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Floß nach Madagaskar

Biologie. - Madagaskar ist die viertgrößte Insel der Erde - und einer der biologischen Hotspots dieser Welt. Die Frage ist nur, wo die Wurzeln für diese Vielfalt liegen. Simulationen eines Klimamodellierers zeigen jetzt, dass die Urahnen der Tiere mit Flößen auf die Insel übersetzten.

Von Dagmar Röhrlich | 21.01.2010
    Vor mehr als 100 Millionen Jahren trennte sich Madagaskar vom Südkontinent Gondwana. Seitdem ist es eine Insel, und die Evolution der Pflanzen und Tiere ging eigene Wege:

    "Viele Tiere auf Madagaskar gibt es nur dort und nirgends sonst auf der Welt. Jedoch ist es für Biologen und Paläontologen ein Rätsel, wie die Insel zu ihren einzigartigen Säugetieren gekommen ist."

    Zwei Hypothesen gebe es, erklärt Matthew Huber von der Purdue Universität in West Lafayette, Indiana. Bei der ersten sollen die Ahnen der Lemuren oder der igelverwandten Tenreks oder der Raubtiere wie den Fossa über versunkene Landbrücken gelaufen sein. Diese Idee ist ein "Fossil" aus der Zeit vor der Plattentektonik, als Kontinente unverrückbar schienen und zwischen ihnen aus dem Meer auf- und abtauchende Landbrücken Verbindungen herstellten:

    "Diese Hypothese birgt gewaltige Probleme: Sie ist physikalisch gesehen unmöglich. Außerdem: Warum sollten über diese Landbrücken von Afrika her nur kleine Tiere gelaufen sein und nicht auch große wie Elefanten oder Löwen?"

    Für Geowissenschaftler ist es klar - nur die zweite Hypothese ist möglich:

    "Vor fast 70 Jahren hatte der berühmte Biologe George Gaylord Simpson erklärt, dass sich diese besondere Tierwelt Madagaskars am besten erklären lässt, indem die Ahnen dieser Tiere auf Treibholz angetrieben wurden. In Afrika stürzt ein Baum mit ihnen in einen Fluss, wird aufs Meer getrieben und erreicht Madagaskar."

    Das Problem: Heute wäre das schlichtweg unmöglich, denn die Meeresströmungen fließen in die falsche Richtung. Huber:

    "Ich verdiene meinen Lebensunterhalt als Klimamodellierer, und zwar simuliere ich die globalen Windsysteme und die damit verbundenen Meeresströmungen in den besonders warmen Phasen der Erdgeschichte. Deshalb rief mich der Geophysiker Jason Ali von der Universität Hongkong an, der an Rekonstruktionen arbeitet, wann welcher Kontinent wo gelegen hat. Ihn interessiert, wie die Säugetiere nach Madagaskar gelangt sind, und er wollte von mir wissen, wie die Meeresströmungen vor 55 bis 35 Millionen Jahren ausgehen haben. Zufälligerweise hatte ich das gerade gerechnet und die Ergebnisse bei der Hand."

    Matthew Huber setzt die Modelle ein, mit denen auch für den Weltklimareport IPCC berechnet wird, wie sich Windsysteme und Ozeanzirkulation durch den Klimawandel verändern. Nur dass er die Vergangenheit betrachtet. Bekannt ist, dass Afrika und Madagaskar zu der Zeit, als die ersten Ahnen der heutigen Insel-Säugetiere ankamen, etwas mehr als 400 Kilometer weiter südlich lagen als heute - und damit in einem anderen Meereswirbel:

    "Wenn man sich von einem Meereswirbel zum anderen bewegt, verändern die Strömungen ihre Richtung. In der Zone, in der Afrika und Madagaskar damals lagen, flossen die Meeresströmungen genau andersherum als heute. Das bedeutet, dass ein Baumstamm von Afrika nach Madagaskar treiben konnte und damit auch die Tiere, die eventuell auf ihm saßen. Sie mussten nur schnell genug in Madagaskar ankommen, ehe sie verdursteten."

    Ein Riesenglück brauchten die Tiere also schon, denn selbst im schnellsten Fall dauerte die Reise wohl drei Wochen: für die kleinen Fellbündel eine lange Zeit auf dem Meer. Allerdings musste nur eine Handvoll trächtiger Weibchen durchkommen:

    "DNA-Untersuchungen zeigen, dass die Wirbeltiere in Einzelschüben kamen, die mehrere Millionen Jahre auseinander lagen - und zwar bis vor etwa 25 Millionen Jahren. Dann veränderte sich die Strömung, und die Reise wurde unmöglich."

    Matthew Huber ist stolz darauf, dass seine eingesetzten IPCC-Modelle so gut funktionieren, dass sie ein biologisches Phänomen erklären. Aber der Gegenschluss ist ihm ebenso wichtig: Da die Simulationen für die Vergangenheit gute Ergebnisse liefern, wird der Blick in die Zukunft wohl auch brauchbar sein.