Aus den Feuilletons

Lockdown-Love

04:16 Minuten
Ein älteres Pärchen umarmt sich auf einer Strandpromenade mit Masken und schaut in die Kamera
Pandemie und Liebe: Der Lockdown bringt viele Menschen auseinander, andere aber auch (wieder) zusammen. © imago images / Hans Lucas
Von Hans von Trotha · 16.11.2020
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Für den Schriftsteller Joachim Lottmann ist der Lockdown eine "Zeit der Zärtlichkeit". "In Wien ist alles wieder still. Dazu die Kälte. Schön. So kommt der Mensch zu sich", schreibt er in der SZ. Kein Wunder, dass ihm vor eventuellen Lockerungen graut.
Drei Themen können wir wirklich nicht mehr hören – nicht zuletzt, weil uns bei allen dreien immer wieder gesagt wird – oder wir es uns, wahlweise, sehr wünschen, dass es irgendwann auch mal gut ist: Trump, der Flughafen BER und der Lockdown.
Allerdings: Alle drei sind gerade, wenn man es so ausdrücken will, voll in Betrieb - der eine noch, der andere schon (Haha!), der Dritte wieder. Und das verändert die jeweilige Lage: Ist einer gerade noch im Amt, wirken seine Tweets plötzlich anders. Und ist ein Flughafen jetzt dann doch irgendwie plötzlich schon in Betrieb, stellt man, wie Michael Brake in der taz, an sich selbst fest, wie schwer es ist, aus dem so lang eingeübten Hämemodus rauszukommen.

Von BER-Frust zu BER-Lust

"Ziemlich genau eine Woche nach der Eröffnung des Flughafens BER lande ich dort tatsächlich auch schon", berichtet Brake. "Dank Rückenwind sind wir knapp eine halbe Stunde zu früh."
Es kommt, wie es kommen muss: "Wir können nicht raus", geht der Erlebnisbericht weiter. "Die Passagierbrücke fehle noch, sei aber angefragt." Und dann kann Brake nicht anders: "Da ist es wieder, das alte Pannen-BER-Feeling! Lustig", schreibt er.
"Am Ende dauert es vier Durchsagen und fast eine halbe Stunde, dann dürfen wir endlich ins Gebäude. Das ist groß, sehr groß. Ein echter Flughafen! Mit einheitlicher Möblierung! In Berlin! Ich freue mich über die weinrot-dunkelholzfarbene Einrichtung, lasse mich von den Laufbändern (es gibt Laufbänder!) transportieren, um alles auf mich wirken zu lassen, und beschließe, dass ich bei meiner nächsten Flugreise auch wieder von hier fliegen werde."
Ein Satz, der plötzlich witzig ist – vielleicht wirklich endlich der allerallerletzte BER-Witz? - weil man ja jetzt nur noch von hier aus fliegen kann. Wenn man überhaupt fliegen kann. Womit wir beim Lockdown wären, zu dem der Wiener Schriftsteller Joachim Lottmann in der SÜDDEUTSCHEN korrekt festhält: "Der zweite Lockdown findet unter anderen Bedingungen statt als der erste. Es fehlt", so Lottmann, "das Licht".

Geduld, Leidensfähigkeit, Erspartes, Hoffnung

Und nicht nur das. Es fehlt auch sonst einiges: Geduld, Leidensfähigkeit, Erspartes, Hoffnung – all das wurde bei vielen beim ersten Mal aufgebraucht. Nicht so bei Joachim Lottmann. Der gewinnt der Sache auch ihr Gutes ab. Er kommt zum Beispiel seiner Frau wieder näher, eine "Zeit der Zärtlichkeit", und er findet: "In Wien ist alles wieder still. Dazu die Kälte. Schön. So kommt der Mensch zu sich."
Lottmann erinnert sich ungern an die "bekannten ekligen 'Lockerungen' im Sommer. Alle arbeiteten wieder wie um ihr Leben. Kinder nahmen umgehend ihre bekannten Rollen als Quälgeister und Diktatoren wieder ein, Männer wurden zu Erfüllungsgehilfen ihrer paranoiden Vorgesetzten und herrschsüchtigen Frauen."
Dazu muss man wissen: Lottmann ist Wiener. Und, so erklärt er mit einiger Gnadenlosigkeit der eigenen Spezies gegenüber:
"Der Wiener ist sehr moody. Er möchte sich nur mit seinen Stimmungen beschäftigen. Reale Katastrophen stören ihn, echte Terror- und Corona-Tote kommen ihm in die Quere. Er möchte jammern, nicht sich fürchten. Er braucht keinen Terrorismus und Opfer, er braucht die komplette Zeit, um beim Anblick des Novemberhimmels die eigene Vergänglichkeit zu spüren."

Der Aufmerksamkeitskannibale

Die spürt allmählich auch der Dritte im Bunde, dessen wir überdrüssig sind. Der TAGESSPIEGEL titelt schon mal: "Die Jahre nach Trump". Der selbst um keinen Medienauftritt verlegene Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen mahnt: "Der amerikanische Noch-Präsident verdankt seinen Aufstieg auch den Spektakel-Medien" - und fragt: "Was lässt sich für seriösen Journalismus lernen?"
Nicht ganz neu, aber sicher richtig seine Analyse: "Der Kern von Trumps Propagandamethode besteht darin, die Unterscheidung von Faktum und Meinung zu pulverisieren. Hier muss der seriöse Journalismus ansetzen – und auf den Tatsachen bestehen."
Pörksen vergleicht das Phänomen mit "Kartoffelchips essen. Man konnte nicht aufhören, aber irgendwann war einem garantiert schlecht." Denn wahr ist auch: "Trump hat das knappe Gut der Aufmerksamkeit in nie dagewesener Weise kannibalisiert – ganz so, als gäbe es jenseits seiner Einfälle und Ausfälle keine Themen, die die Weltgesellschaft interessieren müssten."
Wie den Lockdown. Und, okay, ein allerallerallerletztes Mal: den BER.
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