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Flüchtlingslager Friedland
Freude, Abscheu, Lagerkoller

Der Name Friedland stand Jahrzehnte lang für die geglückte Aufnahme Hunderttausender Flüchtlinge, Vertriebener und Kriegsheimkehrer. Doch das sieht heute anders aus: Mit 3.500 Flüchtlingen ist das Lager völlig überbelegt und die Stimmung droht zu kippen.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 09.10.2015
    Flüchtlinge stehen am 25.08.2015 im Erstaufnahmelager für Flüchtlinge in Friedland (Niedersachsen). Das eigentlich für rund 700 Menschen konzipierte Lager im Landkreis Göttingen ist zur Zeit mit mehr als 3000 Menschen belegt.
    Anstehen für das Mittagessen: Das Lager Friedland ist völlig überbelegt. (picture-alliance/ dpa / Swen Pförtner)
    Als die Glocke von Sankt Norbert um Punkt 12 Uhr läutet, stehen sie schon seit einer halben Stunde in der ellenlangen Warteschlange zur Kantine. Frauen, Kinder, und Hunderte ausgemergelten junge Männer. Sherzad, ein Jeside aus dem Irak, drängelt sich nach vorn:
    "Alles in Familie, alles totmachen... Warum?! Kein Geld, kein Interview... Helfen bitte! Bitte!!"
    Sherzad ist wütend, verzweifelt, genervt. Immer bevorzugt ihr die Syrer, klagt er. Und alles hier im Lager Friedland, dauert dem jungen Mann einfach viel zu lange:
    "Noch sechs Monate! Geht nicht! Noch ein Monat oder 20 Tage. Bitte – ein Interview."
    Sherzad wippt unruhig in seinen Gummilatschen hin und her und hält seine Laufkarte in die Luft: 8. März 2016 steht darauf. Fünf ganze Monate muss der zornige junge Mann noch warten, auf seinen ersten Termin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Heinrich Hörnschemeyer, oberster Chef in Friedland, versucht zu beruhigen.
    "Kommen Sie um 14 Uhr zu mir, dort oben? Ok."
    Fast auf den Tag genau sechzig Jahre ist es her, dass in Friedland die ersten der zehntausend letzten Kriegsgefangenen aus Russland heimkehrten. Das Jubiläum wollten sie eigentlich groß feiern in diesem Jahr, jetzt aber geht es aber nur um eine Frage: Wohin mit all den Menschen?
    "Mittlerweile sind Personen auch im Verwaltungsgebäude und nächtigen auf den Fluren auf einer Matratze. Und das ist etwas, was wir, denke ich, ganz dringend abstellen müssen."
    Lagerkoller steht den Männern ins Gesicht geschrieben
    Das Durchgangslager hat Platz für 750 Flüchtlinge, inzwischen sind es rund 3500 – fast drei Mal so viel wie die Einwohnerzahl der Gemeinde Friedland. Am Montag hat hier ein irakischer Flüchtling eine verheiratete Afghanin geküsst – mit ziemlich gravierenden Folgen:
    "Das fand weder sie gut, noch ihr Ehemann. Und dann hat sich das ein bisschen hochgeschaukelt. Dann hat jeder ein bisschen Verstärkung geholt..."
    Ein Großeinsatz der Polizei verhinderte Schlimmeres. Der Lagerkoller – Friedland heißt bis heute offiziell Grenzdurchgangslager – steht gerade den Männern ins Gesicht geschrieben. Auch Jaffar aus Damaskus:
    "Oh, I say, very disgusting, this place!"
    Widerlich sei es hier, sagt der 24-Jährige, neben sich seine neunjährige Schwester. Sie sei in einem Zimmer mit zwei Männern untergebracht, die jede Nacht Alkohol trinken würden:
    "She said, I need my Mum, every day, every day: I need my Mum! They give me room. There are two, drinking alcohol. I told the manager manager, but he said: That's not my business."
    Vorwürfe gegen die Betreuer
    Der junge Syrer erhebt schwere Vorwürfe gegen die Betreuer in Friedland, ignorant seien sie. Aoaz aus Hasaka in Syrien ist hingegen einfach nur froh, hier zu sein.
    "Wir haben viel gelitten unterwegs, sagt die 23-Jährige. Die mit Bekannten drinnen in Haus 14 sitzt. Über die Türkei und den Balkan hat Aoaz es mit ihrem Mann und ihrer 75-jährigen Schwiegermutter bis hierher geschafft. 5000 Euro hat sie den Schleppern gezahlt, Ihr Abitur hat Aoaz noch in Syrien gemacht, in Deutschland würde sie irgendwann gerne als Lehrerin arbeiten, so übersetzt der Dolmetscher. Aoaz hofft, dass sie es schafft.
    "Dass wir es am Ende schaffen, glaub ich auch", sagt Boris Pistorius. Niedersachsens Innenminister ist an diesem Tag zu Besuch in Friedland, "aber wie wir's schaffen, da müssen einige noch Antworten finden. Es reicht nicht, einfach nur zu sagen, wir schaffen es. Man muss auch sagen, was wir schaffen, wie viel wir schaffen, zu welchem Preis wir es schaffen, und damit, wie wir es schaffen."