Mittwoch, 24. April 2024

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Flüchtlinge
Auf dem Weg nach Deutschland

Bis zu 10.000 Flüchtlinge sollen am Sonntag durch Österreich in Richtung Deutschland reisen - damit rechnen österreichische Behörden. Insgesamt sind dem Innenministerium zufolge bereits 11.000 Migranten nach Deutschland gebracht worden.

06.09.2015
    Flüchtlinge kommen am 06.09.2015 im Hauptbahnhof in Dortmund (Nordrhein-Westfalen) an.
    Flüchtlinge im Hauptbahnhof in Dortmund (picture alliance / dpa / Maja Hitij)
    Nach Angaben der österreichischen Polizei sind bis zum frühen Sonntagnachmittag zwar weniger Flüchtlinge als am Vortag aus Ungarn eingereist - es gibt demnach aber keine Informationen der ungarischen Behörden, wie viele Menschen noch unterwegs sind. Ein Sprecher der Polizei Burgenland sagte, es könnten Hunderte oder noch Tausende sein.
    In der Nacht waren rund 2.000 Migranten mit Zügen in München angekommen - ein Großteil wurde in andere Bundesländer weitergeleitet. Ein Sonderzug mit bis zu 1.000 Flüchtlingen fuhr nach Dortmund, ein weiterer mit bis zu 700 Menschen nach Braunschweig. Auch in Dresden und Stuttgart wurden Flüchtlinge erwartet. Die Bundesregierung und Österreich hatten in der Nacht zum Samstag die Einreise angesichts der chaotischen Zustände in Ungarn freigegeben. Seitdem hat sich der Münchner Hauptbahnhof zu einer Drehscheibe entwickelt, von wo aus die Menschen auf Aufnahmeeinrichtungen, Notunterkünfte oder weitere Züge verteilt werden.
    Kritik aus der CSU
    Die CSU kritisierte den Entschluss, die Grenzen für die Flüchtlinge zu öffnen: "Wir können als Bundesrepublik und bei 28 EU-Mitgliedsstaaten nicht auf Dauer beinahe sämtliche Flüchtlinge aufnehmen", sagte der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer bei einer Feierstunde zum 100. Geburtstag seines Amtsvorgängers Franz Josef Strauß im oberbayerischen Rott am Inn. "Das hält auf Dauer keine Gesellschaft aus." Der bayerische Ministerpräsident kündigte intensive Gespräche mit Merkel beim Koalitionsgipfel heutige Abend in Berlin an.
    Laut "Bild am Sonntag" wurde die Einreiseerlaubnis für Flüchtlinge auch bei einer eigens einberufenen Telefonkonferenz des CSU-Präsidiums einstimmig als "falsche Entscheidung des Bundes" gewertet. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sagte der Zeitung, die Telefonschalte sei "zurecht sehr deutlich" gewesen. Der massenhafte Zustrom von Flüchtlingen nach Deutschland müsse gestoppt werden.
    Lob für die Bundesregierung gab es dagegen aus der SPD: Generalsekretärin Fahimi sagte der "Bild am Sonntag", die Entscheidung der Bundesregierung sei "in dieser Ausnahmesituation" die "einzig richtige" gewesen. "Wir mussten ein starkes Signal der Menschlichkeit setzen, um zu zeigen, dass Europas Werte auch in schwierigen Zeiten gelten", sagte Fahimi und bezeichnete das Verhalten der ungarischen Regierung als unerträglich.
    Österreich fordert EU-Sondergipfel
    Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann erneuerte die österreichische Forderung nach einem Sondergipfel EU-Staats- und Regierungschefs zur Flüchtlingsfrage noch im September, nachdem ein Sprecher von EU-Ratspräsident Donald Tusk dies für unnötig erklärt hatte. Zuvor hatte der österreichische Außenminister Sebastian Kurz einen solchen Gipfel gefordert. Im "Interview der Woche" des Deutschlandfunks sagte er, an diesem Treffen müssten auch die Innen-, Verteidigungs-, Justiz- und Außenminister teilnehmen. Es dürfe nicht der Fehler gemacht werden, zu glauben, dass man diese Krise aussitzen könne, weil bald die kalte Jahreszeit komme und dann die Flüchtlingsströme wieder zurückgingen. Seit Jahren sei klar, dass das Dublin-Abkommen nicht funktioniere, betonte der ÖVP-Politiker. Die Vereinbarung sieht vor, dass alle Asylsuchenden in dem EU-Land registriert werden müssen, das sie als erstes betreten.
    Stattdessen forderte Kurz, dass Asylsuchende ihre Anträge künftig schon in ihrem Heimatland stellen können. Mit der derzeitigen Praxis betreibe die EU so etwas wie ein "Schlepper-Förderungsprogramm", sagte der ÖVP-Politiker. Dies führe dazu, dass die, die nach Europa weiterzögen, meistens "nicht die Ärmsten der Armen" seien, da sie doch Tausende Dollar oder Euro an Schlepper bezahlt hätten. Zudem seien es zumeist junge Männer, die fit genug seien, die Reise überhaupt zu überstehen, sagte Kurz. "Die Alten, die Kranken, die Frauen, die Kinder, die Schwangeren - das sind diejenigen, die meistens in der Region zurückbleiben müssen."
    EU-Kommission will Quotenregelung
    Die EU-Kommission will am Mittwoch Vorschläge zum Umgang mit der hohen Zahl an Flüchtlingen machen. So sollen einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" zufolge die Türkei, Albanien, Montenegro und das Kosovo zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden. Das bedeutet, dass Asylanträge aus diesen Ländern leichter als unbegründet abgelehnt werden können. Wie die "Welt am Sonntag" berichtet, ist zudem eine Quotenregelung geplant: So soll Deutschland 31.443 Menschen aufnehmen, die bislang in Griechenland, Italien und Ungarn angekommen sind. An zweiter Stelle steht Frankreich mit 24.031 Migranten, Spanien soll 14.921 aufnehmen. In den osteuropäischen Ländern stößt dieses Vorhaben auf Kritik: Der slowakische Außenminister Miroslav Lajcak sagte der "Welt am Sonntag", eine Quotenregelung sei für Migranten eine Ermutigung, den Weg nach Europa einzuschlagen. Auch der ungarische Regierungssprecher Zoltan Kovacs sagte, dass sein Land eine Quotenregel ablehne.
    EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kritisierte derweil Grenzkontrollen, die in einigen Ländern wegen der hohen Zahl an Flüchtlingen stattfinden. Das Recht auf Freizügigkeit sei eine wichtige Errungenschaft der EU. "Wir dürfen Schengen nicht aufs Spiel setzen, nur weil einige Mitgliedstaaten gegen die europäischen Regeln verstoßen und Solidarität offenbar als Schönwetter-Wort begreifen", sagte er der Bild am Sonntag.
    Auch Papst Franziskus thematisierte die Flüchtlingsfrage: Während des Angelus-Gebets forderte er alle katholischen Gemeinden auf, eine betroffene Familie aufzunehmen. Das Oberhaupt der katholischen Kirche sagte, die beiden Pfarrgemeinden des Vatikan ginden in den kommenden Tagen mit gutem Beispiel voran. Es reiche nicht, Mut und Geduld zu predigen, sagte Franziskus. "Die christliche Hoffnung ist kämpferisch."