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Flüchtlinge in Berlin
Wohnungen dringend gesucht

In Berlin versucht eine Organisation der Evangelischen Kirche, Wohnungen für Flüchtlinge zu vermitteln. Keine leichte Aufgabe – viele Hausbesitzer wollen ihre Räume nicht an sie vermieten. Einige Flüchtlingsfamilien haben trotzdem Glück.

Von Susanne Arlt | 20.12.2014
    Weil Innenstadtwohnungen knapp werden, drängen wieder mehr Mieter in die lange ungeliebten Blocks am Rand vieler Großstädte (hier: Berlin-Hellersdorf)
    Sophia Brinck: "Der Nächste bitte ... welche Sprache? Arabisch ..."
    Schon früh um halb neun Uhr stehen etwa 50 Flüchtlinge geduldig in der Warteschlange, hoffen, dass sie diesmal mehr Glück bei der Wohnungssuche habe. Sie stammen aus Syrien, Afghanistan, Tschetschenien und dem Iran. Sie alle eint der Wunsch, endlich wieder ein normales, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Im Asylbewerberheim fällt das oft schwerer als in den eigenen vier Wänden.
    Sophia Brinck: "Nehmen sie das mal beides mit, und dann kommen Sie am Montag wieder. Der Nächste bitte."
    Sophia Brinck begrüßt jeden Flüchtling mit einem Lächeln. Die 33-jährige leitet die Vermittlungsstelle des Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerks. Sie und ihre sechs Mitarbeiter helfen Flüchtlingen im Asylverfahren, eine Wohnung zu finden. Kein leichtes Unterfangen, sagt sie. 2.500 Personen befinden sich zurzeit in ihrer Kartei. Und seit dem Plakataufruf werden es jeden Tag mehr. Die sieben Mitarbeiter in der Geschäftsstelle in Berlin-Moabit erklären den Flüchtlingen, wie man in Deutschland eine Wohnung sucht. Sie stellen ihnen eine Bewerbungsmappe zusammen, darin liegen ein Anschreiben, die erforderliche Schufa-Auskunft und eine Kopie ihres Ausweises. Viele Eigentümer oder Hausverwaltungen lehnen es trotzdem ab, an sie zu vermieten:
    "Die haben ja auch eine Aufenthaltsgestattung, auf der steht auch, wie lange der Ausweis gültig ist. Der ist maximal sechs Monate gültig. Das heißt, wenn ein Vermieter sieht, die Aufenthaltsgestattung ist nur noch bis Januar 2015 gültig, dann stellen die sich natürlich die Frage: Und was ist dann? Das ist die Schwierigkeit. Deswegen finden auch viele Leute keine Wohnung und deswegen sind die Leute auch dementsprechend verzweifelt."
    Immerhin - 1.000 Menschen konnte das Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk bislang bei der Wohnungssuche erfolgreich helfen. Aber die meisten Flüchtlinge muss Sophia Brinck wieder enttäuscht nach Hause schicken. Die 33-jährige ist darum froh, dass die Plakatkampagne des Berliner Senats erste Früchte trägt.
    Ihre Kollegin Alice Kerpen sitzt an der Telefonhotline. Bislang haben sich 140 Berliner gemeldet, um ihren Wohnraum womöglich an Flüchtlinge zu vermieten. Darunter sind sogar zwei Hausofferten und 45 WG-Angebote.
    Alice Kerpen: "Okay und im Moment ist die Wohnung bewohnt oder steht die leer?"
    Die EJF-Mitarbeiterin beantwortet die Fragen der Anrufer und erläutert die Bedingungen des EJFs. In der Wohnung müssen ein Herd und eine Spüle stehen. Die Kosten für eine Ein-Zimmer-Wohnung dürfen 420 Euro Brutto-Warmmiete nicht übersteigen. Und der Vertrag sollte unbefristet sein:
    "Das liegt daran, dass die Mietverträge dem Flüchtling natürlich 'ne längerfristige Perspektive bieten soll. Für den ist ja auch nicht so gut, wenn er weiß, okay ich wohne hier für ein halbes Jahr, für ein Jahr und was ist die Perspektive danach, das wäre ja, dass er wieder zurück ins Heim kehren muss.
    Die Miete übernimmt das Sozialamt
    Seit elf Monaten leben Mohamed und Nasrin Mousavi gemeinsam mit ihrer zehnjährigen Tochter in einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Pankow. Ihren richtigen Namen wollen sie lieber nicht verraten. Das Zimmer liegt im vierten Stock und ist - so steht am Türschild - exakt 22,19 Quadratmeter groß. Die weißen Wände sind kahl, der Raum wirkt nüchtern. Ihre persönliches Hab und Gut, dass die Mousavis in zweieinhalb Koffern aus Teheran mitgebracht haben, steckt in einem abgenutzten Wandschrank. Daneben stehen drei Metallbetten. Privatsphäre gibt es weder für die Eltern noch für die Tochter.
    Nasrin Mousavi: "Hier ist unser Flur, es gibt ungefähr fünfzehn Zimmer. Und hier ist unsere Küche. Also es ist gemeinsam. Vier Familien teilen sich einen Herd." (Anm.: O-Töne von der Redaktion sprachlich bearbeitet)
    Nasrin Mousavi ist eine zierliche, hübsche Person. Ihr schwarzes, schulterlanges Haar trägt die 36-jährige Muslimin offen. Die gelernte Dolmetscherin hat in Teheran Deutsch studiert, hatte einen gut bezahlten Job. Doch Nasrin und ihr Ehemann Mohamed wollten nicht länger in einer islamischen Diktatur leben. Doch so einfach ist auch das neue Leben in Deutschland nicht.
    "Als ich hier in Deutschland war, fühlte ich mich so einsam. Also ich hatte irgendwie das Gefühl, ich habe alles verloren. Und in diesem Zimmer kommen sehr viele Gedanken in den Kopf. Wo war ich, wo bin ich jetzt? Warum muss ich in dieser Situation sein. Bekomme ich wieder alles, was ich hatte. Das Ganze kommt die ganze Zeit, nachts kommt es noch mehr in den Kopf."
    Beide lassen keinen Zweifel daran, wie dankbar sie sind, dass sie nach ihrer Flucht hier um Asyl bitten durften. Aber jeden Tag zu dritt in diesem Zimmer, das zehrt auf Dauer auch an ihren Nerven. In Teheran haben sie alles aufgegeben: ihre Jobs und vor allem den engen Kontakt zur Familie, zu ihren Freunde. Doch seit ein paar Tagen schöpfen Nasrin und Mohamed wieder neue Hoffnung. Eine Mitarbeiterin vom EJF hat bei ihr angerufen. Sie können sich eine Wohnung in Zehlendorf anschauen. Ein Berliner Ehepaar hat sich auf den Plakataufruf hin gemeldet.
    "Das war das Beste, das Allerallerbeste in dieser letzten Zeit als ich diese Nachricht bekommen habe."
    Der erste Eindruck ist perfekt. Statt Großstadt-Lärm pure Vorort-Idylle. Man riecht den herben Duft der alten Kiefern, die im Garten des Mehrfamilienhauses wachsen. Kinder spielen mit einem Hund. Die Begrüßung ist herzlich. Sophia Oppermann bietet ihren Gästen ein Glas Wasser an, zu dritt setzen sie sich an den langen Küchentisch. Die Mutter von zwei Kindern erzählt, dass sie nicht lange nachdenken musste, als sie den Plakataufruf sah.
    In Berlin haben sich erst 140 Wohnungsbesitzer gemeldet
    Sophia Oppermann: "Es ist jetzt weltweit eine Situation da, wo es viele Menschen gibt, die Hilfe brauchen. Und da kann ich mich nicht in einem der reichsten Länder hinstellen und sagen, ja Pech, aber nicht von uns. So funktioniert das Leben nicht."
    Sophia Oppermann und ihr Mann entscheiden kurzerhand, die kleine Einliegerwohnung, in der sonst Verwandte und Freunde unterkommen, an eine Flüchtlingsfamilie zu vermieten. Dass sich in der dreieinhalb Millionen-Metropole bislang erst 140 Wohnungsbesitzer gemeldet haben, findet sie ein bisschen dürftig:
    "Weil, da gibt es nichts, wovor man sich fürchten muss. Das sind total nette Leute, das wird sowieso alles vom Sozialamt geregelt, also man kann ja gar keine besseren Mieter eigentlich haben. Das ist ja alles total einfach und im Grunde genommen sehr profitabel für beide Seiten."
    "Also ich freu mich, dass Sie hier sind und wir uns kennenlernen können. Ich hoffe, die Wohnung gefällt ihnen. Die ist nicht so riesig, aber es ist ihre. ... Ja, das ist das Schöne daran."
    "Okay, also das ist die Küche, eher eine Wohnküche, ein bisschen größer, Herd ist drin, Spüle ist drin, also Sie können direkt wenn sie ankommen einfach kochen."
    Die Besichtigung dauert nicht lange. Die Wohnung liegt im Erdgeschoss, ist 48 Quadratmeter groß und hat zwei Zimmer. Mohamed und Nasrin sind begeistert. Ein eigenes Heim. Das bedeutet Privatsphäre und Rückkehr in die Normalität. Und es erleichtert uns, in Deutschland endlich ganz anzukommen, sagt Nasrin und lächelt glücklich.
    "Ja, besser kann es nicht werden."