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Flüchtlinge
"Ein Staat alleine schafft das überhaupt nicht"

Die Flüchtlingsströme bekomme man in Europa nur gemeinsam in den Griff, sagte der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, Herbert Reul, im DLF. Dass hätten mittlerweile auch die Mitgliedsstaaten erkannt. Daher sei er "relativ sicher, dass wir da ein Stück weiterkommen werden", erklärte Reul.

Herbert Reul im Gespräch mit Christiane Kaess | 25.08.2015
    Herbert Reul, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament.
    Herbert Reul, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament. (picture alliance/dpa/Michael Kappeler)
    Christiane Kaess: Die Situation an den europäischen Außengrenzen, sie ist weiter angespannt, angesichts der vielen Flüchtlinge, die dort stranden nach ihrer Flucht aus den Bürgerkriegsländern auf der Suche nach Schutz und Hilfe. Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Francos Hollande trafen sich gestern in Berlin, um über eine gemeinsame Flüchtlingspolitik zu beraten. Auch in Deutschland geht die Diskussion weiter. Sie hat offenbar den Druck auf die Kanzlerin erhöht, denn diese will jetzt auch eine Flüchtlingsunterkunft besuchen.
    Darüber sprechen möchte ich jetzt mit Herbert Reul. Er ist Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament. Guten Tag, Herr Reul.
    Herbert Reul: Schönen guten Tag, Frau Kaess.
    Kaess: Herr Reul, dieser Appell gestern von Angela Merkel und Francois Hollande, das gemeinsame Asylrecht in Europa auch tatsächlich anzuwenden, was bringt so ein Appell?
    Reul: Ich glaube, das ist ja dann nicht nur ein Appell, sondern es ist der Beginn einer politischen Aktion, also der Versuch, zwischen allen europäischen Staaten auch eine Verabredung zu treffen, wie man das Problem löst. Und offensichtlich ist die Frage der großen Flüchtlingsströme nur noch europäisch zu lösen, also gemeinsam zu lösen. Ein Staat alleine schafft das überhaupt nicht, wenn man es überhaupt lösen kann.
    "Manchmal muss es Druck geben, eh gehandelt wird"
    Kaess: Was macht Sie denn optimistisch, dass so eine gemeinsame Verabredung jetzt klappen sollte?
    Reul: Weil ich gelernt habe, dass Fakten die Wirklichkeit immer wieder verändern können. Das große Problem ist so offensichtlich und nicht mehr zu leugnen, dass einfach der Druck auf alle Mitgliedsstaaten immer größer wird, dass jetzt die beiden großen Staaten sich zusammentun, dass der Kommissionspräsident initiativ wird, dass aus Staaten, die benachbart sind, dass aus Serbien Hinweise kommen, man müsse gemeinsam handeln. Es wird immer mehr und das ist im Grunde dann der Beginn eines Prozesses.
    Ich bin relativ sicher, dass wir da ein Stück weiterkommen werden. Manchmal ist es so. Manchmal muss es einen Druck geben, eh gehandelt wird.
    Kaess: Ich frage noch mal nach. Wo konkret sehen Sie denn Bewegung?
    Reul: Ich sehe Bewegung jetzt Deutschland/Frankreich. Ich sehe Bewegung im Europäischen Parlament. Ich sehe Bewegung bei Jean-Claude Juncker, dem Kommissionspräsidenten.
    "Es geht nur, wenn es für alle auch Vorteile hat"
    Kaess: Entschuldigung, wenn ich unterbreche. Aber auch bei den Staaten, die sich bisher weitestgehend aus dem ganzen Problem rausgehalten haben?
    Reul: Das ist immer ein Stück Hoffnung bei mir, da haben Sie Recht. Das kann ich nicht beweisen. Aber je mehr Staaten sich einig sind und je mehr das und je öfter das auf die Tagesordnung in Europa kommt, desto größer wird ja der Druck und je weniger werden die Staaten, die sich da weigern, auf Dauer das durchhalten können. Da bin ich Optimist.
    Man muss natürlich auch praktikable Lösungen anbieten. Ich meine, da muss auch für jeden eine kluge Lösung bei rauskommen. Das kann nicht eine Veranstaltung sein, wo nur einer von profitiert, und insofern finde ich dieses Bukett oder diesen breiten Ansatz auch richtig zu sagen, es geht nicht nur um die Verteilung, Quotierung, es geht auch um die Frage von Standards, dass man vielleicht versucht, in den europäischen Staaten vergleichbare Standards hinzubekommen, wie man sich um Asylbewerber zu kümmern hat, dass man Registrierstellen in Griechenland bietet, also im Mittelmeer-Raum, um einfach da ein Stück Hilfestellung zu leisten, dass dafür auch europäische Mittel zur Verfügung gestellt werden. Sagen wir es positiv. Es geht nur, wenn es für alle einen Vorteil auch hat. Das ist richtig.
    "Wir brauchen schnelle Lösungen"
    Kaess: Aber, Herr Reul, diese Registrierungszentren zum Beispiel in Italien und Griechenland, die Sie gerade angesprochen haben, ist das denn nicht sowieso etwas, wenn wir sagen, das ist ein europäisches Phänomen, das ist etwas, was uns alle betrifft? Sollte das nicht tatsächlich sowieso rein auf europäischer Ebene geregelt werden?
    Reul: Das erfordert, dass alle Mitgliedsstaaten sagen, ja, wir sind bereit, diese Aufgabe abzugeben. Das werden Sie ja nicht erleben, zumindest nicht jetzt schnell, und wir brauchen schnelle Lösungen. Also es kann nur stufenweise gehen. Und wenn man jetzt sagt, da unten ist der Druck in diesen Staaten besonders groß, da machen wir den Versuch, gemeinsame Registrierungsstellen zu machen, wäre das ein Anfang.
    Zweitens brauchen wir natürlich auch eine Antwort, die da heißt, die Anzahl der Flüchtlinge wird ein bisschen gerechter verteilt auf die Staaten. - Drittens glaube ich, dass es auch eine Lösung bringt, wenn man sagt, die Bedingungen für die Asylbewerber in den Mitgliedsstaaten sind vergleichbar, sind ähnlich, sodass dann vielleicht auch der Druck ein bisschen nachlässt, dass nur einige Staaten die besonders interessanten sind für Flüchtlingsströme.
    Da wird eine Fülle von Maßnahmen kommen. Oder die zentrale Maßnahme: Was tun eigentlich die europäischen Staaten gemeinsam in der Frage Ursachenbekämpfung? Können wir da was tun, was können wir tun? Auf jeden Fall: Wenn alle gemeinsam handeln, ist die Wirkung höher, als wenn ein Staat alleine irgendwo eine Initiative startet.
    Kaess: Greifen wir noch einen ganz konkreten Punkt heraus, der im Moment stark diskutiert wird, nämlich die gemeinsame Festlegung auf sichere Herkunftsländer. Was macht den Unterschied dazu, wenn sich Länder einzeln festlegen?
    Reul: Weil das dann nicht nur für einen Staat gilt, sondern für alle. Das ist erstens einfacher, weil man dann, ich sage mal, eine Gemeinsamkeit hat und sagt, das machen alle anderen Staaten auch so, es ist einfacher durchzusetzen. Und zweitens bedeutet es, dass sich dann auch alle danach richten, und das ist ja dann auch eine Botschaft, die an die Herkunftsländer dann geht, dass jeder weiß, überall in Europa gilt das so. Das ist dann schon ein Stück an Aufklärung für die Menschen, die aus den Staaten kommen, dass sie sagen, es hat keinen Sinn, es ist nicht klug, denn überall in Europa sind sich die Staaten einig, und dann wird das auch eine höhere Wirkung entfalten.
    Alles nicht Zauberlösungen, alles immer nur Teile oder Mosaiksteine, aber ich hätte mir vor ein paar Monaten nicht vorstellen können, dass wir überhaupt so weit kommen, diese Frage als europäische Frage zu betrachten.
    "Durch mit Staaten in der EU löse ich das Problem ja nicht"
    Kaess: In dem Zusammenhang verlangt der tschechische Ministerpräsident Sobotka die zügige Aufnahme der westlichen Balkanländer in die EU. Er sagt, das würde die Region stabilisieren, und dann könnte man auch besser fertig werden mit dieser Massenmigration. So drückt er es aus. Ist das auch Ihre Einschätzung?
    Reul: Da halte ich gar nichts von. Ich glaube, die Frage von schnellerer Aufnahme neuer Staaten in die Europäische Union, das war noch nie eine Antwort auf Lösung von Problemen, sondern wir müssen erst mal dafür sorgen, dass die Staaten, die in Europa drin sind, sich verständigen, gemeinsam zu handeln. Durch mehr Staaten löse ich das Problem ja nicht.
    Kaess: Gemeinsam handeln. Aber wir wissen, dass es große Unterschiede gibt. Der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff von der FDP, der sagt heute, es gibt kaum Chancen auf eine gemeinsame Asylpolitik in der EU, also sollten doch die Staaten, die zur Zusammenarbeit bereit sind, vorangehen, ähnlich wie man das auch bei Schengen gemacht hat oder beim Euro. Das heißt, ein freiwilliges System zur Verteilung von Flüchtlingen aufbauen, und dem können sich dann andere anschließen. Wäre das tatsächlich kurzfristig die pragmatischste Lösung?
    Reul: Auch dem will ich mich nicht verschließen, wenn es nicht anders geht. Aber das ist ja im Grunde schon verabredet, dass man die Quotierung macht und einige Staaten gesagt haben, wir nicht, aber alle anderen sich verständigt haben. Den Schritt ist man ja schon gegangen.
    Kaess: Was meinen Sie, Herr Reul, mit alle anderen? Im Moment sind es drei oder vier, die die meisten aufnehmen.
    Reul: Ich meine, einige Staaten verweigern sich ja dieser Quotierung, einige wenige. Die meisten Staaten in Europa haben ja kein Problem mit dieser Vereinbarung, die die Regierungschefs da getroffen haben. Das ist ja eine geraume Zeit schon her.
    Es geht halt nur um die Frage, ob das jetzt für alle verbindlich wird und ob sich auch alle daran halten.
    Ich vermute, dass das - und da hat Alexander Graf Lambsdorff sicherlich Recht - Stück für Stück nur geht, und wenn man mit einer freiwilligen Lösung einen ersten Schritt geht, dann habe ich da gar nichts gegen. Ewig darüber zu reden, brauchen wir eine verpflichtende, und man kriegt es nicht hin, macht keinen Sinn. Aber das Ziel muss es sein. Der Druck darf da nicht raus. Und je schneller man das erreichen kann, dass alle sich beteiligen, umso wirksamer ist es.
    "Zuwanderung wird das Problem der Flüchtlingsströme nicht lösen"
    Kaess: Herr Reul, noch kurz zum Schluss. Wir haben in dieser Diskussion bisher vor allem Argumente, die sich ranken um die Abschiebung und die Grenzsicherung. Warum spielt es eigentlich in der Diskussion kaum eine Rolle, dass Europa und vor allem Länder wie Deutschland Zuwanderung brauchen, allein wegen ihrer demografischen Entwicklung? Warum wird dieses Argument politisch nicht stärker genommen?
    Reul: Weil das miteinander nichts zu tun hat. Entschuldigen Sie, wenn ich das mal so sagen darf. Die Flüchtlingsströme, das sind Mengen, das sind Millionen-Zahlen, die nichts zu tun haben mit der Frage von notwendigen Einwanderungen nach Deutschland. Da bin ich sehr dafür, dass wir das auch betreiben, aber damit werden wir das Problem der Migration überhaupt nicht lösen können, weil das ganz andere Quantitäten sind. Das heißt, das eine tun, das andere nicht lassen.
    Aber sich zu beruhigen damit zu sagen, wir machen jetzt einfach die Türen auf oder organisieren stärkere Zuwanderung, das wird das Problem nicht lösen.
    Dafür sind die Mengen, die da unterwegs sind, viel zu groß. Insofern brauchen wir beide Antworten, aber das Problem der großen Flüchtlingsströme wird man nicht damit lösen können. Da bin ich ganz sicher. Da macht man sich jetzt was vor und kommt nicht weiter.
    Kaess: Die Meinung von Herbert Reul, er ist Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament. Danke schön für das Gespräch.
    Reul: Bitte sehr! Auf Wiederschauen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.