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Flüchtlinge aus Afrika
"Wir müssen uns diesem Kontinent zuwenden"

Der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei Manfred Weber attestiert den libyschen Behörden Fortschritte bei der Grenzschutzarbeit. Im Dlf bezeichnete er die Zustände in libyschen Flüchtlingscamps zugleich als erschütternd. Europa müsse sich Afrika zuwenden. Dies sei in Paris vereinbart worden.

Manfred Weber im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 30.08.2017
    Manfred Weber (CSU), Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europaparlament, während des CSU-Parteitages in München
    Manfred Weber (CSU), Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europaparlament (imago / Sven Simon)
    Tobias Armbrüster: Die Zahl der Flüchtlinge aus Afrika, die übers Mittelmeer nach Europa kommen, die ist in den vergangenen Wochen deutlich und ruckartig zurückgegangen. Das klingt zunächst wie eine gute Nachricht, aber dahinter steckt offenbar eine grausame Wahrheit, denn die libysche Küstenwache ist offenbar inzwischen sehr aktiv. Sie soll Tausende von Männern und Frauen auf Booten verhaftet und in Gefängnisse und Lager gesteckt haben. Dort in solchen libyschen Lagern müssen die Gefangenen oft hungern, sie werden gefoltert und vergewaltigt. Aus verschiedenen Quellen ist das inzwischen belegt. Welche Rolle spielt hier die Europäische Union? Oder besser noch: Welche Rolle sollte sie spielen? Das können wir jetzt besprechen mit dem CSU-Europaabgeordneten Manfred Weber. Im Europaparlament ist er Fraktionschef der Europäischen Volkspartei. Schönen guten Morgen, Herr Weber.
    Manfred Weber: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Weber, Flüchtlinge, die in libyschen Gefängnissen landen, sind Sie da zufrieden?
    Weber: Zunächst muss klargestellt werden, dass Grenzen überwacht werden und Grenzen gesichert werden. Und im Mittelpunkt dabei muss stehen, dass wir den Schlepperbanden, der Mafia, der organisierten Kriminalität, die mit diesen flüchtenden ein Milliarden-Business verdient und Milliarden-Geschäfte umsetzt, dass wir denen das Handwerk legen. Das muss im Mittelpunkt stehen. Und wenn die libyschen Behörden da besser werden, wenn sie schlicht und einfach das machen, was alle Grenzschutzbehörden der Welt machen, nämlich ihre Grenze zu sichern, dann ist das ein Fortschritt.
    Allerdings die Meldungen, die wir dann von den Camps und von den Unterbringungseinrichtungen hören, sind erschütternd. Und deswegen muss die Europäische Union, so wie es auch in Paris am Montag vereinbart worden ist, sich endlich um diese Camps kümmern. Genauso wie wir die Türkei finanzieren, genauso wie wir Jordanien finanzieren und den Libanon, müssen wir jetzt auch in Libyen aktiv werden.
    "Es müssen Staaten entscheiden, wer nach Europa darf, nicht die Mafia"
    Armbrüster: Sind diese Lager die natürliche Konsequenz der europäischen Flüchtlingspolitik?
    Weber: Ja, wir müssen noch mal feststellen, dass wir auf der Balkan-Route einen hohen Anteil von Flüchtlingen hatten, Menschen aus Syrien, und auf der Mittelmeer-Route haben wir einen hohen Anteil von illegalen Migranten. Das sind im Kern keine Bürgerkriegsflüchtlinge, die nach Europa kommen über die Mittelmeer-Route, sondern Menschen auf der berechtigten Suche nach einem besseren Leben. Aber das ist eben nicht Flüchtlingspolitik. Das ist Migrationspolitik. Und die beiden Bereiche müssen wir auseinanderhalten. Es bleibt dabei: Wir müssen dafür sorgen, dass der organisierten Kriminalität das Handwerk gelegt wird. Es müssen Staaten entscheiden, es müssen Grenzbeamte entscheiden, wer nach Europa rein darf, und nicht die Mafia.
    Armbrüster: Aber nun hat, Herr Weber, die Europäische Union entschieden, wir wollen diese Menschen nicht reinlassen, wir wollen alles dafür tun, dass sie auf dem Mittelmeer abgefangen werden und zurückgebracht werden. Noch einmal die Frage: Ist das dann die logische Konsequenz, dass diese Menschen dann in solchen libyschen Lagern landen oder gibt es da noch eine Alternative?
    Weber: Ich bleibe dabei: Wir müssen Recht und Ordnung umsetzen. Aber klar ist auch, dass Europa sich nicht abschotten darf. Wenn Menschen in Not sind, müssen wir helfen, aber das staatlich organisiert. Und dann sind wir bei dem Ansatz, den wir in Brüssel, den Jean-Claude Juncker vorgelegt hat, nämlich das Resettlement umzusetzen. Das heißt, mit den Herkunftsgebieten dort, wo Bürgerkrieg herrscht, dort, wo Menschen sich schon auf der Flucht befinden, dort Anlaufstellen zu schaffen, wo Europa diesen Regionen Partnerschaft anbietet, feste Kontingente anbietet, diese Menschen dann nach Europa zu holen. Das heißt, wir müssen helfen! Wir müssen weiter Türen öffnen, aber strukturiert, organisiert und entschieden durch die Politik, durch Europa und nicht – ich bleibe dabei – durch die organisierte Kriminalität.
    Armbrüster: Das heißt jetzt aber auch in Konsequenz, dass Europa dann mit Diktatoren verhandeln muss über Grenzkontrollen, über Flüchtlingsströme und über Gefängnisse.
    Weber: Wir können uns unsere Nachbarn nicht aussuchen. Wir haben Putin, wir haben Erdogan, wir haben auf libyscher Seite ein instabiles Regime, wir haben in Afrika viele instabile und autokratische Systeme. Ja, das ist Realität. Aber wir können uns die Welt nicht so malen, wie wir sie gerne hätten. Wir müssen mit denen arbeiten, die wir haben. Klar ist aber auch, dass wir uns an unseren Werten messen müssen. Und da bleibe ich noch mal dabei: Deswegen ist das Pariser Abkommen schon ein Erfolg, weil Europa erstmals jetzt klare Akzente setzt in der Hinwendung nach Libyen. Wir müssen dort vor Ort gemeinsam mit den Vereinten Nationen und europäischem Geld dafür sorgen, dass die Unterbringungsmöglichkeiten gut sind.
    "Wir sind gezwungen, mit den Partnern zu verhandeln, die wir haben"
    Armbrüster: Aber, Herr Weber. Entschuldigen Sie, wenn ich Sie da unterbreche. Viele Leute würden da jetzt wahrscheinlich sagen, Europa ist doch gerade dabei, sich von seinen eigenen Werten zu verabschieden, wenn wir die Bilder von diesen Lagern sehen und wenn wir uns vor Augen halten, dass Europa jetzt mit solchen Regimes verhandeln muss über Flüchtlinge.
    Weber: Ja noch mal: Mit wem soll man denn sonst verhandeln? Wir sind nun mal gezwungen, mit den Partnern zu verhandeln, die wir haben, auch wenn man sich demokratischere Strukturen wünschen würde. Insofern: Dazu gibt es keine Alternative. Die Frage ist nur, wie können wir dafür sorgen, wenn wir Europäer dort aktiv sind, vor allem mit europäischem Geld dann auch helfen, dass wir dann dafür sorgen, dass sich die Länder in die richtige Richtung entwickeln. Das ist eine schwierige Aufgabe.
    Armbrüster: Was schätzen Sie denn, wie viele Jahre oder Jahrzehnte wird das dauern, bis man so etwas in diesen Ländern aufgebaut hat, solche Strukturen?
    Weber: Ich bin Optimist, weil wenn Sie beispielsweise nach Asien blicken, war vor 40 Jahren Asien, viele Länder dort, denken Sie an Regionen wie Südkorea, auch wie China, abgeriegelte Länder, die es auf der Weltkarte nicht gab. Heute sind sie Industriestaaten, wohlentwickelte Regionen der Welt.
    Armbrüster: Verzeihung! Ist China für Sie ein Vorbild?
    Weber: Ich sprach von der ökonomischen Situation, dass Menschen nicht mehr auf die Flucht gehen müssen, wissen Sie. Von dem spreche ich. Und da muss man schon festhalten, dass dort positive Entwicklungen entstanden sind. Und wir brauchen in Afrika Stabilität. Europa kann nicht auf Dauer in Frieden leben, wenn es Afrika auf Dauer schlecht geht. Deswegen müssen wir ökonomische Entwicklungen machen. Das müssen wir mit einer modernen Handelspolitik verbinden, denen wirklich Partnerschaft anbieten. Und wir müssen diejenigen, die demokratisch arbeiten, die es auch in Afrika gibt, die positiven Vorbilder, die müssen wir privilegieren. Denen müssen wir besonderen Status geben, damit wir Afrika in die richtige Richtung drängen. Aber Fakt ist auch und das muss man realistisch sehen: Wir können nur mit denen arbeiten, die wir heute haben. Und das Allerwichtigste ist: Europa muss sich jetzt endlich auf eine gemeinsame Strategie zur Flüchtlingspolitik einigen, weil es die politisch offene Wunde unseres Kontinents ist. Wir müssen das klären jetzt. Da geht es um Identitätsfragen, da geht es um die Frage der Zuwanderung, die mitschwingt. Da braucht Europa jetzt endlich eine Antwort. Deswegen war Paris gut und ich hoffe, dass wir im Herbst jetzt wirklich Fortschritte machen, auch die Dublin-Verordnung, die internen Regelungen der Europäischen Union zu überarbeiten.
    "Camps bleiben Realität, wenn wir uns nicht darum kümmern"
    Armbrüster: Dann sagen Sie aber auch, Herr Weber, jetzt unseren Hörern, die das interessiert: Diese unmenschlichen Lager, die wir da in Libyen sehen, aus denen wir diese Informationen bekommen, die werden, so leid uns das möglicherweise tut, noch einige Zeit lang Realität bleiben, auch eine Realität der europäischen Flüchtlingspolitik?
    Weber: Die werden Realität bleiben, wenn wir uns nicht darum kümmern. Deswegen muss Europa engagiert sich um diese Camps jetzt kümmern, genauso, ich wiederhole das, wie wir es mit über drei Milliarden Euro für die Türkei gemacht haben, wo wir vor Ort helfen, wo wir jungen Menschen Schule anbieten und so weiter, wo Europa das finanziert und wo die Bedingungen deutlich besser geworden sind. In der Türkei, im Syrien-Umfeld haben wir zu lange weggeschaut und deswegen kamen die Flüchtlinge. Jetzt kümmern wir uns besser darum und die Situation hat sich stabilisiert und verbessert. Das gleiche Engagement brauchen wir jetzt auch in Afrika. Wir müssen uns diesem Kontinent zuwenden. Und ich darf noch mal darauf hinweisen: Der übergroße Anteil der Migration in Afrika aus Krisengebieten heraus findet nicht Richtung Europa statt, sondern ist eine innerafrikanische Migration. Das heißt, wo die Nachbarstaaten viel leisten. Deswegen können wir auch festhalten, dass heute schon die Probleme Afrikas nicht in erster Linie damit gelöst werden, indem die Menschen nach Europa aufbrechen. Wir müssen uns Afrika zuwenden. Wir müssen uns den Problemen dort zuwenden, helfen und auch mehr Geld in die Hand nehmen.
    Armbrüster: … sagt hier bei uns in den "Informationen am Morgen" der CSU-Europaabgeordnete Manfred Weber. Vielen Dank für das Gespräch.