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Flüchtlinge in Deutschland
"Positive Stimmung erhalten"

Barbara John (CDU), ehemalige Berliner Ausländerbeauftragte, hat Bund und Länder vor dem Flüchtlingsgipfel aufgefordert, schnell für ausreichend Flüchtlingsunterkünfte zu sorgen. "Der Winter kommt, sie brauchen ein Dach, sie brauchen Wärme", sagte sie im Deutschlandfunk.

Barbara John im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 23.10.2014
    Flüchtlinge aus Syrien auf einem Hof vor einem Flüchtlingsheim in Berlin-Hellersdorf
    Bund und Länder beraten heute im Kanzleramt über die Unterbringung von Flüchtlingen. (dpa / picture alliance / Britta Pedersen)
    Gleichzeitig nahm sie die Behörden gegen Vorwürfe der Fehlplanung in Schutz: In den vergangenen 15 Jahren seien die Flüchtlingszahlen stetig zurückgegangen, daran hätten sich die zuständigen Ämter gewöhnt. "Man kann solche teuren Heime auch nicht auf Vorrat halten", sagte die Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin. Ein Platz koste 15 bis 25 Euro pro Tag. Würden 1000 Plätze vorgehalten und nicht gebraucht, führe auch das zu Kritik. Nun allerdings müsse schnell gehandelt werden.
    Es gehe auch darum, die Bevölkerung dort, wo die Unterkünfte nun entstehen sollen, einzubinden. "Die positive Stimmung, die Willkommensstimmung und die aufnahmebereite Stimmung muss erhalten bleiben", sagte John. Das könne nur gelingen, wenn das vor Ort vorbereitet werde, wenn die Quartiere stimmten und wenn Kontakte geknüpft würden. "Das ist Aufgabe des Bundes und der Kommunen gemeinsam."

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Am Telefon ist jetzt Barbara John, ehemalige Ausländerbeauftragte der Stadt Berlin, CDU-Politikerin, und heute ist sie unter anderem Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in der Hauptstadt. Schönen guten Morgen, Frau John.
    Barbara John: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Frau John, Sie kennen solche Gesprächsrunden. Können da heute Abend wirklich Probleme gelöst werden?
    John: Ja, es müssen Probleme gelöst werden. Wir haben mehr Menschen, die kommen und hier in Deutschland keine Unterkunft vorfinden. Wir gehen in den Winter, sie brauchen ein Dach über dem Kopf, sie brauchen Wärme. Das wird jetzt provisorisch erst mal vorbereitet. Daran muss man auch nicht zu sehr rummäkeln, das ist das Wichtigste, was es gibt. Und vor allem geht es auch darum, die Bevölkerung da, wo die Provisorien hinkommen, mit einzubeziehen, denn wir haben mehr Verständnis für Flüchtlinge, als wir es vor 20 Jahren hatten.
    Armbrüster: Was genau ist denn da falsch gelaufen? Warum trifft uns das so unvorbereitet, was da gerade passiert?
    John: Wir hatten ungefähr 15 Jahre lang zurückgehende Zahlen und daran haben sich einfach die Ämter gewöhnt. Das ist der eine Punkt. Das ist sicher nicht das, was man machen sollte. Auf der anderen Seite kann man solche teuren Heime auch nicht auf Vorrat halten. Ein Platz kostet pro Tag zwischen 15 und vielleicht 25 Euro, es kommt immer auf den Standard an. Wenn man da tausend Plätze vorhält, ohne dass jemand sie braucht, wäre das natürlich auch ein Punkt für Kritik. Ich denke, Deutschland kann schnell handeln. Wir haben gute Verwaltungen, die so etwas können. Das sind Standardaufgaben und das muss auch gelöst werden.
    Bund sollte Länder bei den Kosten entlasten
    Armbrüster: Jetzt sagen viele Bundesländer, wir sind damit finanziell ziemlich überfordert, solche Kapazitäten da auszubauen, und das ist ja tatsächlich bislang Sache der Länder, die Unterbringung von Flüchtlingen. Muss der Bund jetzt zusätzliche Hilfe leisten?
    John: Ja. Das, denke ich, muss er auch. Aber da kommt noch etwas anderes hinzu. Es ist ja ein nationaler Gipfel heute, kein internationaler, und das ist ja auch richtig so. Die Länder müssen vor allem in den Gesundheitskosten entlastet werden.
    Es ist ja auch so: Man hat sich vorgenommen, schnell zu entscheiden, und das halte ich für ganz wesentlich, nämlich innerhalb von drei Monaten zu sagen, einer kann bleiben, der andere muss vielleicht gehen. Bleiben können wahrscheinlich fast alle, die aus Syrien kommen. Und wenn sie dann in drei Monaten bereits wissen, ich kann bleiben, dann fallen auch mehr Gesundheitskosten an, und das muss der Bund dann übernehmen. Jedenfalls hat er sich dazu bereit erklärt, Gespräche zu führen, denn das ist zusätzlich noch mal sehr teuer.
    Armbrüster: Jetzt sind die Deutschen ja dafür bekannt, dass sie solche Verwaltungsdinge gerne sehr gründlich und korrekt machen und dabei nicht unbedingt auf die Schnelligkeit achten. Inwieweit ist das ein Problem?
    John: Ja. Auch das Baurecht muss natürlich eingehalten werden und da kann man ja mal, ich will jetzt nicht sagen, alle Augen zudrücken. Das wäre ja ganz falsch, gerade wenn es um Provisorien geht, die schnell errichtet werden. Aber es muss nicht die Hühnerleiter dreimal rauf- und runtergehen. Dann muss man sich mal zusammensetzen, das entscheiden und dann auch tatsächlich machen. Auch das wird besprochen werden. Nur ob das auf dem Gipfel besprochen wird? Da sind die Kanzleichefs der einzelnen Bundesländer und das muss ja dann runtergebrochen werden bis in die einzelne Kommune.
    Armbrüster: Sehen Sie denn da Bereitschaft beim Bund, tatsächlich in diesen Fragen auf die Länder zuzugehen?
    John: Ich denke, da ist nicht nur Bereitschaft; da ist auch Wollen und da ist auch ein gewisses Muss. Denn das Entscheidende ist: Der Bund weiß, die Stimmung im Land, die positive Stimmung, die Willkommensstimmung und, sagen wir, die aufnahmebereite Stimmung muss erhalten bleiben, und das fängt damit an, wie die Flüchtlinge untergebracht werden, wie die Nachbarschaftsbeziehungen eingeläutet werden, und das kann nur gut passieren, wenn vor Ort auch vorbereitet wird, wenn die Quartiere stimmen, wenn Kontakte geknüpft werden können. Das ist die Aufgabe des Bundes und der Kommunen gemeinsam.
    Mehr Hilfsbereitschaft, weniger Proteste
    Armbrüster: Nun reden wir auch gerade schon wieder sehr viel über Behörden und darüber, was die einzelnen Ämter und Stellen tun sollen. Die Menschen haben Sie schon angesprochen. Aber ist denn Ihr Eindruck, sind die Menschen in Deutschland selbst auch bereit dazu, zu helfen, möglicherweise auch freiwillige Hilfe diesen Flüchtlingen, die da kommen, zu leisten?
    John: Wir haben hier in Berlin folgende Erfahrung gemacht: Es gab ja zuerst auch Proteste, kleine Proteste. Inzwischen ist das eigentlich vollkommen abgelöst worden durch Hilfsbereitschaft. Da wo ein Flüchtlingsheim entsteht oder wo jetzt ein Container hinkommt, gründen sich auch gleich Unterstützergruppen, Menschen, die da hingehen, die Kinder beschäftigen, die Kleider sammeln. Vor allem müssen auch die eigenen Communitys einbezogen werden. Wir haben etwa 50.000 Syrer ja schon in Deutschland, die lange hier leben. Vielleicht sind es auch mehr, die inzwischen schon Deutsche geworden sind. Die können natürlich sehr gut kommunizieren. Da vor allem die Syrer ja auch bleiben können, müssen sie sehr schnell in die Gemeinschaft, vor allem auch in die Arbeit gebracht werden.
    Wir haben ja auch ganz neue Regelungen. Nach drei Monaten wird man künftig schon eine Arbeit aufnehmen können, und das muss jetzt alles sehr, sehr viel schneller gehen. Wenn ich daran denke: Die Asylverfahren haben früher zehn, zwölf Jahre gedauert, unmögliche Zeiten. Da sind die Menschen vollkommen entwurzelt und krank, das darf eigentlich nie wieder passieren.
    "Wenn sie kommen, müssen sie ein Obdach finden"
    Armbrüster: Zeigt sich mit dieser aktuellen Entwicklung, die wir bei den Flüchtlingszahlen erleben, dass Deutschland tatsächlich mehr und mehr zu einem Einwanderungsland wird?
    John: Jetzt erst mal ist es ein Flüchtlingsaufnahmeland. Aber ganz Europa wird ja zu einem neuen Aufnahme..., zu einem Einwanderungsland. Natürlich ist das jetzt erzwungene Einwanderung. Wenn wir von Einwanderung sprechen, gibt es ja die freiwillige und die erzwungene. Es ist nicht gut, dass so viel erzwungene Wanderung da ist, und wir müssen auch sehen - aber das sind internationale Gipfel, die abgehalten werden müssen -, dass die Verhältnisse in den Ländern nicht so sind, dass Menschen zu Hunderttausenden, ja zu Millionen in den Nachbarländern erst mal sind und ihre Heimat verlieren, den Anschluss verlieren, vielleicht nie wieder zurückkommen, entwurzelt werden. Wir sehen ja das jetzt auch an den Palästinensern. Das alles sind die globalen Fragen, die immer noch nicht angepackt werden.
    Aber entscheidend ist jetzt: Wenn sie kommen, müssen sie ein Obdach finden und sie müssen schnell eingegliedert werden. Aber diejenigen, die nicht bleiben können, müssen auch wieder zurück.
    Armbrüster: Heute Abend im Kanzleramt in Berlin der Flüchtlingsgipfel mit Vertretern aus den Bundesländern. Vielen Dank! - Das war Barbara John, die ehemalige Ausländerbeauftragte der Stadt Berlin. Danke schön für das Gespräch heute Morgen.
    John: Sehr gerne. Danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.