zu kleinen Männchen, deren Nachkommen auch dann noch etwas kleiner bleiben, wenn sie als Maden bestes Futter bekommen. Angela Crean fragte sich, inwiefern die Körpergröße über die Gene oder auf anderen Wegen vererbt wird. Um das herauszufinden, machte sie ein Experiment. Sie ließ junge Fliegenweibchen, deren Eier im Körper noch nicht ausgereift waren, erst von den kleinen Männchen begatten. Einige Tage später, mit nun reifen, also befruchtbaren Eiern, bekamen die Fliegenweibchen größere Männchen als Sexualpartner geboten. Interessanterweise blieben deren Nachkommen alle klein, obwohl Genanalysen eindeutig die Vaterschaft der großen Männchen belegten.
    "Ein Fliegenmännchen kann offensichtlich die Entwicklung der Eier eines Weibchens beeinflussen, auch wenn seine Samen die Eier gar nicht selbst befruchten. Unsere Analysen zeigen, dass die zweiten Männchen die Eier befruchtet haben. Die Entwicklung der Eier wurde dennoch von irgendetwas in der Samenflüssigkeit des ersten Männchens geprägt."
    Nach modernen Erkenntnissen dürfte es Telegonie nicht geben
    Eine solche Form der Übertragung von Eigenschaften früherer Sexualpartner auf die Nachkommen anderer wird Telegonie genannt. Selbst Charles Darwin, der Vater der Evolutionstheorie, glaubte einst, dass solche Mechanismen in der Natur vorkommen. Diese Einschätzung änderte sich aber mit den Erkenntnissen der modernen Genetik, wonach die Vererbung allein durch die Gene bestimmt wird. Telegonie dürfte es demnach gar nicht geben. Für Angela Crean kam die Beobachtung deshalb überraschend.
    "Als wir das erste Mal die Daten der Körpermaße der Fliegen anschauten, und sich darin kein Effekt des Vaters zeigte, sondern alles nur vom früheren Sexualpartner bestimmt war, da waren wir geschockt. Wir dachten: Wow, wie erklären wir denn das jetzt?"
    Von dem Schock hat sich Angela Crean wieder erholt. Jetzt sucht sie Antworten auf Fragen nach dem Wie und Warum der Fliegen-Telegonie. Mit weiteren Experimenten will sie zum einen herausfinden, welcher Bestandteil der Samenflüssigkeit so prägend wirkt. Zum anderen geht sie der Frage nach, welche Rolle die Telegonie bei der Evolution der Fliegen spielen könnte. Beispielsweise wäre denkbar, dass Weibchen Telegonie gezielt ausnutzen, um ihren Nachkommen manche Eigenschaften bevorzugter Männchen zu verleihen, auch wenn sie im Zuge ihres Fliegenlebens nicht allein mit diesen Männchen Sex haben.