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Flüchtlinge in Griechenland
Kritik an Abschreckungspolitik

Ein Jahr nach dem Flüchtlingsabkommen mit der Türkei kommen deutlich weniger Flüchtlinge auf den griechischen Inseln an. Doch die Zustände ihrer Unterbringung seien mangelhaft, kritisieren Menschenrechtler. Dahinter stehe die Absicht, Flüchtlinge abzuschrecken. Oxfam und Human Rights Watch fordern in einer schriftlichen Erklärung schnelle Verbesserung.

Von Michael Lehmann | 15.03.2017
    Eine Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Chios.
    Der Flüchtlingsdeal mit der Türkei hat dazu geführt, dass deutlich weniger Flüchtlinge auf den griechischen Ägäis-Inseln landen. Doch er hat auch zur Folge, dass tausende Migranten dort seitdem festsitzen. (AFP/Louisa Gouliamaki )
    Knapp 9.000 Flüchtlinge sind auf den griechischen Inseln Lesbos, Samos, Kos, Chios und Leros gestrandet. Seit dem Abkommen der Europäischen Union mit der Türkei müssen die meisten von ihnen vor allem warten. Warten auf ihr Asylverfahren. Der Ton in vielen Camps ist streng – auf Samos werden Proteste zwischen Flüchtlingsgruppen sofort im Keim erstickt:
    "Ihr seid nicht nur ein paar Hundert – ihr seid sehr viele bei uns im Land – das ist nicht einfach zu organisieren – Respektiert die Arbeit der Asylbeamten, sie werden die Verfahren beschleunigen".
    Der griechische Sicherheitsmann verschafft sich mit strenger Miene Respekt. Es sind pro Woche meist nur noch ein paar Dutzend Flüchtlinge, die neu angekommen - so wie dieser Afghane im kleinen Schleuserboot im Februar. Wie lange er wohl auf Samos bleiben muss – er weiß es nicht.
    Journalisten wird der Zugang zu den Camps auf den griechischen Inseln erschwert
    "Das ist uns allen nicht klar – manche müssen 10 Monate warten, andere sechs – so lange etwa dauert es."
    Der griechische Migrationsminister Mouzalas hat verfügt, dass Journalisten der Einblick in die Flüchtlingslager der griechischen Inseln erschwert wird. Harte Kritik muß er sich vor allem im Parlament anhören – er weiß, dass Menschenrechtler die Zustände auf den Inseln, aber auch in vielen Flüchtlingsunterkünften auf dem Festland kritisieren. Die Erwiderung des Ministers:
    "Wir werden in Europa kritisiert, daß wir nur verzögert arbeiteten, das ist nicht fair. Es dauert so lange, weil einfach jeder, der zu uns kommt, einen Asylantrag stellt. Und dann müssen wir uns bei der Überprüfung an die internationalen Standards halten. Das dauert seine Zeit.
    Will tatsächlich jemand verantworten, dass wir die Asylstandards umgehen, nur um schnell, schnell zu machen?
    EU wolle mit miserabler Unterstützung abschrecken
    Flüchtlingshelfer vieler Nicht-Regierungsorganisationen kritisieren in diesen Tagen die griechische Regierung und die EU. Beide hätten versagt bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise. In einer schriftlichen Erklärung ans griechische Parlament in Athen fordern ein gutes Dutzend NGOS darunter Care, Oxfam und Human Richts Watch schnelle Verbesserungen bei der Unterbringung. Die EU wolle mit ihrer miserablen Unterstützung Flüchtlinge abschrecken, so der Vorwurf.
    Aber natürlich sei es gut, wenn besonders Schutzbedürftige von den Inseln aufs Festland gebracht werden, sagt der Koordinator von Ärzte ohne Grenzen auf Lesbos, Achilleas Tzemos:
    "Wir sehen, dass Frauen, Kinder und Familien im Moria-Camp in geschützte Bereiche gebracht werden. Dort haben sie besonderen Schutz in Wohncontainern direkt am Aufnahme-Bereich – der Rest im Camp, das sind vor allem alleinstehende Männer."
    Appell der Griechen an EU-Mitgliedsländer
    Das könnte bald auf andere Weise brenzlig werden, sagt Tzemos. Der EU-Migrationskommissar Dimitri Avramopoulos redet gar nicht drum rum: Ja, Griechenland allein sei natürlich überfordert:
    "Ich möchte hier von Athen aus appellieren an alle Mitgliedländer, so schnell wie möglich mehr Experten zu entsenden – um die Asylverfahren in Griechenland zu unterstützen. Auf der anderen Seite funktioniert im Moment das Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei – und das muss so bleiben, das möchte ich unterstreichen. Das hat Priorität, wir sind dazu verpflichtet.
    Die Bewohner der griechischen Inseln in Sichtweite zur Türkei trauen diesen Sätzen nicht. Wer weiß, ob Erdogan nicht wieder die Schleusen öffnet, sagen sie. Die Skepsis gegenüber der Türkei ist gewachsen. Und das liegt auch an türkischen Militärjets, die wesentlich häufiger als letztes Jahr um diese Zeit Einsätze über der Ägäis fliegen.