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Flucht vor der Armut

Die Zahl der Armutsflüchtlinge aus Bulgarien und Rumänien nach Deutschland steigt stetig. Die Kommunen haben jetzt Alarm geschlagen. Man sorgt sich um den sozialen Frieden in den Städten und fordert Hilfe von der Bundesregierung.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 21.04.2013
    Ionel kramt in einer Plastiktüte, er zieht Formulare und ungeöffnete Behördenpost hervor – ein ganzer Papierstapel landet auf dem Wohnzimmertisch. Seine vier Kinder, Freunde und Nichten sitzen um ihn herum – 13 Rumänen zusammengequetscht auf billigen Sofas im Wohnzimmer einer kleinen Dreizimmer-Wohnung mitten in Duisburg-Rheinhausen. Vor knapp fünf Monaten ist Ionel, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte, mit seiner Familie aus Rumänien hierher gekommen:

    Ionel hofft auf Arbeit und auf das Kindergeld, das er in Deutschland beantragen kann. In seiner alten Heimat, erzählt der 38-Jährige, habe er sich als Tagelöhner durchgeschlagen …

    In Duisburg, sagt Ionel, werde das Leben auch schwer werden, aber hier hofft er wenigstens auf eine anständige Arbeit, um seine Kinder ernähren zu können.

    Umringt von Ionels Kinderschar sitzt Veronica Borgovan vor dem Papierberg, stellt Fragen, übersetzt und kämpft sich durch die Formulare. Die 60-Jährige arbeitet in der Beratungsstelle ZOF e.V. für zugewanderte Rumänen und Bulgaren. Jeden Mittwochnachmittag macht sie Hausbesuche. Ionel braucht dieses Mal Hilfe für seine drei taubstummen Kinder. Die Familie wartet dringend auf einen Schwerbehinderten-Ausweis:

    "Dafür verlangen die natürlich als erstes: Wer ist der behandelnde HNO-Arzt?"

    Damit fangen die Probleme schon an. Die Familie hat keinen Arzt in Deutschland, denn ohne Arbeit kann sie sich keine Krankenversicherung leisten. Veronica Borgovan kennt viele dieser Geschichten:

    "Ich bekomme sehr, sehr viel Frust mit, denn die Leute fühlen sich ja total frustriert, dadurch, dass sie nicht selber in der Lage sind, alle Probleme, die sie haben, zu lösen. Die verstehen ja einfach nicht, was man denen sagt, sie bekommen irgendwelche Termine bei Behörden, beim Arbeitsamt, bei der Polizei oder sonst wo, gehen da hin und verstehen überhaupt kein einziges Wort."

    So geht es den meisten der gut 7.000 Armutsflüchtlingen, die seit dem EU-Beitritt aus Rumänien und Bulgarien nach Duisburg gekommen sind – mithilfe von Verwandten, die in Deutschland schon Wurzeln geschlagen haben, aber auch mit Schlepperbanden.

    "Ja, das müssen Sie sich mal vorstellen, die leben da in ihrer Heimat, in Rumänien und Bulgarien, in katastrophalen Verhältnissen."

    Sagt Stadtdirektor Reinhold Spaniel, ein schnoddrig-freundlicher Typ, wie man sie im Revier oft antrifft. Als Duisburger Kommunalpolitiker ist Spaniel an hohe Zuwanderungszahlen gewöhnt, über 140 Nationalitäten sind in seiner Behörde erfasst. Viele leben hier seit Jahrzehnten. Doch seit der Eurokrise in den südlichen EU-Staaten ist die Zahl der Armutsmigranten in Duisburg in die Höhe geschnellt. Warum gerade hier? Der Stadtdirektor kennt den Grund:

    "Duisburg hat viele minderwertige Wohnungen, also sogenannte Schrott-Immobilien. Und die werden dann eben zu relativ günstigen Preisen vermietet. Und die Bulgaren und Rumänen haben natürlich im Zeitalter des Handys auch nach Hause gute Verbindungen und teilen dann ihren Angehörigen mit, kommt doch nach Duisburg, hier gibt’s billigen Wohnraum."

    Verlockend ist das vor allem für jene Roma-Familien, die den Wellblechhütten, der sozialen Benachteiligung und der Diskriminierung in ihren Heimatländern entfliehen wollen. Bis vor wenigen Jahren zog es viele von ihnen wegen der ähnlichen Sprache noch in romanische Länder wie Spanien oder Italien. Mittlerweile wollen sie lieber nach Deutschland mit seinen vergleichsweise guten Wirtschaftsdaten. Reinhold Spaniel:

    "Die werden dann angeworben von diesen Schleuserbanden, und die bieten denen an, ich bring dich ins Schlaraffenland, nämlich nach Deutschland. Der ganze Spaß kostet dich dann 100 oder 150 Euro pro Person. Die verkaufen ihr letztes Hab und Gut, verschulden sich und fahren dann in so einem Bus nach Duisburg oder Dortmund oder Berlin."


    Allein im ersten Halbjahr 2012 ist die Zahl der Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien bundesweit um 24 Prozent gestiegen, so meldet das Statistische Bundesamt. Zwar handelt es sich meistens um gut oder hoch qualifizierte EU-Bürger, doch in Duisburg ist laut Stadtverwaltung jeder Fünfte ein Armutsmigrant. Ohne Ausbildung, ohne Sprachkenntnisse und oft völlig ahnungslos, was sie oder ihn in Deutschland erwartet: wieder Armut und nicht selten Ablehnung. Manche Zuwanderer reagieren darauf mit Lethargie, oder sie wenden sich ihrerseits von ihrer neuen Heimat ab. Eduard Pusic, der gemeinsam mit Veronica Borgovan in der Beratungsstelle ZOF e.V. arbeitet, spricht von einer Parallelgesellschaft:

    "Leute, die hierher kommen und praktisch im Untergrund leben und sich nur in deren Kreisen bewegen, also gar keinen Kontakt haben, zu Deutschen oder alteingesessenen Bürgern hier, sondern eher so ihr Ding im Zwielicht dann haltmachen."

    Die Mehrheit der Zuwanderer bedient sich allerdings ganz legaler Mittel: Großfamilien beantragen Kindergeld, und immer mehr Roma melden ein eigenes Gewerbe an. Zum Beispiel eine Kneipe, weil die Selbstständigkeit neben der Schwarzarbeit ihre einzige Möglichkeit ist, Geld zu verdienen. Eine sozialversicherungspflichtige Arbeit dürfen die Roma erst ab 2014 annehmen, wenn in Deutschland die volle EU-Freizügigkeit für Rumänen und Bulgaren gilt. So begeben sich derzeit viele von ihnen in eine rechtliche Grauzone, denn ob die vielen neuen Gewerbe, die in manchen Großstädten wie Pilze aus dem Boden schießen, tatsächlich existieren, ist oft nur schwer überprüfbar. Das bestätigt Verena Göppert, Expertin für Zuwanderung beim Deutschen Städtetag:

    "Wenn jemand zu uns kommt und sagt, ich will ein Gewerbe ausüben, dann muss er nicht nachweisen, dass er einen Krankenversicherungsschutz hat oder seine Existenz selber sicherstellen kann. Und diesem Umgehungs-Tatbestand, da glauben wir, könnte man im Gewerberecht einen Riegel vorschieben. Aber wir wollen keine Missbrauchs-Debatte, weil wir genau diese Vorurteile nicht schüren wollen, dass man nur nach Deutschland kommt, um hier nur Sozialleistungen abzugreifen."

    Das ist genau das Dilemma in dieser Debatte. Die Roma selbst beteiligen sich an ihr nicht. Aus Mangel an Sprachkenntnissen oder aus Misstrauen den Medien gegenüber. Derweil fühlen sich viele Fachleute und Politiker in der Zwickmühle - aus Sorge, in die rechte Ecke gestellt zu werden, wenn sie die Probleme der Armutszuwanderung offen ansprechen. In den betroffenen Stadtvierteln kursieren immer öfter fremdenfeindliche Äußerungen. Duisburgs Stadtdirektor Reinhold Spaniel sorgt sich um die Stimmung in seiner Stadt:

    "Sie müssen sich mal vorstellen, da leben Leute fünfzig bis sechzig Jahre in einem Stadtteil, und dann kommen diese Zuwanderer. Und das führt dazu, dass man völlig überforderte Nachbarschaften hat."

    Zugleich warnt Spaniel davor, alle Betroffenen über einen Kamm zu scheren. Es gebe nicht den Zuwanderer, viele seien nicht kriminell, sondern einfach nur orientierungslos:

    "Die Probleme, mit denen wir uns zurzeit befassen, sehen so aus, dass die Kinder nicht in die Schule geschickt werden, im Gesundheitsbereich sind viele überhaupt nicht geimpft, da muss der Grundimpfschutz erst einmal herbeigeführt haben. Die sind dann überhaupt nicht in der Lage, ohne Dolmetscher zu kommunizieren. Und dann haben sie auch beim Thema Müllbeseitigung andere Vorstellungen, als wir so in Mitteleuropa haben."

    Von Müllbergen, nächtlichem Krach, steigender Kriminalität und sozialer Verwahrlosung ist in Duisburg die Rede. Manches davon stimmt, anderes wird von einem Teil der Anwohner zumindest so empfunden.

    "Die Wände voller Schimmel …"

    Ausgerüstet mit Megafon und knallroten Transparenten stehen ganze Trauben von Gegendemonstranten an diesem frischen Frühjahrsmorgen in Duisburg-Rheinhausen auf einem Grünstreifen. Eine Handvoll Rechtsextremisten will hier gleich aufmarschieren und gegen die Zuwanderer aus dem heruntergekommenen Hochhaus gegenüber demonstrieren. Theresa Stappert, die gleich um die Ecke wohnt, hält davon gar nichts. Aber wie sie mit ihren neuen Nachbarn aus Rumänien und Bulgarien umgehen soll, weiß sie auch nicht:

    "Wir sind der Sprache ja nicht mächtig. Wir haben auch irgendwie Angst und Berührungsängste. Ich habe einiges, was ich an Garderobe weggeben könnte. Ich würde das gerne den jungen Menschen oder den älteren Damen, die da drüben auch wohnen, geben. Aber ich habe Angst davor, irgendwelche Kontakte herzustellen."

    Ein paar Meter weiter vertreiben sich Gewerkschafter und Schüler die Zeit mit einem Kaffee, während sie auf die Rede des Oberbürgermeisters warten. Von den Roma aus dem Hochhaus gegenüber ist niemand zu sehen. Dafür ist die Polizei mit einem Großaufgebot vor Ort, zig Mannschaftswagen versperren die Straße, doch die Rechtsextremisten bilden nur ein versprengtes Häuflein. Ihre Schuhe versinken im braunen Matsch auf der Wiese. Yelda Idik, 16 Jahre alt, hält den Rechten ein Bettlaken-großes Transparent entgegen: "Duisburger Schüler gegen Rechtspopulismus" steht darauf:

    "Meine Mutter kommt aus der Türkei, und mein Vater ist hier in Deutschland geboren, aber ich erlebe es selber hier in Rheinhausen, und ich muss ehrlich sagen, ich bin enttäuscht darüber, wie sich hier manche verhalten."

    Yelda, die in die elfte Klasse geht, meint damit nicht nur die Rechtspopulisten, sondern auch die Anwohner. Theresa Stappert, die seit Jahrzehnten zur Nachbarschaft gehört, ist betroffen:

    "Wir sind nicht ausländerfeindlich, wir sind auch keine Wutbürger. Das sind wir nicht. Wir sind irgendwo hilflos, wir wissen nicht, wie es weitergeht, und wir sind ohnmächtig der ganzen Situation gegenüber."

    Neulich hat die 63-Jährige Anzeige erstattet. Sie sei von den Migranten aus dem Hochhaus gegenüber angegriffen worden, sagt Theresa Stappert.

    "Man muss natürlich schon sagen, dass seit der EU-Osterweiterung die Zahl der aus Rumänien und Bulgarien kommenden Menschen zugenommen hat und damit auch die Zahl derjenigen, die wir als Tatverdächtige ermittelt haben."

    Sagt Stefan Hausch, Sprecher der Duisburger Polizei.

    "Überwiegend wegen Delikten, die wir der Armutskriminalität zurechnen. Aggressives Betteln, Schrott- oder Metalldiebstähle, aber in der unmittelbaren Umgebung hier in Rheinhausen, da ist es zu keinem Anstieg von Kriminalität gekommen."

    Dass sich dennoch viele Rheinhausener in ihrem Viertel nicht mehr sicher fühlen, erklärt der Polizeisprecher so:

    "Gefühlte Unsicherheit ist manchmal etwas anderes als die tatsächliche Lage. Das Besondere hier in Rheinhausen ist auch, dass hier dieses Wohnhaus, wo so viele Menschen aus Osteuropa wohnen, mitten in einer bürgerlichen Umgebung steht und deswegen vielleicht anders wahrgenommen wird, als es in Stadtteilen wie Hochfeld oder Marxloh der Fall wäre. Das führt hier vielleicht noch zu zusätzlichem Konfliktpotenzial."

    Weil die Stimmungslage in vielen deutschen Großstädten mit hoher Armutsmigration ähnlich aussieht, schlug der Deutsche Städtetag im Februar Alarm. Der Verband sorgt sich um den sozialen Frieden, und er warnt angesichts der ohnehin miesen Finanzlage vieler Kommunen vor explodierenden Sozial- und Integrationskosten. Bund und Länder hätten diese Entwicklung lange verschlafen, sagt Verena Göppert vom Deutschen Städtetag:

    "Das allererste, was notwendig ist, dass man die Zuwanderung als Armutszuwanderung anerkennt. Das ist bislang noch nicht im erforderlichen Umfang geschehen, und wenn man das getan hat, dann kann man auch über die notwendigen und dringend erforderlichen Maßnahmen sprechen, um diesen Umstand auch beheben zu können."

    Da trifft es sich gut, dass auch die Kanzlerin nächste Woche nach Frankfurt kommen will, wo der Deutsche Städtetag seine Jahreshauptversammlung abhält. Das Motto lautet: "Europa stärken, für seine Bürgerinnen und Bürger, und für seine Städte". Damit das Thema Armutszuwanderung nicht zu kurz kommt, schickt der zuständige EU-Kommissar László Andor extra ein ranghohes Kabinettsmitglied nach Frankfurt. Auch die Vertreter aus den betroffenen Großstädten werden sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, Angela Merkel ihre Forderungen vorzutragen. Duisburgs Stadtdirektor Reinhold Spaniel, der als einer von über tausend Delegierten nach Frankfurt reist, will der Bundeskanzlerin eines klar machen:

    "Die betroffenen Kommunen brauchen ein Sofortprogramm, und mit sofort meine ich sofort. Da kann man jetzt nicht jahrelang im Bundestag diskutieren, das muss ganz, ganz schnell gehen. Und dann müssen solche Dinge wie die 'Soziale Stadt' noch mal aufgelegt werden."

    Das ist ein Förderprogramm des CSU-geführten Bundes-Bauministeriums. Seit 1999 unterstützt der Bund damit benachteiligte Stadtteile in der gesamten Republik. Doch seit 2010 hat Schwarz-Gelb die Fördersumme mehr als halbiert, auf aktuell knapp 40 Millionen Euro. SPD-Chef Sigmar Gabriel will das rückgängig machen, falls Rot-Grün die Bundestagswahl im September gewinnt. Und der Bundesvorsitzende – schon ganz im Wahlkampffieber, fordert noch mehr:

    "Das darf nicht nur ein Betonprogramm sein, also wir wollen nicht nur, dass Wohnungen saniert werden oder Straßenzüge. Es muss möglich sein, Sozialarbeiter einzustellen, die hingehen, wo die Menschen wohnen. Es muss mit diesem Programm möglich sein, Schulen und Kindergärten zu öffnen. Und es muss auch ein Sonderprogramm der Bundesanstalt für Arbeit geben für die Eingliederungsmaßnahmen in den Arbeitsmarkt, und das geht nicht, indem wir das die Kommunen und die Länder selber bezahlen lassen. Und deswegen brauchen wir ein Sonderprogramm des Bundes. Wir reden mit Sicherheit über einen zweistelligen Millionenbetrag, und er darf nicht mehr lange damit warten."

    Auch Innenminister Hans-Peter Friedrich hat die Brisanz des Themas im Bundestagswahljahr erkannt. Um die Folgen der Armutszuwanderung abzufedern, sei der Bund selbstverständlich an einer Optimierung der Zusammenarbeit mit den Kommunen interessiert, heißt es umständlich aus dem Innenministerium. In zahlreichen Fernseh-Interviews spricht der CSU-Politiker hingegen Klartext.

    "Es gibt eine bestimmte Zahl, die nur hierher kommt, um Sozialleistungen zu bekommen. Das können wir nicht akzeptieren. Wenn ein solcher Betrug nachgewiesen werden kann, und das ist Aufgabe auch der Behörden vor Ort, dann kann man die Ausreise dieser Behörden vor Ort verlangen."

    Law and Order ist das eine, doch der Bundesinnenminister verweist auch auf andere Maßnahmen, die dokumentieren sollen, dass der Bund sich kümmert. Es gibt unter anderem eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Bund und Ländern und die sogenannte Roma-Strategie. Ein Programm der Europäischen Union, mit dem die Lage der Roma EU-weit und vor allem in den Herkunftsländern verbessert werden soll. Regelmäßig müssen die Mitgliedstaaten in Brüssel über ihre Fortschritte berichten. Auf knappen elf Seiten listete das Innenministerium im Dezember Bildungs-, Beschäftigungs- und Integrationsprojekte in ganz Deutschland auf. Ein Konglomerat voller Absichtserklärungen und Zielvorstellungen. Das Kapitel über Anti-Diskriminierungs-Maßnahmen ist genau eine halbe Seite lang. Die Sozialdemokratin Birgit Sippel, EU-Abgeordnete aus Süd-Westfalen, stellt dem deutschen Innenminister kein gutes Zeugnis aus:

    "Anstatt die Probleme zu lösen, mit welchen finanziellen Mitteln man den Städten helfen muss, die Roma zu integrieren, fährt er eine Strategie der Verweigerung der Fakten. Das heißt, wenn der EU-Kommissar Andor kritisiert wird, dass er behauptet, es gebe bei uns keine Probleme, dann bezieht sich Herr Andor ein wenig ironisch darauf, dass seitens der deutschen Bundesregierung der Kommission offiziell mitgeteilt (wird): Eigentlich brauchen wir nichts machen, denn bei uns gibt’s eigentlich kein Problem."

    Doch seit dem Weckruf des Deutschen Städtetags und der nun wochenlang heftig geführten Debatte um zugewanderte Roma in Deutschland geht die Bundesregierung in die Offensive. Es gibt bislang zwar keine neuen Geldleistungen für die Kommunen, dafür aber einen harschen Fingerzeig nach Brüssel. Hans-Peter Friedrich:

    "Ich glaube nicht, dass wir den Steuerzahlern in Deutschland sagen können, ihr müsst zweimal zahlen: Einmal über die Europäische Union, denn wir zahlen Milliarden in die Kassen der Europäischen Union und ein zweites Mal über unsere Sozialsysteme. Das wird Sprengstoff für Europa geben, und das werden auch unsere Kollegen auf europäischer Ebene akzeptieren müssen und einsehen müssen, dass da Handlungsbedarf ist."

    Im Juni will Friedrich das Thema bei der Ratssitzung der EU-Justiz- und Innenminister aufgreifen. Ausdrücklich soll es dann nicht nur um die Armut vieler Zuwanderer gehen, sondern auch um Maßnahmen zur Bekämpfung von Missbrauch und Betrug. Die EU-Abgeordnete Birgit Sippel missbilligt diese Haltung und macht eine andere Rechnung auf. Obwohl viele deutsche Städte Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds ESF erhalten, um Migranten besser zu integrieren, wollten die Mitgliedsstaaten genau diesen Fonds kürzen, darunter auch Deutschland.

    "Wobei weniger Geld nach Brüssel schlicht und ergreifend bedeutet: Es gibt weniger Geld für Dortmund, weniger Geld für Duisburg. Und an der Stelle werden wir noch viele dicke Bretter bohren, um da mit den Mitgliedstaaten zu reden, dass sie sich letztlich, gerade auch, was die deutsche Seite angeht, ins eigene Fleisch schneiden, wenn sie da an der falschen Stelle den Geldsack zumachen."

    Um die Roma zu integrieren, rechnet die ohnehin hoch verschuldete Stadt Duisburg in den kommenden Jahren mit bis zu 15 Millionen Euro Mehrausgaben. Denn wenn ab 2014 die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt, werden vermutlich noch mehr Armutsmigranten nach Deutschland kommen. Da sind sich Experten wie Verena Göppert vom Deutschen Städtetag sicher:

    "Deshalb ist es uns auch sehr, sehr wichtig, dass wir zügig Ergebnisse haben, dass der Bund sich bewegt, dass die Länder sich bewegen, und dass auch die EU in den Herkunftsländern mithilft, die verstärkte Zuwanderung ab 2014 zu unterbinden."

    Eduard Pusic von der Roma-Beratungsstelle ZOF e.V. in Duisburg hält das für einen frommen Wunsch. Auch an der Diskriminierung der Roma in Osteuropa werde sich so schnell nichts ändern, sagt der Sozialwissenschaftler:

    "Ich glaube, diese Diskussion kommt ein paar Jahre zu spät, die hätte man vorher führen sollen – die Zuwanderung besser zu kanalisieren und nicht einfach zu gucken, was passiert, oder ob man’s aussitzen kann, oder ob die Leute wieder gehen, was eine totale Illusion ist. Also das haben wir von vornherein immer gesagt: Die Leute, die hierher kommen, die meisten werden hier bleiben."