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Flüchtlinge
"Allen ist bewusst, um was es geht"

Jürgen Hardt erwartet beim Treffen der EU-Innenminister einen Fortschritt in der Frage der Verteilung von Flüchtlingen. "Wenn diese Aufgabe nicht gelöst wird, kommt sie bei jedem vor der Haustüre an. Allen ist bewusst, um was es geht", sagte der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Deutschlandfunk.

Jürgen Hardt im Gespräch mit Bettina Klein | 14.09.2015
    Porträtbild des CDU-Politikers Jürgen Hardt
    Jürgen Hardt (CDU) ist außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag (picture alliance / dpa/ Kay Nietfeld)
    Die Kontrollen an der Grenze zu Österreich seien nötig, so Hardt, um "möglichst bald zu normalen Bedingungen zurückzukehren". Dies bedeute keineswegs, die freien Grenzen in Europa aufzugeben. Vom Treffen der EU-Innenminister heute erwarte er "entscheidende Fortschritte, was die Verteilung der Flüchtlinge angeht". Dann werde es wieder geordnete Verhältnisse an den Grenzen Europas geben.
    Hardt forderte zudem einen besseren Umgang mit den Menschen: "Die EU muss in allen Ländern ein gleichmäßigen Standard von der Behandlung von Flüchtlingen sicherstellen." Zur Not müsse man anderen Staaten helfen, die Voraussetzungen zu erfüllen. "Flüchtlinge müssen gerecht verteilt werden, und einzelne Staaten dürfen sich nicht aus der Solidarität ausschließen", sagte der CDU-Politiker. Mit Blick auf die Grenzkontrollen fügte er hinzu: "Ich hoffe, dass wir einen Schritt weiterkommen - dann werden wir die anderen Schritte schnell überdenken können."

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Wir haben es gerade gehört: Der Städte- und Gemeindebund begrüßt zunächst mal die Entscheidung der Bundesregierung, den Zugverkehr zu stoppen und Grenzkontrollen im Süden Deutschlands wieder einzuführen. Es gibt aber auch bereits heftige Kritik an der Entscheidung.
    Am Telefon ist jetzt Jürgen Hardt (CDU). Er ist neugewählter außenpolitischer Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag. Guten Morgen, Herr Hardt.
    Jürgen Hardt: Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Schengen zunächst mal außer Kraft gesetzt. Ist Europa wieder Ausland?
    Hardt: Das ganz klar nicht. Wir haben ja im Schengen-Abkommen Regeln, unter denen temporär befristet auch entsprechende Grenzkontrollen wieder eingeführt werden können. Deutschland hat diese Karte jetzt gezogen. Das tun andere Länder aus anderen Gründen auch. Insofern müssen wir natürlich versuchen, möglichst bald wieder zu normalen Bedingungen zurückzukommen. Aber das, was jetzt geschieht, ist keine Aufgabe des freien Grenzverkehrs in Europa.
    Klein: Für 30 Tage können die Binnengrenzen komplett dicht gemacht werden. Das kann auch dann noch mal verlängert werden, mehrmals auf bis zu sechs Monate. Von welchen Zeiträumen gehen Sie denn aus?
    Hardt: Die Kanzlerin hat aus gutem Grunde gesagt, dass wir uns über den zeitlichen Rahmen gegenwärtig nicht äußern. Ich gehe davon aus, dass wir das ausschließlich zum Zwecke tun, um entsprechende geordnete Verfahren möglich zu machen. Geordnet bedeutet, dass wir jetzt auf der europäischen Ebene auch heute bei der Innenministerkonferenz zu entscheidenden Fortschritten kommen, was die Verteilung der Flüchtlinge angeht. Und ich glaube, wenn Europa insgesamt zu einem geordneten Umgang mit diesen Flüchtlingen zurückkommt, dann werden wir auch wieder zu geordneten Verhältnissen an den Grenzen innerhalb Europas kommen.
    "Wir setzen auf die Solidarität der Staaten in der Europäischen Union"
    Klein: Helfen Sie uns noch mal, Herr Hardt, mit der Erläuterung dessen, was da sich jetzt praktisch vollzieht. Das Ziel ist ja offensichtlich, Flüchtlinge davon abzuhalten, nach Deutschland zu kommen. Bleiben denn all die Zehntausend jetzt draußen, oder unter welchen Bedingungen werden doch Menschen reingelassen?
    Hardt: Der Bundesinnenminister hat sich ja dazu gestern Abend geäußert. Erstens: Der Übergang über die Grenzen ist natürlich weiterhin ungehindert möglich. Es ist hier lediglich so, dass man entsprechend seine Papiere dabei haben sollte. Und für den Fall, dass man keine Einreiseberechtigung nach Deutschland hat, muss man damit rechnen, dass man an der Grenze zurückgewiesen wird. Das bedeutet aber natürlich auch, dass diejenigen, die zurückgewiesen werden, beispielsweise Flüchtlinge, die aus einem sicheren Herkunftsland kommen und noch nicht registriert sind, dass sie diese Registrierung dann in dem Land, in diesem Fall Österreich vornehmen lassen. Ich glaube, dass insgesamt die Europäische Union dazu kommen muss, dass in allen Ländern ein gleichmäßig hoher Standard an humanitärer Behandlung von Flüchtlingen da ist, dass wir dazu kommen, dass ein Flüchtling, der zum Beispiel in Ungarn anlandet, tatsächlich auch in Ungarn zunächst einmal bleiben kann, ohne dass er das Gefühl hat, er muss sofort weiterziehen. Das können wir dadurch erreichen, dass wir auch den anderen Staaten ein Stück weit helfen, diese Aufgaben zu erfüllen. Es geht darum, zu einem geordneten Verfahren wieder zurückzukommen. Es geht nicht darum, die Grenzen dicht zu machen. Es geht darum, dass wir in der Lage sind, dass wir unvorhersehbare Bewegungen Richtung Deutschland in Form von vielen Tausenden, wie das am Wochenende der Fall gewesen ist, die die Behörden und die freiwilligen Helfer vor unlösbare Probleme stellen, dass wir das verhindern.
    Klein: Wir versuchen gerade nachzuvollziehen, was das in der Praxis bedeutet. Wenn Sie sagen, es kommen nur die Leute nach Deutschland rein, die eine Aufenthaltsgenehmigung haben, heißt das ja im Umkehrschluss, dass die meisten, die jetzt gekommen sind, draußen bleiben müssen. Das heißt, die bleiben dann in Österreich und oder in Ungarn. Das heißt, wir verlagern eigentlich das Problem von Deutschland in diese Länder der Europäischen Union. Das ist richtig?
    Hardt: Es war ja bisher so, dass die Probleme überwiegend nach Deutschland verlagert wurden. Der weitaus überwiegende Teil der Flüchtlinge ist ja nach Deutschland gekommen. Deutschland hat verhältnismäßig mit die meisten Flüchtlinge aufgenommen. Insofern setzen wir jetzt auf die Solidarität der Staaten in der Europäischen Union, die sich einerseits an die Regeln halten sollen und die Flüchtlinge entsprechend erfassen müssen, andererseits aber natürlich auch darauf vertrauen müssen, dass im Rahmen einer Solidarität Flüchtlinge innerhalb der Europäischen Union gerecht verteilt werden, dass nicht einzelne Staaten sich ausschließen von der solidarischen Aufgabe, entsprechend ihrer Größe und Leistungsfähigkeit auch Flüchtlinge anzunehmen. Ich hoffe, dass wir heute bei der Innenministerkonferenz der Europäischen Union dort einen entscheidenden Schritt weiterkommen. Wenn das der Fall ist, glaube ich, wird man auch die anderen Maßnahmen rasch überdenken können.
    Syrien: Keine friedliche Lösung mit Assad
    Klein: Da gibt es ein ganz klares Signal ja gerade auch aus betroffenen Staaten, auch aus Tschechien, auch aus der Slowakei, dass man auf gar keinen Fall einer solchen Quotenregelung zustimmen wird. Gehen Sie dennoch davon aus, dass wir heute eine Einigung sehen werden?
    Hardt: Ich glaube, es wird auf jeden Fall heute einen Fortschritt geben. Ich glaube, dass alle Beteiligten in der Europäischen Union wissen, dass das eine Aufgabe ist, die letztlich, wenn sie nicht gelöst wird, bei jedem Einzelnen vor der Haustür ankommt. Auch diejenigen Staaten, die im Augenblick sich noch sehr zurückhaltend bei der Flüchtlingsaufnahme betätigen, würden über kurz oder lang auch als Flüchtlingsland entdeckt werden. Insofern glaube ich, dass allen schon bewusst ist, um was es heute geht.
    Klein: Herr Hardt, sehr viele, die kommen, fliehen vor dem Krieg in Syrien, der vor unserer Haustür im Prinzip stattfindet. Damit ist diese Krise natürlich wieder auf die Tagesordnung zurückgekehrt, war offenbar auch am Rande zumindest Thema beim Außenministertreffen am Samstagabend in Berlin. Russland fordert jetzt auch stärkere Zusammenarbeit, auch mit Berlin, und fordert auch, dass wir quasi mit den Machthaber Assad unterstützen im Kampf gegen den IS. Ist die Bundesregierung dazu bereit, Ihrem Eindruck nach?
    Hardt: Es ist zunächst gut, dass es zwischen den westlichen Staaten und Russland in der Syrien-Frage eine Annäherung gibt, denn das ist ja der bisherige Hemmpunkt gewesen, in Syrien überhaupt voranzukommen, dass Russland auf der Seite Assads steht und der Westen aus guten Gründen der Auffassung ist, dass eine friedliche Lösung mit Assad in Syrien nicht möglich ist. Wenn Russland jetzt sagt, dass es sich beteiligen will am Kampf gegen den IS, ist das eine gute Sache. Allerdings befürchte ich, dass für den Fall, dass es auf eine Unterstützung des Regimes von Assad hinausläuft, wir in eine Situation kommen, dass letztlich wir versuchen, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Ich glaube, dass es mit Assad keine friedliche Lösung für Syrien geben kann. Im Gegenteil: Er würde möglicherweise eine entsprechende Militärhilfe nutzen, nicht nur den IS zu bekämpfen, was ja richtig und wichtig ist, sondern gleich auch noch seine politischen Gegner mit zu beseitigen. Von daher gibt es da viel Spielraum, was sich an Gutem, aber auch an Schlechtem aus der Sache entwickeln kann. Ich finde es auf jeden Fall gut, dass die deutsche Bundesregierung am Samstagabend doch einen guten Ton gefunden hat mit Russland und dass wir jetzt die Chance haben, auch diese Chance beim Schopf zu packen. Allerdings sehe ich noch keine finale Lösung, wie wir gemeinsam mit dem IS-Konflikt umgehen.
    Klein: Wir werden über die Details sicherlich hier auch noch an dieser Stelle weiter sprechen. Das war heute Morgen zunächst die Einschätzung von Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der Unions-Fraktion im Deutschen Bundestag. Ich danke Ihnen für das Interview.
    Hardt: Ja! Danke schön, Frau Klein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.