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Florence Foster Jenkins in zwei Filmen
Doppelt schräg

Die New Yorkerin Florence Foster Jenkins ging als "schlechteste Opernsängerin der Welt" in die Geschichte der Carnegie Hall ein, an der sie 1944 auftrat. Der Regisseur Stephen Frears und der Dokumentarfilmer Ralf Pleger haben zwei sehr unterschiedliche Filme über Jenkins gedreht.

Von Kirsten Liese | 14.11.2016
    Die US-Sopranistin Florence Foster Jenkins (1869 – 1944): berühmt für ihr komplett fehlendes Gesangstalent
    Berühmt auch ohne Talent: Florence Foster Jenkins (imago / United Archives International)
    Musik: Florence Foster Jenkins singt
    Schiefe Töne dringen aus dem Schalltrichter des Grammophons, selbst ein ungeschultes Ohr vernimmt, dass Florence Foster Jenkins kein Gespür besitzt für Intonation und Rhythmus. Dennoch geht von der "schlechtesten Opernsängerin der Welt" eine geheimnisvolle Faszination aus. Und der spüren die Filmemacher Stephen Frears und Ralf Pleger unterschiedlich nach.
    Meryl Streep als Florence Foster Jenkins
    Frears entdeckt hinter der exzentrischen Schale den sensiblen Kern der 1868 geborenen Amerikanerin, trotz ihres späten Reichtums hatte sie es in ihrem Leben nicht leicht. Ihr Vater lehnte es ab, ihr ein Gesangsstudium zu finanzieren, ihre Klavier-Karriere musste Foster Jenkins aufgeben, nachdem sie sich bei ihrem ersten Ehemann, der an der Syphilis erkrankt war, angesteckt hatte. Den großen Traum der Musik lässt sie sich dennoch nicht nehmen, das reiche Erbe ihres Vaters macht ihn möglich. Selbstbewusst nimmt sie im reiferen Alter Gesangsunterricht bei einem Mann, der sie mit Komplimenten überhäuft, um sein fürstliches Honorar nicht zu gefährden.
    Filmszene (Gesangsstunde, schiefes Trällern) Lehrer: Sie haben niemals besser geklungen. Florence: Maestro, es ist wohl wahr, dass viele Sängerinnen sich im Alter verschlechtern, aber ich werde anscheinend besser und besser. Lehrer: Allerdings. Kaum zu glauben, nicht? – Nun, ich bin nun mal gesegnet. – Es gibt niemanden, der so ist, wie sie.
    Mit der großartigen Meryl Streep verkörpert die denkbar beste Schauspielerin in Frears amüsanter Hommage die Sängerin mit den schrillen Tönen. Sie imitiert sie aufs Trefflichste, scheut dabei auch nicht vor den waghalsigen Arien der Königin der Nacht oder der Glöckchenarie aus "Lakme" zurück, die Foster Jenkins in ihrer grenzenlosen Selbstüberschätzung auf Platte aufnahm. Mit einem Gesangscoach bereitete sich Meryl Streep darauf vor:
    "Ich dachte mir, das kann ja was werden, so gut wie Florence Foster muss man erst mal singen können, das war eine Herausforderung! Ich habe mein Möglichstes gegeben. Und im zweiten Schritt habe ich mich dann bemüht, absichtlich falsch zu singen. Ich habe mir dabei allerdings nicht überlegt, wie Florence gesungen hat, sondern wie meine Florence die Arien hinbekommen würde."
    Liebenswürdige Darstellung der Diva
    Meryl Streep läuft dank ihres großen Respekts vor ihrer Figur nicht Gefahr, sie lächerlich zu machen oder als eitle, geltungssüchtige Schrulle zu denunzieren. Stets begleitet ihren Vortrag ein liebenswertes Augenzwinkern.
    "Auf ihren Platten kann man ihren Atem hören. Sie holt immer einen Tick zu spät Luft, um rechtzeitig die Note zu treffen. Aber ihr Anspruch ist spürbar, ihre Sehnsucht, ihre Liebe zur Musik wie nah sie ihren Idealen kommt, das finde ich großartig."
    Die Musik steht in dem Film von Stephen Frears jedoch nicht im Vordergrund. Das Wesen seiner Protagonistin vermittelt sich entscheidend über ihre zwischenmenschlichen Beziehungen: Da ist die großzügige Förderin, die dem geldklammen Star-Dirigenten Toscanini große Schecks ausstellt. Und da ist eine Frau, die an sich glaubt und sich mit aller Kraft ihren Lebenstraum erfüllt.
    Das imponiert allen voran ihrem Manager und Lebensgefährten St. Clair Bayfield, der sie vor der bitteren Wahrheit schützt, indem er dafür sorgt, dass stets ausreichend Claqueure in ihren Konzerten präsent sind, die den Schwindel mitmachen. Und auch dem Pianisten Cosmé McMoon, auch wenn ihm ziemlich mulmig wird, als er von den ehrgeizigen Auftrittsabsichten seiner Gönnerin in der Carnegie Hall erfährt:
    Filmszene McMoon: Wir werden da draußen gelyncht. Bayfield: Denken sie, dessen bin ich mir nicht bewusst? 25 Jahre hielt ich die Spötter und Nörgler auf Abstand. Mir ist sehr wohl bewusst, wozu sie fähig sind. Aber Florence ist mein Leben. Ich liebe sie und denke, Sie lieben sie auch. Die einzige Frage ist nun, stehen sie ihrer Freundin und Förderin bei in der Not oder konzentrieren sie sich auf ihre Ambitionen? Bitte Cosmé, spielen Sie für ihre Freundin.
    Joyce DiDonato als "Dissonanzenkönigin"
    Für Ralf Pleger wird das legendäre Konzert der damals 76-Jährigen in der Carnegie Hall im Jahr 1944 zum Ausgangspunkt eines essayistischen Dokumentarfilms.
    Hier spielt und singt die geniale Mezzosopranistin Joyce DiDonato die "Königin der Dissonanzen". Ein raffinierter Kunstgriff, stellt sich doch auf diese Weise dar, wie sich die Möchtegerndiva möglicherweise selbst gehört hat. Mit Furor verkörpert Joyce DiDonato also die perfekte Primadonna, die Foster Jenkins gerne gewesen wäre.
    "Es geht um Selbsttäuschung, das betrifft uns alle. Wir haben ein Bild von uns, das nicht unweigerlich damit korrespondiert, wie die Welt uns sieht. Ich fand es sehr spannend, das am Beispiel einer so extravaganten Persönlichkeit herauszustellen."
    Musik: DiDonato on Gold mit Flügeln
    "Als ich sie zum ersten Mal gehört habe, war ich 21. Jemand legte eine Langspielplatte mir ihr auf, dann kam dieser Moment des Staunens, ist das real, hat sich das tatsächlich zugetragen? Dann natürlich großes Gelächter und Fassungslosigkeit. Im Zuge des Films habe ich meine Liebe für sie entdeckt, sie war eingebildet, verletzbar, instabil, selbstsicher, kämpferisch, unangepasst, und so wie sie das durchgesetzt hat, wovon sie überzeugt war, auch eine Feministin. Sie ist unglaublich faszinierend!"
    Zahlreiche Experten, die in Plegers Film zu Wort kommen, stellen bei alledem die Hypothese auf, dass Foster Jenkins bereits vorwegnahm, was die amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag später als "Camp" bezeichnete, also eine von Begeisterung getragene, unfreiwillig naive Form der Kunst. Dazu passt es, dass sich Foster Jenkins mit pompösen Kostümen vor aufwändigen Kulissen und mit Statisterie in Szene setzte und ihre Erfolge ihrer stimmlichen Meisterschaft zuschrieb, während sich das Publikum an ihrem skurrilen Dilettantismus berauschte.
    Dokumentation als stilisiertes Kunstwerk
    In dem Film "Die Florence Foster Jenkins Story" wird diese schwülstige Ästhetik zu einem tragenden Element, Pleger bereitet seiner Diva mit nachinszenierten "lebenden Bildern" eine Bühne, die über einen klassischen Dokumentarfilm hinausgehen und ihn zu einem Kunstwerk stilisieren, das man ebenfalls als Camp bezeichnen könnte. Mal in Gold, mal ganz in Pink erstrahlt Joyce DiDonato in Gewändern, die jeden Travestie-Star vor Neid erblassen lassen - vor opulenten Dekorationen und umringt von leicht bekleideten Komparsen.
    Musik: Foster/ DiDonato Montage
    Die Traumreisen ins Unbewusste täuschen nicht darüber hinweg, dass die Camp-Künstlerin Foster Jenkins nach ihrem spektakulären Auftritt in der Carnegie-Hall ein trauriges Ende nahm. Der gnadenlose Verriss des unbestechlichen Kritikers in der "New York Times" hat ihr das Herz gebrochen.
    So wie sich Joyce DiDonato am Ende auf einer Wendeltreppe den Blicken des Zuschauers entzieht, während unaufhörlich das Telefon schellt, und Pleger mit klanglichen Collagen von Original und Belcanto-Gesang reizvoll die Mittel des Experimentalfilms auslotet, ist ihm der künstlerisch anspruchsvollere Film gelungen. Davon abgesehen ergänzen sich die so unterschiedlichen Produktionen ideal.