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Flüchtlinge hinter deutschen Gefängnismauern

Wer als Ausländer nicht in Deutschland bleiben darf, kommt oft in Abschiebehaft. In einigen Fällen werden die Migranten gemeinsam mit Straftätern in normalen Gefängnissen untergebracht. Es ist unklar, ob das rechtmäßig ist.

Von Burkhard Schäfers | 10.04.2013
    Die Frau kam aus Nigeria und reiste mit einem gültigen Visum nach Deutschland. Doch dann reist sie nicht aus, obwohl ihre Aufenthaltserlaubnis abgelaufen war. Als die Polizei sie einige Wochen später zufällig kontrollierte, zeigte sie einen offenbar gestohlenen Reisepass vor und kam deshalb in Untersuchungshaft. Kurz darauf ordnete das Amtsgericht München Abschiebungshaft an. Die Frau legte Beschwerde ein – erfolgreich. Dem Landgericht zufolge war die Abschiebehaft rechtswidrig. Unter anderem monierten die Richter, die Haft sei nicht verhältnismäßig gewesen.

    "Der Vollzug der Abschiebehaft erfolgte unter Verstoß gegen Paragraf 62a Aufenthaltsgesetz. Danach sind Abschiebungsgefangene getrennt von Strafgefangenen unterzubringen."

    In ähnlichen Fällen stellten auch andere bayerische Gerichte Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz fest und kassierten die Beschlüsse der unteren Instanzen. Der wesentliche Punkt dabei: In Bayern werden Abschiebehäftlinge zusammen mit Strafgefangenen in einer normalen Justizvollzugsanstalt – kurz JVA – untergebracht. Die Betroffenen würden oft nicht verstehen, warum sie ins Gefängnis müssten, sagt Dieter Müller vom Jesuitenflüchtlingsdienst.

    "Die Menschen haben ein eigenes Rechtsbewusstsein. Sie sagen schlicht und einfach: Warum bin ich eigentlich hier, ich hab doch nichts verbrochen. Ich muss aus meinem Land weg, aus welchen Gründen auch immer, und ich möchte in einem Land Zuflucht finden, das zumindest den Ruf hat, Menschenrechte zu beachten. Und dann lande ich dort im Gefängnis. Das ist eine Situation, mit der viele nicht fertig werden."

    Abschiebungshaft ist eine Verwaltungsmaßnahme, keine Strafe. Der Staat darf Betroffene nur inhaftieren, um deren Ausweisung vorzubereiten oder zu sichern. Meist handelt es sich um Ausländer, die nicht freiwillig zum festgelegten Abschiebetermin kommen oder untertauchen. Allerdings dürfen die Behörden Abschiebehaft lediglich als letztes Mittel einsetzen. Nach dem Willen der Europäischen Union sollen die Betroffenen gar nicht ins Gefängnis. In der sogenannten EU-Rückführungsrichtlinie heißt es:

    "Die Inhaftierung erfolgt grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen. Sind in einem Mitgliedstaat solche speziellen Hafteinrichtungen nicht vorhanden und muss die Unterbringung in gewöhnlichen Haftanstalten erfolgen, so werden in Haft genommene Drittstaatsangehörige gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen untergebracht."

    Als die EU-Richtlinie vor zwei Jahren in deutsches Recht übertragen wurde, machten die Juristen aus dem Begriff "Mitgliedsstaat" das Wort "Land". Ein kleiner Unterschied mit großen Folgen, denn aus dem entsprechenden Paragrafen leiten einige Bundesländer ihr Recht ab, Abschiebungshäftlinge in gewöhnlichen Gefängnissen unterzubringen. Das deutsche Aufenthaltsgesetz widerspreche damit dem Geist der EU-Richtlinie, sagt Jesuit Dieter Müller. Denn das Leben in einer separaten Abschiebehaft-Einrichtung sei deutlich freier als in der JVA.

    "Man kann den Leuten ihr eigenes Mobiltelefon belassen. Man kann ihnen ihre eigene Kleidung belassen. Man kann allerlei Dinge reinbringen, auch Lebensmittel. Man kann ihnen ihre persönlichen Gegenstände, sei es eine Gitarre oder ein DVD-Player – all diese Dinge kann man natürlich in einer eigenen Einrichtung den Leuten eher belassen als in einer JVA."

    Einzelne Bundesländer haben spezielle Unterkünfte für Abschiebehäftlinge, darunter Bremen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Berlin. Dort können sie – wenn auch in Unfreiheit – ein halbwegs normales Leben führen, vor allem sehr viel häufiger telefonieren und Besuch empfangen als etwa in Baden-Württemberg oder Bayern.

    "Je mehr Kontakt Leute per Telefon oder auch durch persönlichen Besuch nach außen haben können, desto größer sind die Chancen, dass sie Hilfen juristischer, sozialer Art bekommen. Ihre Botschaft anrufen zu können geht von Berlin aus sehr viel einfacher als von München aus. Oder über Freunde die Finanzierung eines Anwaltes klären zu können, geht dann gut, wenn man telefonieren darf."

    Das Münchner Landgericht bezeichnet die Unterbringung in regulären Haftanstalten als Notlösung. Die bayerische Staatsregierung ist anderer Meinung. Sie sieht mehr Vorteile darin, dass Abschiebehäftlinge in normalen Gefängnissen leben – auch für die Betroffenen, erklärt der Sprecher des Justizministeriums Wilfried Krames:

    "Dadurch, dass wir die Unterbringung in Justizvollzugsanstalten bewerkstelligen, bieten wir den Gefangenen ja auch mehr Möglichkeiten und mehr Freiräume. Wir nutzen die ganzen Synergieeffekte von Einrichtungen, die in den Justizvollzugsanstalten vorhanden sind: Seelsorger, Ärzte, Arbeitseinrichtungen, die so in gesonderten Anstalten gar nicht vorhanden sein könnten. Deswegen sehe ich darin gerade keine Notlösung, sondern eher eine großzügige Lösung."

    Die bayerische Staatsregierung hofft, dass demnächst der Bundesgerichtshof zu ihren Gunsten entscheidet. Beim BGH liegen mehrere Fälle, in denen die Gerichte mit Blick auf das Trennungsgebot zu unterschiedlichen Beschlüssen kamen. Von den Bundesrichtern wird nun ein Grundsatzurteil erwartet, das nach Auffassung des bayerischen Justizministeriums nur lauten kann: Der bayerische Status Quo wird bestätigt.

    "Wir haben in Bayern eine Lösung gefunden, die unseres Erachtens vollkommen mit der Richtlinie übereinstimmt und sogar eine eher besonders sinnvolle und humane Lösung, würde ich mal sagen, ist."

    Allerdings kritisieren Juristen, dass die Behörden beim Vollzug der Abschiebehaft immer wieder auch andere Ansprüche der Betroffenen verletzen. Haftanträge würden unzureichend übersetzt und zum Teil den Betroffenen nicht ausgehändigt. Außerdem werde Abschiebehaft häufig zu früh und für einen zu langen Zeitraum verhängt, meint die Münchner Rechtsanwältin Ingvild Stadie:

    "Meiner Auffassung nach ist von den unteren Gerichten und von den Ausländerbehörden nicht genug im Bewusstsein, dass es um einen Eingriff in ein Freiheitsgrundrecht geht und da sehr hohe Anforderungen gesteckt werden müssen. Es muss immer geprüft werden, ist es verhältnismäßig, gibt es nicht doch ein milderes Mittel."

    Behörden sollten stärker auf die freiwillige Ausreise dringen oder eine Kaution verlangen, meint die Juristin. Und sie müssten, bevor sie jemanden in Haft nehmen, prüfen, wann genau sie ihn abschieben können.

    "Der BGH hat in den letzten beiden Jahren sehr viele Haftbeschlüsse aufgehoben, weil es an den formellen Voraussetzungen gefehlt hat. Da die Haft immer auf die kürzest mögliche Dauer beschränkt sein soll, auch das ist jetzt gesetzlich normiert."

    Ingvild Stadie gehört zu den Rechtsanwälten, die vom Jesuitenflüchtlingsdienst engagiert werden, um gegen möglicherweise rechtswidrig verhängte Abschiebehaft vorzugehen. Zwar sind die Jesuiten nicht per se gegen Abschiebehaft, sagt Dieter Müller, aber:

    "Bei Abschiebungshaft besteht immer die Versuchung, dieses Mittel unverhältnismäßig einzusetzen. Sprich mit Kanonen schießt man auf Spatzen. Die Spatzen sind eben nicht die Schwerverbrecher, nicht mal die Verbrecher."