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Flüchtlinge
"Effektive Kontrollen" sind notwendig

Die Flüchtlingstragödie in Österreich habe gezeigt, wie wichtig es sei, dass die europäischen Partner enger zusammenarbeiteten, sagte Ungarns Botschafter in Deutschland, József Czukor, im DLF. Er verteidigte zudem das Vorgehen der Regierung in Budapest. Geregelte Grenzkontrollen seien notwendig - auch um Schlepperbanden das Handwerk zu legen.

József Czukor im Gespräch mit Sandra Schulz | 28.08.2015
    Der ungarische Botschafter in Deutschland, József Czukor.
    Der ungarische Botschafter in Deutschland, József Czukor. (Imago / Horst Rudel)
    Bei dem Flüchtlingsdrama in Österreich handele sich um eine "furchtbare Tat". Verantwortlich sei vermutlich eine internationale Schlepperbande. In Ungarn seien in diesem Jahr bereits fast 800 solcher Menschenhändler verhaftet worden, sagte der ungarische Botschafter in Deutschland, József Czukor, im Deutschlandfunk. "Die Schlepper müssen mit voller Kraft des Rechtsstaates bekämpft werden."
    Seine Regierung habe die EU schon vor längerer Zeit darauf hingewiesen, dass diese Banden nicht nur im westlichen Mittelmeerraum aktiv seien, sondern auch auf der Westbalkanroute operierten. Ungarn habe wegen der Flüchtlingskrise bereits ein Treffen mit den Nachbarländern angeregt. Die europäischen Ländern müssten in der Flüchtlingspolitik enger zusammenarbeiten.
    Der neue Grenzzaun habe auch viele Übergänge
    Angesprochen auf die Forderung nach Flüchtlingsquoten in der EU sagte Czukor: "Es geht nicht um eine Verteilung, sondern um eine effektive Kontrolle der Routen." Man müsse wissen, wer nach Europa komme. "Wir müssen die Effektivität der Grenzkontrollen erhöhen - nicht um Flüchtlinge abzuhalten, sondern um ihnen zu helfen, einen Status zu bekommen", betonte er.
    Ungarns neuer Grenzzaun habe auch viele neue Grenzübergänge. Jeder, der Schutz suche, könne durch diese Stationen kommen und sich registrieren lassen. Das sei bei einer "grünen Grenze" so nicht möglich, verteidigte der Diplomat die Maßnahme. Er kritisierte zugleich, dass derzeit "nur zehn Prozent der Flüchtlinge" mit den Behörden kooperierten. Das müsse sich ändern.
    Die Registrierung müsse dort stattfinden, wo die Flüchtlinge zum ersten Mal europäischen Boden beträten. Deshalb brauche man die Kontrollen an den Außengrenzen der EU und des Schengen-Raums.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: In Deutschland werden in diesem Jahr so viele Flüchtlinge erwartet, wie in den letzten Jahrzehnten noch nie. In Österreich ist es ganz ähnlich, auch wenn sich die absoluten Zahlen anders lesen. Die erwarteten 70.000 Asylsuchenden, die sind umgerechnet auf die Einwohnerzahl mit Deutschland vergleichbar. Und aus Österreich wird jetzt das jüngste oder besser seit heute Morgen schon wieder zu korrigierende zweitjüngste europäische Flüchtlingsdrama gemeldet.
    In Parndorf bei Wien waren Arbeiter auf einen verlassenen Lastwagen aufmerksam geworden, einen Kühllastwagen, aus dem eine Flüssigkeit sickerte: ein Lkw mit ungarischem Kennzeichen. An Bord wurden wohl Dutzende Leichen gefunden, die genaue Zahl ist noch nicht klar.
    Am Telefon begrüße ich jetzt József Czukor, den ungarischen Botschafter in Berlin. Guten Morgen.
    József Czukor: Guten Morgen, Frau Schulz.
    Schulz: Was ist heute Morgen Neues klar an Hintergründen über dieses Flüchtlingsdrama?
    Czukor: Wahrscheinlich meinen Sie das, was gestern passierte, diese Tragödie, ein furchtbarer Tag, und selbstverständlich ist ein Tod zu viel, aber wir wissen nicht genau, um wie viele Menschen es sich handelt, die gestern tot in einem Laster gefunden wurden, 50 Kilometer östlich von Wien. Die Ermittlungen laufen. Es handelt sich wahrscheinlich um eine international organisierte Schlepperbande mit mehreren Teilnehmern aus unterschiedlichen Ländern.
    Hauptsache ist, dass diese Tragöde uns wieder einmal vor Augen geführt hat, wie wichtig es ist, dass die europäischen Staaten enger zusammenarbeiten, damit endlich mal das Handwerk den Schleppern gelegt wird. Das wird passieren, ungarische und österreichische Polizeibehörden arbeiten sehr intensiv und eng zusammen.
    "Das sehen Sie falsch"
    Schulz: Welche Konsequenzen genau meinen Sie, eine engere Zusammenarbeit? Ungarn ist im Moment ja nicht unbedingt auf Einigungskurs in der EU.
    Czukor: Das sehen Sie vielleicht so und wenn Sie mir gestatten: Ich glaube, Sie sehen das falsch. Ungarn sagt seit Monaten, vor allem sehr intensiv haben wir das Ende Juni, als die europäischen Staats- und Regierungschefs sich wieder getroffen haben, um über die Flüchtlingsproblematik zu sprechen, immer gesagt, dass neben dem sogenannten westlichen Mittelmeer-Raum (übrigens auch heute 200, vielleicht auch mehr Tote auf dem Mittelmeer), nicht nur dort gibt es Schlepperbanden und große riesige Flüchtlingsprobleme, sondern auch auf der sogenannten Westbalkan-Route.
    Und wir haben auch angeregt im Juni, dass wir uns auf Ebene der Spitzenbeamte, Innenminister, Außenminister in Budapest treffen, damit wir die Zusammenarbeit zwischen den Nachbarländern Ungarns - Ungarn ist nicht nur EU-Mitglied, sondern auch ein Mitglied des Schengen-Raums und die Schengen-Grenze ist an unserer südlichen Grenze -, dass wir enger zusammenarbeiten mit den Nachbarländern, aber auch mit den Transitländern und mit den Herkunftsländern, damit wir das verhindern, dass Menschenleben in Gefahr gerät, damit diejenigen, die Schutz bedürfen, auch geregelt nach Europa kommen können.
    "Wir müssen die Effektivität der Grenzkontrollen erhöhen"
    Schulz: Herr Czukor, weil Sie sagen, dass meine Wahrnehmungen falsch sind, vielleicht noch mal der Versuch einer Klärung. Es gibt ja aus der EU Versuche, seit Monaten, Wochen inzwischen verzweifelte Versuche, eine Flüchtlingsquote zu verabreden innerhalb der EU.
    Czukor: Ja.
    Schulz: Das hat Ministerpräsident Orbán als "Wahnsinn" bezeichnet. Was ist daran wahnsinnig, Flüchtlinge gerecht auf Europa zu verteilen?
    Czukor: Nein. Es geht nicht um die Verteilung, sondern darum, dass ...
    Schulz: Warum nicht?
    Czukor: Ich sage, wenn Sie das zulassen, dass ich das ausführe. Es geht vor allem darum, dass wir zunächst einmal eine geregelte Kontrolle, eine effektive Kontrolle der Routen erreichen, dass wir wissen, was nach Europa kommt, wer nach Europa flüchten muss. Und wir leben in einem Rechtsraum, wir haben verbindliche Regeln. Wir müssen natürlich jeden, der nach Europa kommen möchte, registrieren. Und diejenigen, die Asyl bekommen wollen, müssen mit den Behörden zusammenarbeiten.
    Mit anderen Worten: Wir müssen die Effektivität der Grenzkontrollen erhöhen. Nicht, um Flüchtlinge davon abzuhalten, bei uns Schutz zu suchen, sondern damit wir denen helfen können, diesen Status zu bekommen. Wenn wir nicht wissen, wer nach Europa kommt, dann wird das sehr schwierig sein.
    "Wir müssen die Leute registrieren"
    Schulz: Diese Umschreibung ist ja eine sehr freundliche. Sie sagen, Sie müssen die Kontrolle an den Grenzen intensivieren oder effektiver machen. Das könnte man auch sehen als andere Formulierung für eine ungarische Abschottung. Der Zaun, der jetzt errichtet wird, der soll ja am Wochenende fertig werden, 175 Kilometer lang zur serbischen Grenze. Wirft dieser Fall aus Österreich, über den wir jetzt sprechen, wirft der nicht eher die Frage auf, wie die Flüchtlinge einen sicheren Weg nach Europa bekommen können und nicht das Gegenteil?
    Czukor: Darum geht es. Wenn wir nicht in der Lage sind zu erfahren, wer nach Europa kommt, wer in den Schengen-Raum möchte, und wenn die Menschen in erster Linie nur über die grüne Grenze kommen, dann schaffen wir das nicht.
    Das heißt, der Zaun mit vielen Grenzübergängen - Ungarn hat beschlossen, neue Grenzübergänge zu bauen, und die Kapazitäten auch erweitert. Wenn sie über die grüne Grenze kommen, dann wissen wir nicht, wohin sie gehen und was sie machen. Und noch mals. Wir haben europäische Verpflichtungen. Wir müssen die Leute registrieren. Das heißt, jeder, der Schutz sucht, kann durch die Grenzübergänge nach Ungarn kommen, und sie werden in einem geregelten Verfahren registriert und dann kann man, erst dann kann man darüber sprechen, wie man diese Flüchtlinge verteilt.
    "Die Zahlen der Kriminalstatistiken zeigen etwas anderes"
    Schulz: Und, Herr Czukor, dass Ungarn das Geschäft der Schlepper mit diesem Zaun forciert, auch mit dieser Ankündigung, dass die Hektik dadurch erhöht wurde und das Geschäft der Schlepper jetzt offenbar ja richtig brummt, das sehen Sie nicht?
    Czukor: Nein, nein. Im Gegenteil. Die Zahlen der Kriminalstatistiken zeigen etwas anderes. Wir haben bis August fast 800 Schlepper verhaftet und die Zahlen nehmen zu. Das heißt, die Kontrollen helfen auch den Behörden, die kriminellen Machenschaften dieser Schlepperbanden zu beenden.
    Ohne diese Kontrollen - und natürlich die Flüchtlinge sind durch die Schlepper so informiert, dass sie nicht in die EU kommen können. Sie können in die EU kommen. Wir haben natürlich die Genfer Konvention. Wir sind verpflichtet, diejenigen, die flüchten aus bestimmten Gründen, nachdem wir das geprüft haben, dass die Gründe vorhanden sind, aufzunehmen, ihren Status als Schutzbedürftige anzuerkennen. Aber dafür müssen wir wissen, wer kommt, und das muss in einer Form geschehen, dass es möglich ist.
    Ich möchte auch darauf hinweisen, dass etwa nur zehn Prozent der Flüchtlinge kontrolliert wird von ungarischen Behörden. Das ist eine sehr geringe Zahl und das müssen wir ändern.
    Die Europäische Union hat beschlossen, sogenannte Hotspots, Auffanglager zu errichten. Die müssen auch in Griechenland und auch in Italien errichtet werden beziehungsweise die Kapazitäten erhöht werden, damit die Registrierung schon dort stattfindet, wo die Flüchtlinge zum ersten Mal den Boden der Europäischen Union betreten.
    "Wir müssen Schlepper mit voller Wucht bekämpfen"
    Schulz: Aber wenn Sie sagen, dass die Gefahren für die Flüchtlinge durch diesen Zaun, durch diese Grenze jetzt nicht steigen, dann sind wir ja eigentlich wieder beim aktuellen Fall aus Österreich. Zeigt der nicht, dass weder die Menschen, die verzweifelten Menschen, noch die Schlepper sich davon abhalten lassen werden, die Flucht zu versuchen, egal wie groß das Risiko ist?
    Czukor: Ja, das stimmt. Aber das habe ich nicht infrage gestellt, dass die Menschen flüchten und dass sie nach Europa kommen wollen, um hier Schutz zu suchen. Aber das kann nur so geschehen, dass wir bestimmte minimale Regeln einhalten.
    Die Außengrenzen des Schengen-Raums, die Außengrenzen der Europäischen Union müssen kontrolliert werden und diejenigen, die nach Europa kommen, um hier legalen Schutz zu bekommen, müssen registriert werden.
    Was die Schlepper machen: Sie verdienen kriminelles Geld mit falschen Informationen, mit solchen Organisationen, die - noch mals wiederhole ich, was ich am Anfang gesagt habe - international organisiert sind, und die müssen wir mit voller Wucht, mit vollen Kräften des Rechtsstaates bekämpfen, und wir haben genug Erfahrungen gesammelt und ich glaube, diese Tragödie in Österreich hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, dass wir die enge Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern fortsetzen. Deswegen wird Ungarn - wir haben das angeregt - im Oktober auch in Budapest eine große Konferenz abhalten, um eben diese Fragen zu klären und den Menschen zu helfen, die Hilfe brauchen.
    Schulz: Und auf diese engere Zusammenarbeit sind wir ganz gespannt. - Im Interview mit dem Deutschlandfunk war das heute Morgen József Czukor, der ungarische Botschafter in Berlin. Haben Sie herzlichen Dank.
    Czukor: Danke schön, Frau Schulz.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.