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Flüchtlinge in Baden-Württemberg
Freiwilliges Soziales Jahr als Integrationshilfe

Für junge Flüchtlinge ist es oft schwierig, sich in ihr neues soziales Umfeld in Deutschland zu integrieren. Einige von ihnen versuchen das, indem sie selber helfen und ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren. Das baden-württembergische Sozialministerium fördert Organisationen, die Flüchtlingen eine Stelle und damit eine Chance geben.

Von Thomas Wagner | 03.10.2016
    Ein junger Mann geht mit einer Seniorin im Park spazieren.
    Das Sozialministerium Baden-Württemberg unterstützt Vereine und Organisationen, die Flüchtlingen ein Freiwilliges Soziales Jahr anbieten. (Picture Alliance / dpa / Friso Gentsch)
    "Ich bin Muhammad. Ich wohne in Waiblingen. Ich bin seit einem Jahr in Deutschland. Ich komme aus Syrien, aus der Stadt Aleppo."
    "Hallo. Du warst heute in der Schule?"
    "Ja."
    "War’s gut?"
    "Gut, ja sehr gut."
    Nach dem Unterrichtsbesuch der Integrationsklasse an der Realschule Waiblingen macht sich der 20-jährige Muhammad Alhussain Tag für Tag auf den Weg in die Waiblinger Innenstadt. Dort hat der Kreisjugendring seinen Sitz. In der Mittagspause wird besprochen, was an Arbeit ansteht.
    "Wir müssen heute noch ein paar Büroarbeiten erledigen. Dann machen wir noch Botengänge, und so weiter."
    Klingt unspektakulär, ist für Mohammed Alhuassin aber etwas ganz Besonderes: Seit Anfang September absolviert er, der Flüchtling aus Syrien, ein Freiwilliges Soziales Jahr. Das heißt: Ein Jahr lang arbeitet er beim Kreisjugendring im baden-württembergischen Rems-Murr-Kreis mit, soll nach der Einarbeitung bald auch schon bei der Organisation von Fortbildungen und Freizeiten für Jugendgruppen mithelfen.
    "Ich möchte ein bisschen helfen, weil es mir Spaß macht. Deutschland hilft Syrien. Und ich möchte etwas zurückgeben."
    Arbeiten im Team
    Für vier Monate Sprachunterricht ist Muhammads Deutsch schon ganz passabel. Dennoch absolviert er sein Freiwilliges Soziales Jahr im sogenannten Internationalen Tandem. Das heißt: Seine Aufgaben erledigt er gemeinsam mit seiner deutschen Team-Partnerin Marina Stumpp, die sich ebenfalls für ein Freiwilliges Soziales Jahr beim Kreisjugendring Waiblingen - und für die Zusammenarbeit mit Muhammad - entschieden hat.
    "Ich denke, ich habe einen ganz anderen Bezug zu den Nachrichten. Ich meine, man hört jeden Tag davon, ist abgehärtet. Aber dadurch, dass man jemanden kennt, merkt man, dass da wirklich Menschen dahinter stehen. Und man sendet auch an andere die Botschaft, dass es wichtig ist, wenn man nicht einfach ignoriert."
    Genau dieser Lerneffekt war mit ein wesentlicher Punkt für das baden-württembergische Sozialministerium, Gelder bereitzustellen, um jungen Flüchtlingen ein "Freiwilliges Soziales Jahr" zu ermöglichen. Durch das tägliche Miteinander mit ihnen soll auch bei deutschen Jugendlichen das Verständnis für die Situation junger Menschen aus Krisen- und Kriegsgebieten wachsen, die nach Deutschland gekommen sind. Anja Rosenstiel ist pädagogische Leiterin beim Kreisjugendring im Rems-Murr-Kreis:
    "Wir können eine ganze Menge voneinander lernen, Barrieren abbauen, was viele Jugendlichen heute noch schwerfällt, in Kontakt zu treten mit geflüchteten Menschen. Und dass wir da einen Raum finden, jemanden wie Muhammad kennenzulernen und auf die Hintergründe zu sehen: Wo kommt er her? Was hat er in seinem Leben gemacht? Dass wir einfach auch eine gewisse Dankbarkeit entdecken, dass man merkt, wie gut es hier auch geht, da einfach mit einem anderen Blick auf die Sache schaut."
    Integration durch Arbeit
    Auf der anderen Seite lernen die jungen Flüchtlinge während ihres Freiwilligen Sozialen Jahres viel besser als in den Integrationskursen, wie sie in Deutschland den Alltag bewältigen. So hat Muhammad Alhussain in seinen ersten Tagen beim Kreisjugendring: "Im Büro gearbeitet, eingekauft. Am Computer. Und Post zum Briefkasten gebracht."
    Klingt banal - doch selbst diese einfachen Jobs, für die Muhammad ein kleines Taschengeld bekommt, können dem jungen Flüchtling später einmal den Weg ebnen für den Einstieg ins Berufsleben, findet Beate Baur, Bildungsreferentin beim Kreisjugendring:
    "Neben dem Deutsch lernen, hat er viele Möglichkeiten, sein Wissen zu erweitern, zum Arbeitsleben, zum ganz normalen Ablauf auch. Da geht es um so banale Regularien im Arbeitsleben, sei es Urlaub oder Abrechnungen, aber auch die Interaktion mit den Menschen hier."
    Bei der späteren Arbeit mit Jugendgruppen kommt der Erwerb von Sozialkompetenz hinzu. In dieser Beziehung kann Muhammad allerdings schon einiges einbringen: Denn auch im Bürgerkriegsland Syrien engagieren sich junge Menschen bei Sozial- und Hilfsorganisationen.
    "Es gibt in Syrien den Roten Halbmond, wie hier das Rote Kreuz. Dort habe ich vier Monate gearbeitet."
    Zukunft in Deutschland
    Die Erfahrungen von dort will Muhammad Alhussain auch in seine Arbeit beim Kreisjugendring Waiblingen einbringen. Das gute Miteinander mit dem Team tröstet ihn ein klein wenig über die Sorgen um seine Eltern hinweg. Die leben nämlich nach wie vor im Bürgerkriegsland Syrien. Muhammad Alhussain selbst sieht seine Zukunft allerdings klar in Deutschland.
    "Ich möchte Ausbildung als Bankkaufmann machen, ja."
    Die Erfahrungen im Freiwilligen Sozialen Jahr werden dabei, so die Hoffnung, eine gute Referenz sein bei der Bewerbung um eine Ausbildungsstelle als Bankkaufmann.