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Flüchtlinge bei der Häfele GmbH
"Wir haben eine soziale Verantwortung"

Die Häfele GmbH im Schwarzwald stellt Möbel- und Baubeschläge und elektronische Schließsysteme her. Im letzen Jahr hat das erfolgreiche Unternehmen einen Schritt gewagt, den viele Firmen in Deutschland bisher scheuen. Zwölf Flüchtlinge aus neun Nationen haben im Werk in Nagold ihre Ausbildung begonnen.

Von Thomas Wagner | 18.11.2016
    Muhammed aus dem Irak (links) ist einer jener zwölf Flüchtlinge, die das Unternehmen Häfele aus dem schwäbischen Nagold im vergangenen Jahr eingestellt hat. Detlef Scheele, Vorstand für den Bereich Arbeitsmarkt (zweiter von rechts), lobt das Integrationsmodell bei Häfele als vobildhaft für viele andere Unternehmen.. Darüber freut sich Unternehmenschefin Sybille Thierer (zweite von links).
    Muhammed ala Sawi aus dem Irak, Unternehmenschefin Sybille Thierer und Detlef Scheele, Vorstand für den Bereich Arbeitsmarkt (v.l.) (Lutz Ebert/Häfele)
    "Wir haben hier ein Top-Scharnier aus der Produktion."
    Unterwegs mit Peter Courtin in einer riesigen Lagerhalle in einem Industriegebiet am Rande der baden-württembergischen Stadt Nagold: Gabelstapler fahren im Sekundentakt auf den Korridoren auf und ab; entlang an riesigen Regalwänden mit allerlei metallisch-glitzerndem Inhalt. Außen, auf der Halle, steht in großem, roten Schriftzug ein ur-schwäbischer Name: Häfele.
    "Häfele ist ein Anbieter für Möbel- und Baubeschläge und elektronische Schließsysteme. Möbelscharniere und Möbelbeschläge sind Funktionalitäten aller Art, die im Möbel verbaut werden. Baubeschläge werden fest verbaut. Da geht es hauptsächlich um die Tür. Das ist ein Milliardengeschäft. Letztes Jahr hat die Häfelegruppe 1,2 Milliarden Euro Umsatz machen können."
    Peter Courtin, Marketingchef des Familienunternehmens, legt eine kleine Höflichkeitspause ein, bevor er, fast schon in schwäbische Bescheidenheit, so nebenbei fallen lässt:
    "Wir würden uns als Marktführer einordnen. Natürlich gibt es auch Marktbegleiter und Wettbewerber. Aber wir würden uns dann mal an die erste Stelle rücken. Und ja, wir liefern in alle Welt."
    Der Exportanteil liegt immerhin bei rund 80 Prozent. Produziert werden Beschläge für Nachttischchen, Wohnzinmerschränke und andere Möbel, Schlösser für Türen jeglicher Art und vieles andere mehr am Firmensitz in Nagold und in fünf weiteren Werken in Deutschland und in Ungarn. Insgesamt unterhält Häfele 37 Tochterunternehmen für Vertrieb und Auslieferung in aller Welt. Die Höhe in den riesigen Logistikhallen in Nagold vermitteln ein wenig vom weltweiten Flair des Familienunternehmens. Ein junger Mann steht an einem der Bänder. Sein Job an diesem Vormittag:
    "Wir packen selber die Päckchen zusammen, versandbereit. Und kriegen dann quasi die technische und praktische Bearbeitung der Waren mit, was wir hier machen. Und auch die Mittel dafür."
    Auszubildende helfen Flüchtlingen
    Torsten Kless ist Auszuildender als Fachkraft für Lagerlogistik - ein Job, der aber nicht nur mit Päckchen packen zu tun hat: Wie logistische Abläufe möglichst effizient organisieren? Wie die Verzahnung zwischen EDV und den manuellen Vorgängen am Band bewerkstelligen? All dies ist Bestandteil der Ausbildung. Darüber hat Torsten Kless aber noch eine ganz außergewöhnliche und verantwortungsvolle Aufgabe übernommen:
    "Die Nebenaufgabe besteht darin: Wir sind als Partner eingesetzt für die Flüchtlinge, die jetzt auch die Ausbildung bei uns machen. Das heißt: Wir betreuen die Leute, wenn sie Probleme haben, können wir mit Rat und Tat zur Seite stehen. Wenn es um Fragen geht, wie der Ablauf in dem Unternehmen selber ist oder in den einzelnen Abteilungen, sind wir als Unterstützung mit dabei."
    Gleich zwölf junge Flüchtlinge hat die Häfele Gmbh und Co. KG eingestellt, auf einem Schlag, in diesem Sommer. Das ist, gemessen an der Belegschaft im Stammwerk, deutlich mehr als in jedem anderen Unternehmen der Republik. Die zwölf Flüchtlinge kommen aus neun unterschiedlichen Nationen.
    - "Ich heiße Hüsai Usorum. Ich komme aus Eritrea. Ich bin 25 Jahre alt. Und ich bin seit drei Jahren in Deutschland. Ich mach die Ausbildung als Fachlagerist."
    - "Mein Name ist Mohammed ala Sawi. Ich komme aus dem Irak. Ich bin 27 Jahre alt und lebe seit einem Jahr und zwei Monaten in Deutschland. Und ich mache hier eine Ausbildung bei Häfele."
    Hoffnung auf ein besseres Leben
    Rotes T-Shirt, natürlich mit der Aufschrift Häfele, Jeans - Hüsai aus Eritrea und Mohammed aus dem Irak können, das haben sie in den vergangenen Wochen unter Beweis gestellt, zupacken, sind lernbereit - zwei von zwölf Flüchtlingen bei Häfele, die sich durch ihre Ausbildung dort ein neues, ein besseres Leben versprechen. Mohammed ala Sawi:
    "Ich habe genaue Vorstellungen darüber, wie ich meine Zukunft in Deutschland gestalten möchte. Ich möchte meine Ausbildung hier abschließen und eine eigene Wohnung haben, den Führerschein haben, beruflich in Deutschland Erfolg haben."
    Grundlage dafür sei eine solide Berufsausbildung, betonen die beiden jungen Flüchtlinge. Sich an die Arbeit im Betrieb gewöhnen, das war zunächst nicht einfach, erinnert sich Hüsai Usorum aus Eritrea:
    "Erst einmal war das ein bisschen schwer. Ich habe mir gedacht: Was arbeite ich bei Häfele? Ich kannte das nicht vorher. Aber jetzt habe ich das leicht gefunden."
    Arbeitswelten unterscheiden sich stark
    So sieht das auch Mohammad ala Sawi aus dem Irak, wobei er beobachtet hat: Die Arbeitswelten zwischen seinem Heimatland und Deutschland unterscheiden sich doch erheblich.
    "Also hier in Deutschland ist die Arbeitszeit zum Beispiel ein bisschen lang. Im Irak ist das nicht so. Aber hier in Deutschland ist alles regelmäßiger. Und im Irak ist alles unregelmäßiger. Hier in Deutschland verdient man gutes Geld. Die Arbeit ist sicher, der Arbeitsplatz sauber. Aber im Irak ist alles umgekehrt."
    "Guten Morgen, alles gut vorbereitet! Alles gut vorbereitet, wir können direkt anfangen. Dann geht's los."
    Später Freitag vormittag: Sybille Thierer, Mitglied der Geschäftsleitung, kommt ins Logistikzentrum.
    "Ich bin die Großnichte des Firmengründers. Der hieß Häfele. Seine Schwester hat einen Thierer geheiratet. Und dieser Familienname ist heute geblieben."
    Sabine Thieme ist das, was man eine bodenständige schwäbische Unternehmerin nennt, stets bereit, auch etwas Neues zu wagen: Zum Beispiel die Einstellung von gleich zwölf jungen Flüchtlingen als Auszubildende.
    "Junge Mitarbeiter zu integrieren, sehen wir als eine Chance"
    "Zum einen: Wir haben eine soziale Verantwortung hier im Raum. Wir sind eines der größten Unternehmen hier in der Region. Und auf der anderen Seite ist das natürlich so, dass wir das auch als eine große Chance sehen. Junge Mitarbeiter hier zu integrieren sehen wir als eine Chance. Wir sind ein wachsendes Unternehmen. Wir sind international unterwegs. Und so war das eine natürliche Sache, dass wir uns hier angesprochen haben, anzupacken und mitzuhelfen, damit wir hier eben Integration bei Migranten schaffen."
    Langfristig, glaubt Sybille Thieer, wird ihr Unternehmen davon profitieren.
    "Auch der ökonomische Vorteil ist einfach die Weiterentwicklung unseres Unternehmens. Wir sind in so vielen Ländern unterwegs. Wir machen mit unseren Mitarbeitern ja auch Ausbildung: Wie denken Chinesen? Wie denken Inder? Dazu braucht man eine gewisse Offenheit. Man braucht interkulturelle Kompetenz. Die muss man aufbauen im Unternehmen. Das versteht sich nicht von selbst. Dazu dient natürlich, dass wir so hautnah auch so viele verschiedene Mitarbeiter aus diesen Nationen haben."
    Dieses 'Modell Häfele' der Flüchtlingsintegration qua Ausbildungsplatz hat heute vormittag auch einen prominenten Besucher nach Nagold gelockt: Detlef Scheele, Vorstandsmitglied für Arbeitsmarkt bei der Bundesagentur für Arbeit, schaut an diesem Freitag in Nagold vorbei. Denn das, was Häfele hinbekommen hat, müsste eigentlich auch anderswo möglich sein, findet Scheele:
    "Ob nun Leuchtturm oder nicht: Ein Vorbild ist es allemal, an dem sich andere ein Vorbild nehmen können, weil sie sehen: Es geht. Und es ist gut, Praxis zu sehen, von der Praxis zu lernen, Mut zu fassen und es auch zu tun."
    Vorraussetzung ist die deutsche Sprache
    Am Beispiel Häfele erkennt Detlef Scheele aber aufs Neue, auf was es bei einer erfolgreichen beruflichen Integration am meisten ankommt:
    "Die Flüchtlinge müssen einigermaßen Deutsch sprechen. Sonst geht es nicht. Das ist völlig klar. Und das ist eigentlich die einzige Voraussetzung, wenn ich richtig sehe. Denn was wir aus den aktuellen Untersuchungen wissen, ist Folgendes: Die Motivation ist so hoch, wie wir vermutet haben. Und das werden jetzt auch gleich sehen, wie sich das verhält."
    "Etikettieren, die Ware suche, das gefällt mir sehr gut...."
    Häusai Esaram ist an diesem Freitag vormittag motiviert: Es gibt für ihn, den Flüchtling aus Eritrea, viel zu tun bei Häfele. Firmenchefin Sybille Thierer sieht das gerne. Ihre Rechnung scheint aufzugehen.
    "Ich freue mich auf die kommenden zwei Jahren und die Erfahrungen mit den Auszubildenden aus den vielen verschiedenen Ländern."