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Flüchtlinge in Griechenland
"Sie bekommen ihre Würde zurück"

Auf der griechischen Insel Lesbos wohnen mittlerweile 500 Flüchtlinge in eigenen Wohnungen. Damit beginnt für sie ein neuer Lebensabschnitt: Endlich haben sie Privatsphäre, können selber kochen und ihr Leben in die Hand nehmen. Doch nicht alle wollen bleiben.

Von Michael Lehmann | 26.04.2018
    Eine Frau kocht am 04.04.2013 in einer Küche in Tübingen (Baden-Württemberg).
    In einer eigenen Wohnung können Flüchtlinge ihr Leben wieder selbst organisieren (picture-alliance / dpa / Daniel Bockwoldt)
    Alaheldin, der 33-jährige Familienvater aus Syrien, hat zu Kaffee und Obst in sein neues Wohnzimmer eingeladen. In Mytilini, der kleinen Hauptstadt auf der Insel Lesbos, wohnt er mit seiner Familie seit ein paar Wochen in einer kleinen Wohnung:
    "Hier ist es viel besser, als im Lager Moria, das war furchtbar dort. Es ist gut, dass wir jetzt hier sind, wir möchten hier oder an einem anderen sicheren Ort bleiben. Das ist für unser Kind wichtig, das so viel Schreckliches schon erlebt hat".
    Der syrische Familienvater lächelt, seine Mutter, die den kleinen Enkel auf dem Schoss hält, ebenso. Insgesamt 500 Flüchtlinge sind auf Lesbos inzwischen in festen Wohnungen unterbracht worden. Teams des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nation, UNHCR und andere Helfer sind die Vermittler. Sie entscheiden, wer das völlig überlastete Flüchtlingslager Moria gegen eine feste Unterkunft eintauschen darf. Theodoros Alexellis organisiert für das UNHCR auf Lesbos die Wohnungsvermittlungen:
    "Wenn Du die Leute aus den Camps holst und sie hier in der Ortsmitte in gute Appartements bringst, spüren sie sofort, dass sie ihre Würde zurückbekommen haben. Sie sind dann wieder selbst verantwortlich für ihr Leben. Im Camp geht’s nur ums Überleben. Um die ganze Registrierungsbürokratie auch. Hier kannst Du Dein Leben wieder neu anpacken. Die Menschen fühlen sich gleich ganz anders."
    Menschen bekommen ihre Würde zurück
    Die Familie des Syrers Alaheldin sagt es den Besuchern immer wieder, wie dankbar sie über die eigene Wohnung ist: Teppichboden, ein Bad, ein zwar enges, aber sauberes Schlafzimmer für seine Frau, seine Mutter und die beiden kleinen Kinder. Sozialarbeiter Michalis Poulimás besucht zweimal in der Woche die syrische Familie, um zu schauen, wie es mit der Integration in dem griechischen Mietshaus klappt:
    "Ich glaube, dass es grade für Familien enorm wichtig ist, eine solche Unterkunft zu haben, grade für besonders verletzliche Menschen, die sich sicher fühlen wollen. Sie haben hier im Winter Heizung, sie können ihr eigenes Essen kochen. Nach langer Flucht und nach monatelanger Enge in Flüchtlingscamps bekommen sie hier ihre Würde zurück. Das ist wichtig."
    Ermöglicht wird das Wohnungsprogramm für insgesamt viele tausend Flüchtlinge in Griechenland durch Spendengelder über das UNHCR – aber auch durch Mittel aus EU-Kassen und natürlich durch private ehrenamtliche Arbeit. Alaheldin erzählt dunkle Geschichten von Flucht und Krieg –monatelang war seine Familie in Syrien eingekesselt.
    Nach der letzten gefährlichen Strecke übers Mittelmeer starb in Moria, dem engen, dreckigen Flüchtlingslager hinter Stacheldraht, zunächst auch noch das letzte Stückchen Hoffnung. Jetzt in der Wohnung in Mytilini, so wirkt das bei dem jungen Syrer, kommen langsam die Lebensgeister wieder:
    "Wir leben im Moment von Tag zu Tag. Wir können uns selbst noch nicht genau vorstellen, was wir in ein paar Jahren tun werden. Wir können nur hoffen, dass wir weiter in Frieden und Ruhe leben. Im Moment sind wir glücklich - und haben keine Probleme."
    Viele Flüchtlinge wollen weiterziehen
    500 Wohnplätze auf Lesbos – viele tausend an anderen Orten in Griechenland – Michalis Poulimás hofft zusammen mit den UNHCR-Teams, möglichst vielen Flüchtlingen dabei auch eine dauerhafte Perspektive zu geben in der neuen Heimat auf Lesbos. Denn immer noch zieht es viele Flüchtlinge weiter, in die reicheren Länder im Norden von Europa:
    "Die Leute haben ihren eigenen Traum vom besseren Leben – und sie denken, in Deutschland wartet das Paradies auf sie. Und dann erkläre ich es den Leuten. Ich war als Student drei Jahre lang in Frankreich – ich weiß, dass es dort, wie auch in Deutschland, eben nicht einfacher ist, als Flüchtling sich hochzuarbeiten, anerkannt zu werden. Ich versuche, Flüchtlinge zu ermutigen, hier in Griechenland zu bleiben – auch auf unserer Insel Lesbos."