Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Flüchtlinge in Manheim
Leben in einem Geisterdorf

Etwa eine halbe Stunde von Köln entfernt liegt das Dorf Manheim. Es muss bis 2022 dem Braunkohletagebau weichen. Seit einigen Jahren findet die Umsiedlung der Einwohner statt, immer mehr Häuser stehen deshalb leer. Aber einige von ihnen werden jetzt doch wieder genutzt - und zwar für Flüchtlinge.

Von Vivien Leue | 10.03.2016
    Das Kind einer Flüchtlingsfamilie in Kerpen-Manheim (Nordrhein-Westfalen) vor der Gemeindeverwaltung, die die Umsiedlung der Bewohner im Braunkohletagebau organisiert
    Das Kind einer Flüchtlingsfamilie in Kerpen-Manheim (Nordrhein-Westfalen) vor der Gemeindeverwaltung, die die Umsiedlung der Bewohner im Braunkohletagebau organisiert (dpa/picture alliance/Oliver Berg)
    Es ist später Nachmittag, und es regnet. Die Straßen von Manheim sind wie leer gefegt. Aber das liegt offenbar nicht nur am Regen: Bei vielen Häuser sind die Jalousien heruntergelassen, die Parkplätze leer, die Läden verwaist. Zwar wirkt Manheim wie ein Dorf, das einmal liebevoll gepflegt wurde. Aber es scheint eben auch verlassen.
    Grund ist der Braunkohletagebau Hambach – dieses riesige Erdloch, in dem die größten Bagger der Welt seit mehr als 40 Jahren Rohstoffe abbauen und das schon jetzt nur wenige Autominuten von Manheim entfernt liegt. Spätestens 2022, in sechs Jahren, muss ganz Manheim dem Tagebau weichen.
    Die meisten der einst knapp 1.700 Bewohner sind deshalb schon umgezogen, in ein Dorf, das sieben Kilometer weiter östlich extra für sie entstanden ist. Zurück bleiben verlassene Häuser, leere Straßen – und die Flüchtlinge, die die Stadt Kerpen seit einiger Zeit in den leer stehenden Häusern unterbringt.
    270 Flüchtlinge und 400 Alt-Einwohner
    Im Jugendzentrum von Manheim, einem bunt bemalten Flachbau, treffen sich viele der neuen Dorf-Bewohner: "Wir haben erhebliche Besucherzahlen, die in die Höhe gestiegen sind. Das war zuerst Ende 2014, da kamen schon einige. Da waren es vorwiegend Balkanflüchtlinge. Jetzt dann eben Syrer, Iraker, Iraner."
    Margarete Held-Gbane leitet das Jugendzentrum, schon seit 25 Jahren ist sie hier. Seit vor knapp eineinhalb Jahren die ersten 70 Flüchtlinge nach Manheim zogen, haben sich ihre Aufgaben verändert, erzählt sie: "Wir sind ein Jugendzentrum, aber wir machen nebenher auch noch eine ganze Menge. Wenn man zum Beispiel mal ein Kind abholt oder wegbringt, weil es dunkel ist."
    Mittlerweile leben 270 Flüchtlinge in Manheim - zusammen mit 400 Alt-Einwohnern, die aber nur noch darauf warten, dass ihr frisch gebautes Heim im neuen Dorf fertig wird. Einer von ihnen ist Wolfgang Eßer. Er plant, im Sommer umzuziehen. Dass dann vielleicht auch in sein altes Heim Migranten einziehen, das stört ihn nicht, sagt er. Nur über eines sei er traurig: "Dass ich meinen Söhnen nicht zeigen kann, wo ich aufgewachsen bin und die drei einmal ihren Kindern, so denn welche kommen, auch nicht zeigen können: Da sind wir aufgewachsen. Denn man verliert ja irgendwas. Aber das ist eher das Abstrakte, das nicht Greifbare, als irgendwelche Räumlichkeiten."
    Auch die Asylsuchenden können nicht lange bleiben
    Damit haben die Manheimer womöglich etwas ganz Wichtiges gemeinsam mit den neuen Nachbarn, den Flüchtlingen: Sie haben eine Heimat verloren und müssen sich etwas Neues aufbauen. Allerdings sieht Eßer das mit dem Aufbau eher kritisch: "Das Problem ist, das ist ja auch quasi nur eine Zwischenunterbringung. Weil Manheim wird verschwinden. Und die dann Bleiberecht kriegen, die muss ich dann wieder irgendwo unterbringen, wo sie sich dann wieder neu einleben müssen."
    Dennoch, auch wenn Eßer weiß, dass viele der Asylsuchenden nicht langfristig in der Region bleiben können, er hilft mit, wo er kann. Als Vorsitzender des Fußballvereins bindet er die jungen Leute zum Beispiel mit in den Sport und das Vereinsleben ein.
    Überhaupt ist die Hilfsbereitschaft groß in Manheim und Umgebung. Ein Patenkreis hat sich gegründet, der mit schier unermüdlicher Kraft den Flüchtlingen unter die Arme greift. Magdalene Schumacher ist eine von ihnen. In ihrem Zuhause in der Ortschaft Buir, wenige Autominuten von Manheim entfernt, erzählt sie, wie sie vor gut einem Jahr zuerst eine vierköpfige Familie betreut und später dann die Hausaufgabenhilfe aufgebaut hat. Im Pfarrheim in Manheim treffen sich dafür jeden Nachmittag mindestens ein Dutzend Flüchtlingskinder.
    "Sogar wenn sie keine Hausaufgaben aufhaben, kommen die und dann müssen sie erst ein bisschen Pflicht machen, also Lesen oder mit dem Lück-Kasten rechnen und dann dürfen sie auch Malen oder Spielen – aber wer kommt, muss erst ein bisschen arbeiten." Es sei toll, dass jetzt wieder etwas Leben in das Dorf kommt: "Man lernt sich schätzen gegenseitig und auch mögen. Und wenn die Kinder einen anstrahlen. Wenn ich mir jetzt vorstelle, eins von den Kindern, die ich jetzt seit einem Jahr betreue, müssten nach Hause. Oh, da würde mir aber schon das Herz brechen, ganz bestimmt."
    Die Infrastruktur fehlt inzwischen
    So sieht das auch Uta Stöttner, die ebenfalls in Buir wohnt und in Manheim eine 20-köpfige irakische Großfamilie betreut. "Ich finde das schön, weil es sind auch ganz viele Kinder da. Es ist Leben auf der Straße." Als "Modell" wollen die Menschen Manheim aber nicht verstanden wissen. Es klappt zwar ganz gut, das Zusammenleben mit den Flüchtlingen. Aber ideal ist die Unterbringung in dem Dorf nicht – schon allein wegen der fehlenden Einkaufsmöglichkeiten. Metzger, Bäcker, Supermarkt – alle Läden sind mittlerweile geschlossen, zwar fahren noch Busse, aber nicht häufig genug.
    "Mir ist schon passiert, dass ich in Kerpen war, da wollte ich beim Türkenladen was kaufen, da traf mich ein Flüchtling und frage, ob ich ihn mitnehmen könnte. Da stellte sich raus, er war nicht alleine da, sondern seine Frau und seine fünf Kinder auch und es war Samstagnachmittag – da fährt kein Bus mehr."
    Uta Stöttner hat die siebenköpfige Familie kurzerhand in ihrem Auto mitgenommen – und ihnen damit einen Zwölf-Kilometer-Marsch nach Manheim erspart. Und als sie die Familie dann vor deren neuen alten Wohnhaus verabschiedet hat, fand sie es wieder einmal schade, dass es das bald alles nicht mehr geben soll.
    "Ich habe immer noch den Traum, dass vielleicht doch irgendwann eine Umkehr erfolgt und Manheim vielleicht doch stehen bleibt. Weil auf der einen Seite müssen wir Hunderte von Wohnungen bauen und da werden Hunderte von Wohnungen zerstört."