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Flüchtlinge auf Chios
"Hier im Lager sterbe ich langsam"

Auf der griechischen Insel Chios befinden sich zwei Flüchtlingscamps. Vor allem alleinstehende Männer schwanken zwischen Frust, Verzweiflung und meist hilflosen Versuchen, doch noch irgendwie von der Insel weg zu kommen. In die Türkei zurück wollen allerdings die wenigsten.

Von Michael Lehmann | 28.04.2017
    Zelte des Flüchtlingslagers auf der griechischen Insel Chios.
    Ein Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Chios: Auf zwei abgesperrten, gut bewachten Arealen leben hier etwa 2.000 Flüchtlingen. (LOUISA GOULIAMAKI / AFP)
    Ein Fußballfeld mit Kunstrasen - unterhalb des Flüchtlingscamps Vial: Junge Syrer, Afghanen und Iraker spielen in gemischten Teams, 100 andere Flüchtlinge, auch ein paar Kinder, schauen zu. Ablenkung vom Alltag, Ablenkung von der quälend langen Warterei. Polizei und viel Wachpersonal lässt Aufnahmen vom Fußballspiel draußen zu - alles andere, ein Blick in das Hot-Spot-Flüchtlingslager auf Chios, ist für Journalisten nicht erlaubt. Angelos, ein Athener Pressefotograf, schüttelt heimlich den Kopf, nachdem er einen Wachmann freundlich beruhigt hat.
    Von draußen darf ich nur die Fotos machen, sagt auch er. Tja, was soll er tun. Angeblich haben Fotos und Berichte von außen wenigstens erreicht, dass die umstrittenen Isolations-Boxen, die auch Käfige genannt wurden, wieder weg sind. Die Gesichter der Bewohner, die raus und rein dürfen, stumm, starr und traurig. Außer beim Fußball.
    Claire Wehlan, Mitarbeiterein der norwegischen Hilfsorganisation NRC, hilft auf Chios seit einem Jahr - bei der Versorgung mit Essen, beim Beruhigen der Menschen, die Monate und manche auch schon mehr als ein Jahr warten:
    "Ich habe hier mit Männern gesprochen, die vor ihren kleinen Kindern erzählen, dass sie sich umbringen wollen. Und ein junger Syrer hat was ganz ähnliches erzählt - auch er ist wirklich so verzweifelt, dass er immer wieder über Selbstmord nachdenkt. Das müssen wir ernst nehmen - das ist eine große Herausforderung, diesen Menschen helfen zu wollen".
    Viele haben keine Kraft mehr
    Unten am Hafen von Chios-Stadt im zweiten Lager Soula ist es Journalisten ein paar Stunden am Tag erlaubt, an Zelten und Duschkabinen vorbeizugehen. Das Essen soll hier besser sein, wir sehen frische Eier, die verteilt werden, auch einige Familienväter die lächelnd ihre Essenpakete durchs Lager tragen. Aber Abdullah aus Syrien hat nach einem Jahr und einem Monat Warten auf eine Weiterreise keine Kraft mehr, noch länger zu warten. Trotzdem will er auf das auf Zetteln ausgehängte Angebot der europäischen Grenzschutzagentur Frontex nicht eingehen. Die Zettel laden zur freiwilligen Rückkehr in die Türkei ein:
    "ln die Türkei gehe ich nicht, weil das ein gefährliches Land ist. Ich will weiterreisen in Europa - wenn das nicht klappt, gehe ich nach Syrien zurück."
    Hier auf Chios im Lager sterbe er langsam - in Syrien sei das dann ein schneller Tod, sagt er verbittert. Die Helfer im Lager räumen Müll weg, helfen neuankommenden Frauen, den Weg durch die Zeltreihen zu finden. Feste, große Zelte sind es, regensicher, aber alles andere als einladend.
    "Schau Dir das an", sagt der Athener Fotograf, "warten, warten, warten - auf was warten sie eigentlich hier?" Das alles erleben wir auf nur wenigen Quadratmetern. Auf zwei abgesperrten, gut bewachten Arealen leben etwa 2.000 Flüchtlingen auf Chios. Touristen bekommen Flüchtlinge nur als Spaziergänger oder im Straßencafe zu sehen - unauffällig. Und die Einheimischen, sagt Tula Kitromilidi, die Wirten in einem kleinen Ort an der Ostküste von Chios, die Insulaner sind zum Großteil weiter sauer, dass sie hier so viele Flüchtlinge ertragen müssen:
    "Das Problem ist, dass sie nicht verstehen, dass es nur ein paar wenige sind, die stehlen oder sich richtig daneben benehmen. Deshalb werden wir hier in Sachen Flüchtlingshilfe müde. Das hält niemand zwei Jahre lang durch. Deshalb versuchen wir neue Freiwillige nach Chios zu holen - sie müssen nicht nur den Flüchtlingen, den Einwanderern helfen - sondern auch den Inselbewohnern."