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Flüchtlings-Unterbringung
Zuflucht in der Platte

Cottbus stoppt den Abriss von leer stehenden Wohnungen. Stattdessen werden die ehemaligen Plattenbauten für Flüchtlinge saniert. Doch das stößt nicht bei allen Nachbarn im Viertel auf Gegenliebe.

Von Vanja Budde | 08.10.2015
    Mit dem Abriss eines Hochhauses der Gemeinnützigen Wohnungsbaugenossenschaft (GWG) Cottbus haben Arbeiter im Cottbuser Stadtteil Sachsendorf begonnen.
    Sanieren statt abreißen: Cottbus hat den Abriss ihrer vielen leer stehenden Plattenbauten gestoppt (picture-alliance / ZB / Mario Behnke)
    Sie kommen nahezu täglich an, in Bussen und in Sonderzügen. Müde, erkältet und hungrig sind sie, die meist jungen Männer aus Afghanistan, Syrien oder Pakistan. Aber froh, es nach ihrer langen und oft lebensgefährlichen Odyssee hierher geschafft zu haben, nach Deutschland, nach Brandenburg.
    Die Erstaufnahmeeinrichtung ist voll
    Längst ist die zentrale Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt völlig überfüllt. Darum werden unter Hochdruck ehemalige Kasernen saniert, sie werden aber frühestens Ende des Jahres fertig sein. Wohin also mit den Flüchtlingen? In die vielen leer stehenden Wohnungen, so die Idee des Oberbürgermeisters von Cottbus im Braunkohlerevier der Lausitz, 100.000 Einwohner, viele Plattenbauten, viel Leerstand. Einzelunterbringung in der Stadt statt Massenunterkunft irgendwo im Wald, das sei auch viel besser für die Integration, meint Cottbus' Baudezernentin Marietta Tzschoppe, SPD.
    "Wir überprüfen ganz konkret mit Einzelfallentscheidungen, ob weiter rückgebaut wird. Da haben wir einen Stopp eingelegt. Das hat uns ja auch gezeigt, dass das Land Brandenburg jetzt die Rückbaupauschale für die Instandsetzungspauschale umwandeln wird oder hat. Insofern war das doch eine richtige Entscheidung."
    Sanierung von Plattenbauten
    Fast 10.000 Wohnungen in der Platte sind seit der Wiedervereinigung allein in Cottbus abgerissen worden. Die Landesregierung hat nun angesichts der Flüchtlingszahlen und des herannahenden Winters endlich reagiert: 17,5 Millionen Euro stehen bereit, damit die Plattenbauten saniert werden, statt sie dem Erdboden gleich zu machen. Landesweit sollen so 4.000 Flüchtlingswohnungen entstehen.
    "Wir werden alles dafür tun, dass wir nicht die Familien, aber auch die einzelnen Flüchtlinge, in Turnhallen unterbringen müssen. Und man kann einfach niemandem erklären, dass Wohnungen abgerissen werden und auf der anderen Seite Zelte aufgebaut werden."
    Umsetzen muss den Abrisstopp Torsten Kunze, der Chef der GWC Gebäudewirtschaft, des größten Vermieters der Stadt. Nummer zwei in Cottbus ist die Genossenschaft eG Wohnen. Doch sie macht bei der Kehrtwende nicht mit, will ihre leer stehenden Platten weiter abreißen.
    "Wir sind 100 Prozent Gesellschaft der Stadt Cottbus. Was die Stadt sagt, das wird gemacht. Die Genossenschaft hat als Eigentümer die Genossenschafter, und das muss man jetzt respektieren, auch wenn dort der Leerstand hoch ist. Trotzdem ist es so, dass die Genossenschafter ja dieses Vermögen erarbeitet haben. Das hat auch mit dem Vorstand nichts zu tun bei der eG Wohnen, sondern tatsächlich: Soweit ich das weiß, hat hier die Vertreterversammlung dem Vorstand eine ganz klare Richtlinie gegeben."
    Gegen Flüchtlinge? Gefragt, was seine deutschen Mieter von den neuen Nachbarn halten, sagt Torsten Kunze von der GWC Gebäudewirtschaft:
    "Da muss ich jetzt mal vorsichtig sein. Ich glaube, so richtig kann ich das noch nicht einschätzen. Zunächst erst mal würde ich sagen: Da wir nicht in den Stadtteilen so massiv viele Flüchtlinge haben wie andere Städte, ist auf der anderen Seite natürlich auch nicht so viel Widerstand zu merken."
    Beim Thema Flüchtlinge brodelt es
    Am nördlichen Stadtrand von Cottbus liegt das Plattenbauviertel Schmellwitz: Mehrgeschosser aus grauem Beton, dazwischen viele Baulücken, wo schon abgerissen wurde. Mitten drin ein großer Parkplatz, Supermarkt, Imbiss, ein Billig-Klamottenladen. Ein junges Paar will einkaufen, ist aber bereit zu einem Gang durchs Quartier. Schnell zeigt sich, dass es beim Thema Flüchtlinge in den beiden brodelt.
    "Also in Schmellwitz denken sie alle das. Jetzt tun sie sich ja noch beschnuppern hier in Deutschland und wenn sie dann wirklich hier drin sind, also dann gibt's ..."
    "Bürgerkrieg oder wie das heißt. Wenn die richtig locker sind, dann machen die, was sie wollen, das ist das, was sie meint."
    "Ja, genau. Hier in diesem Umkreis haben die Leute davon Angst halt, dass die dann machen, was sie wollen. Was sie auch da drüben in ihrem Land machen."
    "Ist egal, wo die wohnen, die sind immer treu zu ihrem Land sozusagen zu ihrem Dingsdabumsda, Hallamahalleie, Alluhakbar-Scheiße, wissen Sie, was ich meine? Und falls das gesagt wird, dann explodiert hier was."
    Nun könnte man dies als eine Einzelmeinung abtun, aber landauf landab reden viele so in Brandenburg, sehr viele.
    "Cottbus will das nicht. Die Leute stehen irgendwann mal auf, das wird zu viel sein, ohne Scheiß. Jeden, den ich getroffen habe, alle reden von dem gleichen Thema, von diesen Leuten hier."
    Aufeinander zugehen
    Da hat die Stadtverwaltung noch einiges zu tun, bis in Cottbus zusammen wächst, was selbst nach Meinung des Bundespräsidenten bislang nicht zusammen gehört hat. Das ist Baudezernentin Marietta Tzschoppe schon klar.
    "Wichtig ist das gemeinsame Miteinander-Leben, Miteinander-Sprechen. Da bedarf es auch noch vieler Anstrengungen. Aber da kann jeder mithelfen."
    Persönlicher Kontakt hilft vielleicht am besten gegen Vorurteile, aber das Problem ist, dass diese beiden Cottbusser den Flüchtlingen gar nicht näher kommen wollen.
    "Nee, brauchen wir nicht."
    "Nee, kennenlernen würde ich's nicht machen, nicht. Nee"