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Flüchtlinge in Dauer-Notunterkunft
Eheleben im Hangar

Es sollte 2015 eigentlich nur eine Notunterkunft für sechs Monate sein. Doch 200 Flüchtlinge leben auch zwei Jahre später noch in Hangars auf dem Tempelhofer Feld. Fereshe aus Afghanistan erfüllt selbst der Gedanke an ein Containerdorf mit Sehnsucht. Ähnlich geht es in Berlin circa 8.000 Menschen.

Von Manfred Götzke | 19.10.2017
    Ein Flüchtlingskind läuft in Berlin durch den Hangar 2 der Flüchtlings-Notunterkunft auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof.
    Noch immer spielen Kinder und wohnen Flüchtlinge in den Hangars auf dem Tempelhofer Feld in Berlin. Eigentlich war die Unterbringung auf engstem Raum 2015 nur als Notunterkunft gedacht. Aber Berlin fehlt es an anderen Unterkünften (dpa / Kay Nietfeld)
    Fereshes persönlicher Wohnraum hat sich vor ein paar Monaten verdreifacht. Von zwei Quadratmetern auf ganze sechs. Sie teilt sich mit ihrem Mann eine Schlafbox im Hangar 2 im ehemaligen Flughafen Tempelhof in Berlin. Wobei von Privatraum oder Privatsphäre eigentlich gar keine Rede sein kann.
    "Es ist wirklich schwer. Es ist laut, man kann hier nicht einfach Leben, wir gehen jeden Tag zur Schule, wir brauchen wirklich das Licht, aber jeden Tag um zehn Uhr wird das Licht ausgemacht. Hier gibt es viel zu viel Probleme."
    Die Schlafboxen: Das sind fünf mal fünf Meter weiße Wand, ohne Decke. Statt Türen gibt es einen Vorhang – aus Brandschutzgründen. Darin stehen sechs Doppelstockbetten für zwölf Personen. Für Schränke, Tische, oder auch nur einen Stuhl ist hier drin kein Platz, erzählt Sophia Schäfer vom privaten Betreiber der Unterkunft, "Tamaja". Sie nennt das, was ihr Unternehmen im Auftrag des Landes Berlin betreibt: Lagerhaltung.
    "Für Menschen, die länger unter solchen Umständen leben müssen, kann es besonders schwierig sein, in Extremfällen kann es dazu führen, dass solche Menschen Krankheiten ausbilden, verschiedene Symptome, die zusammengefasst werden können unter Hospitalismus. Das bezeichnet tatsächlich eine Lagerhaltung, mit allen negativen Begleiterscheinungen. Das geht von Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, über Anpassungsschwierigkeiten bis hin zur Suizidalität."
    Zu Hochzeiten der Flüchtlingskrise, Ende 2015, haben fast 3.000 Menschen in solchen Boxen in den Hangars in Tempelhof gehaust, gut 200 sind es zurzeit noch. 89 von ihnen leben hier, seit die Unterkunft eröffnet wurde. Wie Fereshe und ihr Mann. Die 20-jährige Afghanin ist vor zwei Jahren nach Deutschland geflohen, schließlich in Berlin gelandet.
    "Zuerst haben uns Tamaja und die Leute hier gesagt, Sie müssen sechs Monate hier bleiben, dann können Sie umziehen. Leider sind wir bis jetzt hier. Und es ist wirklich schwer."
    Leiterin hört ständig: "Wann kommen wir hier raus?"
    Durch die Gänge zwischen den weißen Boxen fahren drei kleine Jungs mit Tretrollern und Kettcars. Es ist laut, sehr laut. Dabei ist der Hangar heute fast leer. Eigentlich ist die Unterbringung in Notunterkünften wie hier in Tempelhof auf sechs Monate begrenzt, so sieht es das Asylbewerberleistungsgesetz vor. Zwei Jahre, geht gar nicht, sagt Sophia Schäfer von Tamaja.
    "Eine der Fragen, die uns täglich gestellt wird ist: Wann können wir hier ausziehen, wann kommen wir hier raus, das ist eine Frage, auf die wir keine Antwort geben können, weil wir eben wissen, dass so ein Schließungstermin immer wieder verschoben werden kann oder verschoben werden muss. Da ist größtenteils erstmal Unverständnis vorhanden, denn auch unsere Bewohner wissen, dass es eigentlich so sein sollte, dass man maximal sechs Monate in einer Notunterkunft leben muss. Und es ist für viele nicht nachvollziehbar, warum das nicht eingehalten werden kann."
    Laut jüngster Auskunft des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten soll spätestens Mitte Dezember der letzte Bewohner die Hangars verlassen.
    Die Notunterkunft in Tempelhof ist seit zwei Jahren Sinnbild für das katastrophale Flüchtlingsmanagement des Landes Berlin. Während im Rest Deutschlands die meisten Flüchtlinge auf richtige Wohnungen oder Gemeinschaftsunterkünfte verteilt werden konnten, harren in Berlin noch etwa 8.000 Menschen in Notunterkünften aus. Nicht nur im früheren Flughafen, sondern auch etwa in einem Kaufhaus, einer Mehrzweckhalle, im früheren Rathaus Wilmersdorf.
    "Es dauert, weil wir neue Unterkünfte bauen müssen"
    Der rot-rot-grüne Senat, seit knapp einem Jahr im Amt, ist bemüht, Verbesserungen aufzuzeigen. Elke Breitenbach von der Linkspartei, Integrationssenatorin:
    "Es geht voran. Warum dauert es so lange, weil wir einfach neue Unterkünfte bauen müssen, und auch jetzt könnte ich Ihnen viele sagen, wo ich aber nicht weiß, werden die auch wirklich fertig, oder gibt es da auch wieder vermehrt Risiken. Aber wir haben sukzessive für Verbesserungen gesorgt, und da freu ich mich auch drüber.
    Für diese Verbesserungen soll eigentlich das neue Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten sorgen. Es wurde noch vom rot-schwarzen Vorgängersenat geschaffen, nachdem das Landesamt für Gesundheit und Soziales – kurz LaGeSo – heillos versagt hatte. Wirklich zufrieden ist die Linken-Senatorin mit der neuen Behörde aber auch nicht.
    "Ich habe ein schweres Erbe angetreten, weil, es wurde auch einfach nie gestärkt. Man muss dieses Landesamt weiter stärken, die Kolleginnen und Kollegen, die dort arbeiten, arbeiten im Prinzip auch seit zwei Jahren im Krisenmodus, und sind seit dieser Zeit auch überfordert und es wird viel von ihnen abverlangt."
    Vor Hangar steht Containerdorf - aber wann ist es bezugsfertig?
    Eine der neuen Unterkünfte, die von der Senatorin unter "Risiken" verbucht werden, steht genau vor Fereshes jetziger Behausung. Vor den Hangars auf das Tempelhofer Feld hat die Stadt ein Containerdorf gestellt, Platz für 1.000 Geflüchtete. Kosten 16 Millionen Euro. Es sollte eigentlich in diesem Sommer bezugsfertig sein. Dann hieß es Ende Oktober. Jetzt: Eröffnungstermin offen.
    "Nächster oder kleiner BER" – eine Bezeichnung, die auch im Berliner Senat kursiert. Wie auf dem Katastrophen-Flughafen gibt es Baumängel und Bauschäden. Außerdem hat der Senat noch keinen Betreiber für die Container gefunden. Denn das Dorf muss laut Tempelhofgesetz schon 2019 wieder abgebaut sein.
    "Als Betreiber braucht man auch Planungssicherheit, zum Beispiel. Man könnte frühestens Anfang nächsten Jahres mit der Arbeit anfangen und müsste eigentlich schon an den Abbau denken, wenn man die Arbeit gerade erst aufgenommen hat. Dazu kommen aber auch bauliche Fragen, im Sommer wird es sehr heiß in den Containern, im Winter sehr kalt."
    Für die junge Afghanin Fereshe sind die Container auf dem Rollfeld dagegen fast schon ein Sehnsuchtsort.
    "Diese Container sind gut für uns, wir hoffen, dass die schneller fertig bauen, damit wir dorthin umziehen können. Sie sind besser als hier, wirklich."