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Flucht aus dem Altenheim

Nachdem im Frühjahr bereits in französischen und britischen Filmen Senioren das Kino eroberten, inszeniert Regisseur Bernd Böhlich nun mit "Bis zum Horizont dann links" auch eine deutsche Komödie, deren Hauptfiguren die Insassen eines Altersheims sind. Bei einem Ausflug gelingt den rüstigen Rentnern die Flucht.

Von Josef Schnelle | 07.07.2012
    "Morgen."
    "Morjen."
    "So Herr Tiedgen, jetzt kommt ihr Besuch. Jetzt spielen Sie mal nicht den Überraschten. Wir haben doch alles besprochen. Die 23 ist noch nicht fertig, obwohl es der Maler versprochen hat. Dann müssen wir eben mal ein bisschen zusammenrücken. Außerdem ist es ja nur vorübergehend."
    "In meinem Alter ist alles vorübergehend."
    "Nicht immer so pessimistisch Herr Tietjen. Etwas Abwechslung tut immer gut."

    Schwester Amelie hat den Kommandoton schon gut drauf mit dem das Seniorenheim "Abendstern" geführt wird. Doch bei Herrn Tiedgen beißt sie auf Granit. Neue Zimmergefährten, Lesenachmittage und Bewegungstherapie sind ihm ein Graus. Aber daraus besteht im Wesentlichen der routiniert ablaufende Alltag des letzten Domizils von zwei Dutzend rüstigen Rentnern. Bei einem eigentlich verbotenen nächtlichen Ausflug macht er eine bestürzende Entdeckung, bei der ihm eine Waffe in die Hände fällt. Außerdem begegnet er Annegret, die eben erst ins Heim abgeschoben worden ist. Noch kommt ihr Sohn mit einem schlechten Gewissen immer Mal wieder vorbei und preist seiner immer noch attraktiven Mutter die Vorzüge des Altenheims an.

    "Du Mama –ihr macht übermorgen einen Rundflug."
    "Ach, das hätt' ich nicht gedacht, dass ich so schnell in den Himmel komm."
    "Ach Mutter, jetzt hör mal auf. Das ist doch wirklich wie im Paradies."

    Der Rundflug in einer historischen JU52 bringt mehr als den geplanten frischen Wind in den Alltag der Senioren. Tiedgen plant nämlich etwas Unerhörtes. Er will noch einmal das Meer sehen. Kaum ist die Maschine über den Wolken, täuscht er technisches Interesse vor, um ins Cockpit zu gelangen und zieht die Waffe. Er muss aber auch seine Mitreisenden noch überzeugen bei dieser "Kleinen Flucht" mitzumachen. Unter dem Dröhnen der alten Propellermotoren weiß er sie jedoch zu überzeugen.

    "Das ist – Das ist – Eine – Eine – Flugzeugentführung."

    Aber erst die bisher unerfüllte kriminelle Energie von Herrn Tiedgen, der damit außerdem Annegret Simon imponieren möchte, macht das Fluchtprojekt so richtig spannend. Das Benzin reicht natürlich nicht weit. Ein bisschen Unterstützung durch die verdutzten Rundflugpiloten ist auch nötig und gerade in Wien sind noch manche Schwierigkeiten zu überwinden. Doch nicht einmal zwölf Stunden nach dem sie das Altersheim verlassen haben, stehen die Helden dieser Geschichte dann schließlich sichtlich gerührt am griechischen Strand.

    Eine solche Heldentat hätten sie sich selbst nicht mehr zugetraut. Alle haben etwas dazu gelernt, sogar Betreuungsschwester Amelie, die gar nicht so freiwillig mitgekommen war auf diesen seltsamen Trip in die Sonne. Eine vertrackte Komödie mit einer gar nicht so alten und ziemlich lebendigen Starbesetzung. Wie anders könnte man die Endlichkeit des Lebens besser begreifen, als mit den Füßen im Meer. Und so geschehen allerlei Wendungen im Leben der Senioren, die sich schon an das Altersheimeinerlei gewöhnt hatten.

    Mit leichter Hand hat Regisseur Bernd Böhlich eine kluge Komödie gedreht, die auch vor Klamauk nicht zurückschreckt. Für den ist vor allen Dingen Meistermime Otto Sander zuständig. Sollte der heute 71-Jährige einmal in ein Seniorenheim geraten, ist ihm jeder Coup zuzutrauen. Am Leipziger Hauptbahnhof hat der Verleih zum Start des Films zwei große Werbetransparente anbringen lassen, die die Front beherrschen. Auf der linken Seite präsentiert sich ein verschmitzt lächelnder Otto Sander, der dem Engel Cassiel aus Wim Wenders "Der Himmel über Berlin" von 1987 doch immer noch sehr ähnelt. Auf der rechten Seite ihm zugewandt ist Angelika Domröse zu sehen, die Titelheldin des DDR-Kultfilms "Die Legende von Paul und Paula" von Heiner Carow.

    In "Bis zum Horizont dann links" spielt sie die fantasievolle und patente Annegret. Auch ein Aspekt des Films: Schauspielikone West trifft auf Schauspielikone Ost. Eine späte Hommage an zwei deutsche Filmtraditionen – an die Filme der Defa, deren Tonfall im Film durchaus zu entdecken ist und an den westdeutschen Autorenfilm als Gegenkultur. Regisseur Bernd Böhlich ist übrigens Absolvent der Filmhochschule Potsdam Babelsberg. Diplomjahrgang 1982 - vor der Wende.