Donnerstag, 28. März 2024

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Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt
BDI-Präsident lehnt Sonderregelungen ab

Keine Sonderregelungen für Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt – das fordert der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Ulrich Grillo. Er sagte im Deutschlandfunk: "Ich bin noch nie für den Mindestlohn gewesen. Ich bin aber immer für gleiche Lösungen für Flüchtlinge, für Langzeitarbeitslose und unsere Mitarbeiter."

Ulrich Grillo im Gespräch mit Christoph Heinemann | 26.02.2016
    Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI).
    Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). (Imago / Jürgen Heinrich)
    Er sei deshalb dagegen, den Mindestlohn nur für Flüchtlinge aufzuheben. Wenn, dann müsse man Lösungen für alle anstreben, sagte BDI-Präsident Ulrich Grillo im DLF. So ließen sich gesellschaftliche Debatten und Neid auf andere in Deutschland verhindern.
    Grillo rief auch dazu auf, neben der Flüchtlingskrise andere Bedürfnisse nicht aus den Augen zu verlieren: "Wir dürfen Integrations- und Innovationsfragen nicht gegeneinander ausspielen." Als Beispiele für Investitionen in die Zukunft der Wirtschaft nannte der BDI-Präsident unter anderem die Infrastruktur und die Netzsicherheit.
    Von der Großen Koalition verlangte Grillo, zusammenzuarbeiten. Mit Blick auf die Aussagen der Kanzlerin zur Flüchtlingskrise sagte er: "Wir schaffen es nicht, wenn sich die Große Koalition nur mit sich selbst beschäftigt und streitet." Grillo sprach sich weiter für eine gesamteuropäische Lösung aus. Europa müsse solidarisch zusammenhalten.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Scherzhaft wird auch schon mal über die Viererbande gesprochen. An dem Wort stimmt allerdings nur die Zahl, denn Angela Merkel trifft zum traditionellen Gespräch in München heute keine Bande, sondern die Spitzen der vier wichtigsten deutschen Wirtschaftsverbände: Arbeitgeber, Handwerk, Handelskammertag und Industrie. Man könnte auch sagen, Angela Merkel trifft einen großen Teil des Bruttoinlandsproduktes. Dem geht es, vordergründig betrachtet, nicht schlecht.
    Das bekommt nur kaum jemand mit, denn zwei krisenhafte Entwicklungen verstellen zurzeit den Blick. Der Umgang mit den Menschen, die nach Deutschland kommen - im Januar 64.000 -, das ist das eine. Das andere die Vielstimmigkeit und die Rhythmusstörungen im europäischen Konzert. In der Europäischen Union gibt es viele unterschiedliche Frontverläufe. Deutschland steht dabei ziemlich allein auf weiter Flur.
    Am Telefon ist Ulrich Grillo, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Guten Morgen.
    Ulrich Grillo: Guten Morgen, Herr Heinemann.
    Heinemann: Herr Grillo, schaffen wir das noch?
    Grillo: Ja. Wir müssen nur eindeutig sagen, wie. Wir schaffen es nicht, wenn sich die Große Koalition nur mit sich selber beschäftigt, wenn sie sich streitet. Frau Merkel hat mal gesagt, Große Koalitionen sind für große Probleme zu lösen da. Das möchte ich sehen, mehr Geschlossenheit.
    Wir schaffen es auf der anderen Seite aber auch nicht, wenn wir bei der Flüchtlingsfrage nur nationale Lösungen anstreben. Wir sehen im Moment, was los ist, und was Herr Asselborn gesagt hat, es sieht teilweise in den Ländern wie Anarchie aus, das kann es nicht sein. Nach dem Motto, wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht, das Thema kann nicht sein.
    Wir müssen Europa zusammenhalten solidarisch. Wir müssen es versuchen, gemeinsam zu lösen, und da sind nach wie vor Chancen da. Und da, muss ich sagen, habe ich auch großen vor Frau Merkel, die dafür bis aufs Letzte kämpft, und da werden wir auch noch den Rücken stärken.
    "Ich habe die Hoffnung, dass die Länder eine Einsicht haben"
    Heinemann: Nur wenn es einsam wird um eine Politikerin, wie gegenwärtig um Angela Merkel, sollte die dann ihre Politik nicht korrigieren?
    Grillo: Na ja. Sie hat sie insofern korrigiert, dass sie sie weitergeführt hat und sie schon sagt, wie das zu schaffen ist, dass wir die Außengrenzen sichern müssen, dass wir in den Herkunftsländern investieren müssen, arbeiten müssen, dass wir solidarisch sein müssen.
    Aber es kann nicht sein, dass von 28 Ländern drei Länder dann die Lasten teilen. Es muss vernünftig verteilt werden. Und ich habe die Hoffnung - Sie haben gefragt, schaffen wir das, und ich habe das bejaht -, ich habe die Hoffnung, da es im Moment aus dem Ruder läuft, dass doch der Flüchtlingsgipfel Anfang März zu Ergebnissen führt, dass die Länder eine Einsicht haben und dass sie dann doch lernen, gemeinsam schaffen wir es besser.
    "Offene Grenzen sind ein hohes Gut"
    Heinemann: Welche Folgen hätte es für die Wirtschaft, wenn sich der Igel-Reflex durchsetzt, wo jetzt immer mehr europäische Staaten an den nationalen Grenzen die Stacheln ausfahren?
    Grillo: Na ja. Schengen ist natürlich sehr wichtig für die Wirtschaft. Insofern kämpfen wir dafür. Wir brauchen offene Grenzen. Dass wir in Europa offene Grenzen haben, das hat der Wirtschaft, das hat der Gesellschaft, das hat den Bürgern geholfen. Insofern ist das ein hohes Gut und das sollten wir auch verteidigen. Insofern kämpfen auch wir für eine europäische Lösung.
    Heinemann: Gegen die CSU?
    Grillo: Na ja, nicht gegen die CSU, sondern ich kämpfe für eine Lösung. Ich kämpfe nicht gegen einen. Und noch mal: Die Streitereien in der Großen Koalition, sie sind nicht erfreulich. Ich wunder mich auch manchmal, wenn der eine oder andere schon sagt, man sollte doch aus der Koalition austreten, das aufgeben. Es ist Klarheit gefordert, es ist Geschlossenheit gefordert. Die Themen, die Probleme sind so groß, da muss man sich mit denen beschäftigen und eben nicht mit sich selber.
    "Wir dürfen Integrationskosten und Investitionskosten nicht aufrechnen"
    Heinemann: Herr Grillo, Integration wird teuer. Geld für die Herkunftsländer wird dann obendrein noch benötigt. Schwarze Null ade oder höhere Abgaben etwa auf Benzin. Was raten Sie Wolfgang Schäuble?
    Grillo: Weder noch. Schwarze Null muss nach wie vor angestrebt werden. Wir brauchen aber auch keine höheren Abgaben. Erfreulicherweise läuft die Wirtschaft ganz gut. Die Steuereinnahmen sprudeln auf Rekordniveau, sodass ich sehr zuversichtlich bin, dass aus diesen hohen Steuereinnahmen die Flüchtlingsthemen bezahlt werden können, aber auch die anderen Themen. Das heißt Investitionen in die Infrastruktur, nachhaltiges zukunftsfähig machen der deutschen Industrie, dass auch das parallel laufen kann. Wir dürfen Integrationskosten und Investitionskosten nicht aufrechnen. Wir schaffen beides.
    Heinemann: Freuen Sie sich wenigstens über die CSU insofern, als die jetzt die schärferen Regelungen zu Leiharbeit und Werkverträgen aufkündigen wollen?
    Grillo: Ich freue mich nicht, wenn das zu Streitereien in der Koalition führt. Wir brauchen aber, insofern ist das positiv, flexible, vernünftige Regelungen bei der Zeitarbeit, bei den Werkverträgen. Ich habe das Gefühl, dass wir da auf dem richtigen Weg sind, genauso beim Thema Erbschaftssteuer.
    Da ist es ganz wichtig für die deutsche Wirtschaft, gerade für den Mittelstand, dass die Belastung gemildert wird, dass Erbschaftssteuern, wenn sie anfallen, zinslos gestundet werden können, damit Unternehmen nicht verkauft werden müssen, nur um Erbschaftssteuern zu bezahlen. Das ist auch schlecht für die Arbeitsplätze. Da geht es hoffnungsvollerweise in die richtige Richtung und ich bin ein Optimist und hoffe, dass die Große Koalition das noch hinkriegt.
    "Wir brauchen das Instrument der Zeitarbeit"
    Heinemann: Vernünftig im Zusammenhang mit Leiharbeit und Werkverträgen heißt für Sie zulasten der Arbeitnehmer?
    Grillo: Überhaupt nicht zulasten der Arbeitnehmer. Wir brauchen logischerweise die Arbeitnehmer. Werkverträge und Zeitarbeit sind auch Instrumente für die Integration von Flüchtlingen. Auch da sind sie wertvoll. Und in unserer arbeitsteiligen Wirtschaft, die gerade durch die Digitalisierung ihre Struktur noch weiter sehr viel verändert, brauchen wir das Instrument der Werkverträge. Das hat seit Jahrzehnten gut funktioniert, auch das Thema Zeitarbeit. Ich weiß überhaupt nicht, warum wir das einschränken sollen und limitieren sollen.
    Heinemann: Klingt nach Sozialdumping.
    Grillo: Überhaupt nicht Sozialdumping. Ganz im Gegenteil. Wenn Sie mich kennen, ist die vernünftige Bezahlung, die vernünftige Betreuung der Mitarbeiter ein hohes Gut. Ohne Mitarbeiter, ohne vernünftig qualifizierte und bezahlte Mitarbeiter können wir unser Geschäft nicht betreiben. Insofern: Das Wort Sozialdumping gehört eigentlich nicht zu meinem Wortschatz.
    "Ich bin nicht für Sonderregelungen für Flüchtlinge"
    Heinemann: War das jetzt ein Plädoyer für den Mindestlohn auch für Flüchtlinge?
    Grillo: Ich bin noch nie für den Mindestlohn gewesen. Ich bin aber immer für gleiche Lösungen für Flüchtlinge und für unsere Langzeitarbeitslosen und für unsere Mitarbeiter. Ich bin nicht für Sonderregelungen für die Flüchtlinge. Ich habe auch nicht versucht, den Mindestlohn zu verschieben nur für Flüchtlinge. Wenn, dann müssen wir insgesamt Lösungen anstreben.
    Heinemann: Das heißt, könnte man nicht über die Flüchtlinge aus Sicht der Wirtschaft den Mindestlohn aushebeln?
    Grillo: Wenn über das Thema Integration der Flüchtlinge insgesamt mehr Flexibilität und weniger Bürokratie in den Arbeitsmarkt kommt, damit wir schneller und zielführend die Mitarbeiter, die Flüchtlinge und Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt integrieren können, das ist gut. Aber noch mal: Keine Sonderregelung, damit wir keine gesellschaftlichen Diskussionen bekommen, den Neid von dem einen auf den anderen.
    Heinemann: Zum Wording noch mal. Flexibilität heißt immer Korrektur nach unten?
    Grillo: Überhaupt nicht! Nein, Flexibilität des Einsatzes. Korrektur nach unten ist gar nicht das Thema. In der Industrie spielt der Mindestlohn sowieso keine Rolle.
    In meinem Unternehmen ist Mindestlohn nicht das Thema. Das niedrigste Niveau ist bei uns 15 Euro pro Stunde. Der Durchschnitt in der Industrie ist über 30 Euro. Insofern ist bei uns das Thema Mindestlohn überhaupt keine Diskussion.
    "Es können nicht alle Flüchltinge sofort integriert werden"
    Heinemann: Herr Grillo, Sie haben in dieser Woche gesagt, die Wirtschaft fände keine Flüchtlinge, die sie ausbilden könnte. Kann man sich kaum vorstellen bei über einer Million Menschen.
    Grillo: Na ja. Wichtig ist natürlich erst mal, dass die Flüchtlinge die deutsche Sprache beherrschen. Das heißt, wir müssen zügig in die Infrastruktur investieren. Wir müssen zügig Ausbildung in der deutschen Sprache gewährleisten. Und dann müssen wir auch eine Planungssicherheit haben, dass sicher ist, dass die Flüchtlinge, die wir auch gerne ausbilden, die wir ausbilden wollen, auch eine gewisse Zeit hier bleiben können, dass sie nicht nach Ende der Ausbildung sofort wieder weg müssen. Da muss einiges passieren.
    Und es gibt verschiedene Beispiele, wo große Unternehmen eine große Zahl von Ausbildungsplätzen, von Praktikaplätzen schon zur Verfügung gestellt haben, wo es dann aber schwierig war, die entsprechende Zahl von Flüchtlingen zu bekommen. Es ist unterschiedlich. Wir tun, was möglich ist, und die Erfolge werden größer. Aber es ist natürlich so, dass jetzt nicht alle Flüchtlinge sofort integriert werden können.
    Heinemann: Wie lange dauert das ungefähr, bis jemand, der kein Wort Deutsch spricht, für ein Industrieunternehmen fit gemacht ist?
    Grillo: Na ja, das kann man so nicht sagen. Sicherlich stellt man fest, dass die Flüchtlinge durchaus talentiert sind. Das mag bei dem einen ein halbes Jahr dauern, bei dem anderen ein ganzes Jahr. Wichtig ist ja auch, dass bei der Sprachausbildung man parallel begleitend eine langsame Heranführung an die Ausbildungsstätte hat. Wenn man das organisieren kann, das wäre auch gut. Aber es dauert auf jeden Fall eine Zeit, das ist richtig.
    "Über die Flüchtlingskrise die anderen Themen nicht aus dem Auge verlieren"
    Heinemann: Herr Grillo, Sie warnen seit geraumer Zeit, vor lauter Krise dürfe die Zukunft nicht verschlafen werden. Wo vernehmen Sie besonders laute Schnarchgeräusche?
    Grillo: Die Große Koalition hat bisher den Koalitionsvertrag buchstabengetreu abgearbeitet. Sie hat aber bisher relativ wenig für die Sicherung der Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft getan.
    Wir haben Belastungen gekriegt, wir müssen weiter nach vorne denken. Die Wirtschaft läuft im Moment gut, weil die Rahmenbedingungen gut sind. Wir müssen sie aber wetterfest und zukunftsfest machen. Wir müssen mehr investieren, wir müssen mehr in die Verkehrsinfrastruktur investieren, wir müssen mehr das Thema Digitalisierung voranbringen. Das ist der Trend der Zukunft.
    Da hat Deutschland eine Riesenchance, wenn wir die richtige Netzinfrastruktur haben. Wir müssen das Thema Energiewende nach vorne bringen. Wir dürfen die Energiekosten nicht immer weiter nach oben bringen, wir müssen sie senken. Die deutsche Industrie ist energieintensiv, da brauchen wir wettbewerbsfähige Energiepreise.
    Die Hausaufgaben sind groß genug und deswegen appelliere ich immer daran, nicht nur das Thema Flüchtlingskrise zu nehmen, sondern auch die anderen Themen im Augenmerk zu behalten.
    Heinemann: Verschläft auch die Wirtschaft etwa wegen des niedrigen Ölpreises oder der geringen Inflation die eine oder andere wichtige Investition?
    Grillo: Na ja, die Wirtschaft schläft nicht, und wenn die Ölpreise niedrig sind und die Zinsen niedrig sind, dann investiert die Wirtschaft ja gerade. Die Wirtschaft investiert sehr gerne, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, wenn Planungssicherheit da ist.
    Ich habe gerade das Thema Energiekosten erwähnt. Die energieintensive Industrie investiert im Moment wenig, aber nur, weil es Unsicherheiten gibt, weil es Unsicherheiten gibt über die Energiezukunft, über die Energiepreise. Wenn es da mehr Sicherheiten und klare Rahmenbedingungen gibt, dann investieren wir gerne. Schlafen tun wir überhaupt nicht, nur ganz ab und zu.
    Heinemann: Ulrich Grillo, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Grillo: Danke sehr, Herr Heinemann. Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.