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Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt
"Es wird unseren Wohlstand auf Dauer vermehren"

Der Ökonom Gustav Horn wirbt beim Thema Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt um Geduld. Der Prozess sei langwieriger als er dachte, sagte Horn im DLF. Auf lange Sicht werde er aber zu mehr Arbeitskräften, mehr Produktion und mehr Wohlstand in Deutschland führen.

Gustav Horn im Gespräch mit Doris Simon | 14.09.2016
    Gustav Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung
    Gustav Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung (Imago)
    Bundeskanzlerin Angela Merkel trifft sich am Mittwochabend mit Unternehmensvertretern in Berlin, um darüber zu sprechen, wie sich die Eingliederung von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt verbessern lässt. Gustav Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, hält es für wünschenswert, wenn bei dem Treffen eine Beschleunigung der Integration herauskommen würde. Diese verlaufe bisher viel zu langsam, sagte Horn im DLF. Dadurch biete sich den Flüchtlingen keine Perspektive, zusätzlich werde die Skepsis ihnen gegenüber in der deutschen Bevölkerung verstärkt.
    Spracherwerb höchste Bedeutung zumessen
    Beschleunigt werden sollte nach Ansicht Horns etwa die Entscheidung über das Bleiberecht. Zudem müssten Sprachkurse bereits parallel zu diesem Entscheidungsprozess stattfinden. "Ich fände es besser, ein paar Sprachkurse zu viel zu geben als ein paar zu wenig", so Horn. Dem Spracherwerb müsse mit Blick auf den Start in den Arbeitsmarkt höchste Bedeutung zugemessen werden - mit entsprechenden Investitionen. Doch daran hake es noch.
    Geduld, Ausbildung und sensible Berater sind gefragt
    Die - derzeit 346.000 arbeitsuchenden - Flüchtlinge in Deutschland könnten sicherlich nicht alle sofort in Arbeit gebracht werden, sagte Horn. Die Arbeitslosenquote werde zunächst steigen. Jedoch sei Arbeitslosigkeit "nur ein vorübergehender Effekt, nämlich während des Suchprozesses nach Arbeit", so Horn. Gefragt seien jetzt Geduld, Ausbildung und sensible Berater, die versuchen müssen, die passenden Arbeitsplätze für die Flüchtlinge zu finden.
    "Diese Menschen sind nicht daran gewohnt, in einer Hochleistungsindustrie zu arbeiten." Sie fit für den deutschen Arbeitsmarkt zu machen, erfordere noch eine lange Zeit der Anpassung und Ausbildung. Das berge die Gefahr, dass die Spannungen in der deutschen Bevölkerung zunähmen. "Aber wenn wir uns die Zeit nehmen und diese Sachen sorgfältig machen, dann werden wir auf lange Sicht tatsächlich mehr Arbeitskräfte haben, mehr Produktion haben und es wird unseren Wohlstand auf Dauer vermehren."

    Das Interview in voller Länge:
    Doris Simon: Am Telefon ist jetzt Professor Gustav Horn. Er ist Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Guten Abend.
    Gustav Horn: Guten Abend.
    Simon: Herr Horn, was wäre ein wünschenswertes Ergebnis, was aus der Tagung hervorgehen sollte?
    Horn: Es wäre wünschenswert, wenn aus der Tagung insgesamt eine Beschleunigung des Integrationsprozesses herauskommen würde, und da sind alle Seiten gefordert. Die Bundesregierung muss ihre Verfahren beschleunigen und die Unternehmen müssen sich überlegen, wie sie neue Arbeitskräfte, Flüchtlinge, die aus einem kulturell anderen Kreis kommen möglichst schnell in ihre Betriebe integrieren können.
    "Entscheidungen über Bleiberecht deutlich beschleunigen"
    Simon: Die Bevölkerung in Deutschland ist ja recht skeptisch. Nach einer Umfrage schätzen drei von vier Deutschen den durchschnittlichen Bildungsstand von Flüchtlingen als niedrig ein und mehr als jeder zweite glaubt nicht, dass die Flüchtlinge dazu beitragen können, den Fachkräftemangel der Wirtschaft zu verringern. Wenn das, was Sie gerade gefordert haben, nämlich beschleunigte Prozesse, Anerkennungsverfahren und so weiter durch die Politik und die Arbeitgeber sowie die Wirtschaft weiterhin wie bisher verlaufen, wird die Skepsis noch zunehmen?
    Horn: Das fürchte ich ja. In der Tat verlaufen diese Prozesse sehr zögerlich und auch sicherlich viel zu langsam, um tatsächlich auch bei den Flüchtlingen selber Perspektiven aufzubauen und Hoffnungen aufkeimen zu lassen. Und gleichzeitig verstärkt es natürlich die Skepsis in der deutschen Bevölkerung, weil es einfach nicht voran geht und dort viele, viele Menschen einfach herumhängen. Das ist für beide Seiten nicht gut.
    Wünschenswert wäre, wenn die Entscheidungen über das Bleiberecht deutlich beschleunigt werden können. Wünschenswert wäre auch, wenn die Sprachkurse vielleicht schon parallel zu diesem Entscheidungsprozess stattfinden können. Ich fände es besser, ein paar Sprachkurse zu viel zu geben als ein paar zu wenig. Das könnte schon den Start erheblich beschleunigen.
    Und dann müsste man sehen, wie die Flüchtlinge für den Arbeitsmarkt geeignet sind. Wir wissen es ja gar nicht so ganz genau. Aufschluss darüber können vielleicht nur Praktika oder Hospitanzen geben, wo man dann sieht, was die Menschen können und was nicht.
    "Der rasche Erwerb von Sprachkenntnissen muss am Anfang stehen"
    Simon: Diese Forderungen sind ja nicht neu, die Sie stellen. Warum ist da bis jetzt nicht das geschehen, was geschehen müsste?
    Horn: Das hat einmal natürlich mit der schieren Masse an Flüchtlingen zu tun. Es ist schon eine ungeheure Aufgabe und Herausforderung, dies alles zu bewältigen. Das muss man einfach zugestehen. Zudem gibt es viel zu wenig Präzedenzfälle, wie wir das am besten machen können. Wir müssen ja uns Strategien sozusagen im laufenden Verfahren ausdenken. All dies erklärt, warum es so zögerlich läuft.
    Aber wir wissen jetzt, dass vor allen Dingen der rasche Erwerb von Sprachkenntnissen unbedingt am Anfang stehen muss, denn erst die Sprachkenntnisse erlauben einen Zugang auch zu unserer Arbeitskultur, einen Zugang auch, um dieses Land überhaupt zu verstehen, um zu verstehen, was wir von ihnen wollen und was sie uns geben können. Deshalb müsste da das größte Augenmerk drauf gelegt werden.
    "Besser, ein Sprachkurs zu viel zu geben als ein paar zu wenig"
    Simon: Es ist ja nicht so, dass es an Vorschlägen mangelt. Zum Beispiel haben ja Verbände wie etwa der Verband Die Familienunternehmer schon mehrfach gefordert, dass zum bestehenden dualen System, für das uns ja viele beneiden von außerhalb von Deutschland, von Schule und beruflicher Ausbildung, noch eine dritte Säule dazukommt, nämlich einmal Spracherwerb in diesem dualen System und dann auch so eine Art Sozialbetreuung.
    Da sagen die Unternehmer, wir sind eigentlich diejenigen, die ja schon mit Ausbildung helfen. Die großen Unternehmen sind es ja nur in den seltensten Fällen. Deswegen müsste der Staat jetzt diesen Spracherwerb in der Ausbildung unterstützen, zum Beispiel mit tausend Euro pro Flüchtling pro Monat. Ist das ein Modell, was Sie für realistisch halten?
    Horn: Nun, das ist sicherlich höchstens in Teilen realistisch, weil nicht alle Flüchtlinge werden sofort in Betrieben unterkommen, und das können auch diese Verbände schlicht und ergreifend nicht versprechen. Deshalb muss der Staat schon dafür sorgen, das ist richtig, aber er muss es auch außerhalb der Betriebe schon machen, möglichst rasch machen, auch vielleicht noch bevor die Entscheidung über ein Bleiberecht gefallen ist.
    Denn wie gesagt: Es ist besser, ein Sprachkurs zu viel zu geben als ein paar zu wenig. Denn nur dann haben wir die Grundvoraussetzung dafür geschaffen, dass diese Flüchtlinge überhaupt in Deutschland integriert werden können. Deshalb: Der Spracherwerb muss am Anfang stehen. Dem muss höchste Bedeutung zugemessen werden.
    Und da müssen dann auch Mittel investiert werden, und daran hakt es natürlich manchmal. Es ist eben nicht einfach, so viel Geld in so kurzer Zeit aufzutreiben. Es ist auch nicht einfach, so viele Lehrer in kurzer Zeit aufzutreiben. All dies will organisiert werden.
    "In der Arbeitslosigkeit müssen die Flüchtlinge gut betreut werden"
    Simon: Wir haben derzeit 346.000 Arbeit suchende Flüchtlinge in Deutschland, in unterschiedlichen Stadien, sage ich mal, auch der Anerkennung. Selbst wenn das mit dem Spracherwerb besser würde, könnten wir die alle beschäftigen?
    Horn: Sicherlich nicht sofort, denn Beschäftigung ist auch ein Suchprozess auf dem Arbeitsmarkt. Und wir erwarten auch, dass die Arbeitslosenquote in Deutschland steigt im Laufe des nächsten Jahres. Wir hätten sogar einen rascheren Anstieg erwartet, aber da nicht so viele Flüchtlinge auf den Arbeitsmarkt derzeit kommen, ist der Anstieg eigentlich noch recht langsam.
    Simon: Das heißt, es verzögert sich dieser Anstieg?
    Horn: Dieser Prozess verzögert sich. Das ist ein Zeichen, dass er sich verzögert. Und natürlich: In der Arbeitslosigkeit müssen diese Flüchtlinge gut betreut werden und man muss versuchen, von Seiten der Bundesagentur für Arbeit da die passenden Arbeitsplätze dann zu finden. Das wird auch dauern und sie werden sicherlich einige Zeit in Arbeitslosigkeit verbleiben.
    "Das hat der Konjunktur in Deutschland gut getan"
    Simon: Die Zahlen, die wir bisher haben in Deutschland, sind nicht so ermutigend. Nach den bisherigen Entwicklungen vor der großen Ankunft der Flüchtlinge im letzten Jahr war es so, dass die Hälfte aller Flüchtlinge erst nach sechs Jahren einen Arbeitsplatz findet und erst nach 15 Jahren es 70 Prozent von Flüchtlingen bislang waren. Dann kamen die vielen. Sie haben damals vor knapp einem Jahr gesagt, das ist ein kleines Konjunkturprogramm, das erhöht unser Arbeitskräfteangebot. Würden Sie im Rückblick sagen, Sie waren damals zu positiv?
    Horn: Nein, es ist ein kleines Konjunkturprogramm. Natürlich führt dieses Konjunkturprogramm nicht dazu, dass alle Flüchtlinge sofort beschäftigt werden, sondern das Konjunkturprogramm führt dazu, dass mehr Geld in Umlauf gekommen ist durch die Flüchtlinge, nämlich dadurch, dass Behausungen gebaut werden mussten, dass Sicherheitsdienste beschäftigt werden, dass Flüchtlinge Geld bekommen, um sich Lebensmittel zu kaufen. Das hat der Konjunktur in Deutschland gut getan.
    Aber damit sind die Flüchtlinge noch nicht beschäftigt. Das ist ein sehr viel langwierigerer Prozess, wie wir jetzt sehen, langwieriger als ich auch dachte, ehrlich gesagt. Aber man muss sich diesen Realitäten stellen und das Möglichste tun, diesen Prozess zu beschleunigen, eben durch die Maßnahmen, über die wir gerade gesprochen haben.
    "Das erfordert noch eine lange Zeit der Anpassung und Ausbildung"
    Simon: Schauen wir trotzdem noch mal auf den Arbeitsmarkt. Sie sagten schon, es verzögert sich, dass wir steigende Arbeitslosenzahlen haben werden, aber wir bekommen sie. Wird das nicht gesellschaftlich auch noch zu größeren Spannungen führen?
    Horn: Die Gefahr besteht durchaus. Es wird ja immer wieder als Argument herangeführt, dagegen, dass man Flüchtlinge ins Land hereinlässt, dass die Arbeitslosenquote steigen wird, und dann steigt sie sogar. Das kann man als Bestätigung dieser These sehen. Wenn man aber genauer hinschaut, dann sieht man ja, dass dies nur ein vorübergehender Effekt ist, nämlich während des Suchprozesses nach Arbeit.
    Es geht eben nicht sofort, dass alle reibungslos in Beschäftigung gehen. Dieser Realität muss man sich stellen. Das muss man den Menschen aber auch erklären und man muss ihnen sagen, wir brauchen jetzt Geduld, wir brauchen Anstrengungen, wir brauchen Ausbildung, wir brauchen sensible Berater, die dafür sorgen, dass diese Menschen die Beschäftigung finden, die zu ihnen passt.
    "Wir müssen vor allen Dingen dafür werben, mehr Geduld zu haben"
    Simon: Das Treffen heute Abend produziert ja keine Agenda, die dann metikulös abgearbeitet wird. Es wird nicht sofort Ergebnisse geben. Gehen Sie denn davon aus, dass der Appell, der sicher heute Abend wieder an die Unternehmen gerichtet wird, dass der was bringt, zum Beispiel auch, dass sich endlich große erfolgreiche Unternehmen stärker engagieren und Flüchtlinge ausbilden, aufnehmen?
    Horn: Die Kanzlerin kann ja letztlich nur für Offenheit in dieser Frage werben. Es gibt ja auch immer wieder einzelne Versuche, dass große Unternehmen Flüchtlinge aufnehmen. Aber man muss klar sagen: Diese Menschen sind nicht daran gewohnt, in einer Hochleistungsindustrie zu arbeiten. Das erfordert noch eine lange Zeit der Anpassung und Ausbildung. Da darf man auch einfach nicht zu viel von den Menschen erwarten. Man muss ihnen Zeit geben und man muss auch die richtigen finden, die dort hinpassen.
    Ich glaube, dass wir vor allen Dingen dafür werben müssen, mehr Geduld zu haben. Wir werden dieses Problem nicht schnell lösen können. Wir brauchen Zeit. Aber wenn wir uns diese Zeit nehmen und diese Sachen sorgfältig machen, dann werden wir auf lange Sicht tatsächlich mehr Arbeitskräfte haben, mehr Produktion haben und es wird unseren Wohlstand auf Dauer vermehren.
    Simon: … sagt Gustav Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Das Interview haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.