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Flüchtlinge in Unternehmen
"Integration erfordert viel Arbeit, Geduld und Kraft"

Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Eric Schweitzer, hat für mehr Geduld bei der Integration von Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt geworben. Der Prozess koste viel Kraft und werde zwischen sieben und zehn Jahren dauern, sagte Schweitzer im Deutschlandfunk. Er stellt heute in Berlin das Netzwerk "Unternehmen integrieren Flüchtlinge" vor.

Eric Schweitzer im Gespräch mit Mario Dobovisek | 09.03.2016
    Der Präsident des DIHK, Eric Schweitzer
    Der Präsident des DIHK, Eric Schweitzer (dpa/picture alliance/Wolfgang Kumm)
    Schweitzer betonte, da viele Flüchtlinge noch unter 25 Jahren alt seien, könne man gut bei der Schulbildung ansetzen. Zugleich warnte Schweitzer vor überzogenen Erwartungen. Seiner Ansicht nach sind Flüchtlinge nicht als Rezept für den bevorstehenden Fachkräftemangel zu sehen. Es handele sich um keine gezielte Zuwanderung, sondern um Menschen, die vor Bürgerkriegen flüchteten, sagte er.

    Das Interview in voller Länge:
    Mario Dobovisek: Ein Flüchtling, der nach Deutschland kommt, der kostet Geld. Ein Flüchtling, der nach Deutschland kommt und arbeitet, der bringt am Ende sogar Geld für das Unternehmen, für das er tätig ist, für den Fiskus, weil er Steuern zahlt, für den Einzelhandel, weil er dort sein Geld ausgibt im besten Fall. Integration in den Arbeitsmarkt scheint, einer der Schlüssel zu sein bei der Integration von Flüchtlingen in unsere Gesellschaft. Der Bundeswirtschaftsminister und die deutschen Industrie- und Handelskammern starten heute eine Initiative mit dem Titel "Unternehmen integrieren Flüchtlinge". Den Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Eric Schweitzer, begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Schweitzer.
    Eric Schweitzer: Guten Morgen.
    Dobovisek: Flüchtlinge in Arbeit bringen, wie wollen Sie das schaffen?
    Schweitzer: Zunächst mal muss man wissen, das ist ein sehr langer Weg. Das heißt, die Integration beginnt über Sprache - das ist der erste Punkt, der den Flüchtlingen beigebracht werden muss -, und anschließend über Ausbildung und den Arbeitsmarkt. Was wir uns vorgenommen haben, dass wir ein Netzwerk gründen, gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsminister, von dem es gefördert wird auch, in dem wir Unternehmen zusammenbringen, die sich gemeinsam austauschen über die Schwierigkeiten, über die Problemlösungen und über die Erfahrungen bei der Ausbildung von Flüchtlingen als auch bei der Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt.
    Dobovisek: Wie groß ist da bisher die Resonanz?
    Schweitzer: Die Resonanz ist sehr groß. Wir haben ja ähnliche Beispiele auch aus einem Netzwerk für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wo wir über 5000 Mitgliedsunternehmen haben. Wir haben das jetzige neue Netzwerk zur Integration von Flüchtlingen vor kurzem gestartet, haben bisher schon 300 Mitgliedsunternehmen und streben an, jährlich 500 neue Mitgliedsunternehmen aufzunehmen.
    Dobovisek: Initiativen gibt es viele, zum Beispiel in Rosenheim. Dort werden jugendliche Flüchtlinge und junge Erwachsene auf eine Ausbildung in Deutschland vorbereitet. Die Chefin dieser Initiative "Junge Arbeit" sagt inzwischen resigniert: Bei rund 80 Prozent der Jugendlichen fehlen fast komplett neun Jahre Schulbildung. "Eine Ausbildung ist nicht realistisch." Die Probleme sind gravierend, die Bildungsunterschiede auch, nicht nur bei den Jugendlichen. Es kommen eben nicht bloß Ingenieure nach Deutschland. Wie wollen Sie dieses ausgleichen?
    "Schulbildung ist Voraussetzung für die berufliche Ausbildung"
    Schweitzer: Diese Erfahrungen teile ich. Man muss einfach wissen: Die Integration von Flüchtlingen in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt erfordert unglaublich viel Arbeit, unglaublich viel Geduld und Kraft. Das wird dauern zwischen fünf und zehn Jahre. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit sind, dass nach einem Jahr nur zehn Prozent in den Arbeitsmarkt integriert sind, nach fünf Jahren 50 Prozent und nach 15 Jahren 70 Prozent. Das heißt, das ist ein Prozess, der dauert zwischen sieben und zehn Jahren und beginnt mit der Schulbildung. Das Gute ist, dass über 50 Prozent der Flüchtlinge unter 25 sind. Das heißt, da können Sie noch mit der Schulbildung ansetzen, weil die Schulbildung ist Voraussetzung für die berufliche Ausbildung und die wiederum Voraussetzung für den Arbeitsmarkt. Wir teilen aber wie gesagt die Auffassung, das ist ein langer Weg, das geht nicht schnell. Deswegen auch das Netzwerk, um möglichst auch Best-Practice-Beispiele aus den Unternehmen miteinander auszutauschen.
    Dobovisek: Wer muss diese Lücken schließen, gerade in der Qualifikation, die Unternehmen oder die Politik?
    Schweitzer: Zunächst mal ist das eine Aufgabe der Schulbildung und des Staates, weil Bildung ist eine der Kernaufgaben des Staates, neben der inneren und der äußeren Sicherheit. Dann anschließend beginnt das Thema, wenn denn die Schulbildung da ist und der Schulabschluss vorhanden ist, der beruflichen Ausbildung bei den Unternehmen, und das ist dann eine gemeinsame Aufgabe.
    "Wir werden auch von einem 20-Jährigen verlangen müssen, dass er noch mal zur Schule geht"
    Dobovisek: Nun wird ein 25-jähriger Flüchtling sicherlich nicht noch einmal die Schulbank drücken, um seinen Realschulabschluss zu machen. Welche Lösung kann da die Industrie bieten?
    Schweitzer: Ich glaube, er wird es tun müssen, weil Sie müssen wissen: In Deutschland, in einem Hochlohnland, was wir sein wollen, mit sehr, sehr innovativen Produkten brauchen wir sehr qualifizierte Arbeitnehmer. Und wenn jemand nicht ausgebildet ist, dann besteht die Gefahr, dass er in einer konjunkturellen Krise oder wenn es nicht so gut läuft sofort arbeitslos wird. Deswegen ist es unglaublich wichtig, dass sie die berufliche Bildung brauchen und dass sie die Schulbildung brauchen, und wir werden auch verlangen müssen von einem, der 20 ist, dass er noch mal zur Schule geht. Das wird nicht anders gehen, wenn er beruflich in diesem Land eine Chance haben will und wenn er sich integrieren will und muss, was zwingend notwendig ist, um den Zusammenhalt dieser Gesellschaft zu gewährleisten.
    Dobovisek: Schulbank drücken und gleichzeitig am Fließband stehen, eine Möglichkeit?
    Schweitzer: Das wird wahrscheinlich weniger gehen. Sie werden erst mal die Schulbildung machen müssen. Daran werden sie sehr, sehr intensiv arbeiten müssen. Dann anschließend die berufliche Bildung, um dann wie gesagt in den Arbeitsmarkt gehen zu können. Aber sowohl am Fließband zu stehen wie in die Schule zu gehen, ich glaube, das ist so nicht möglich.
    "Wir werden das Thema der Demographie in Deutschland nicht über Flüchtlinge lösen"
    Dobovisek: Zwei Drittel aller Flüchtlinge hätten keinerlei Qualifikation, haben Sie in früheren Interviews gesagt. Sozusagen ein Rohdiamant für die Industrie, oder doch dann am Ende eher ein Klotz am Bein, wenn wir über einen derart langen Weg reden, fünf bis zehn Jahre?
    Schweitzer: Wir werden über Flüchtlinge das Thema der Demographie in Deutschland, das heißt, dass wir mehr Menschen aus dem Arbeitsprozess verlieren, weil sie in Rente gehen, als junge Menschen nachkommen, dieses Problem werden wir dadurch nicht lösen, weil es nämlich keine gezielte Zuwanderung ist, sondern weil es halt Flüchtlinge sind, die aus Gründen der politischen Verfolgung oder aus Bürgerkriegsgründen nach Deutschland kommen.
    Dobovisek: Kein Rezept gegen den Fachkräftemangel, von dem viele träumen?
    Schweitzer: Nein. Aber wir werden uns der Aufgabe stellen müssen der Integration von Flüchtlingen und wie gesagt in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, und das wollen wir als deutsche Wirtschaft auch tun. Da wollen wir uns sehr stark engagieren, weil das auch eine Frage des Zusammenhalts unserer Gesellschaft ist.
    Dobovisek: Sie leiten in Berlin das Recycling-Unternehmen ALBA. Was tun Sie für die Integration von Flüchtlingen im Unternehmen?
    Schweitzer: Wir haben ja als ALBA insgesamt zirka 8000 Mitarbeiter und wir sind hier über unsere Personalabteilung sehr intensiv im Austausch mit der Agentur für Arbeit, sowohl im Bereitstellen von Einstiegspraktika für Flüchtlinge, die die Voraussetzung haben, als auch der Bereitstellung von Mentorenprogrammen. Das heißt, dass Auszubildende, die bei uns im Unternehmen bereits sind, Mentor sind für einen jungen Flüchtling, der beispielsweise Einstiegspraktika macht oder eine Einstiegsqualifizierung.
    Dobovisek: Welche finanziellen Hilfen erwarten Sie da von der Politik?
    Schweitzer: Ich gehöre nicht zu denjenigen, die immer wieder nach neuen Subventionen rufen, sondern was wir brauchen, um als Wirtschaft das Thema berufliche Bildung als auch Integration in den Arbeitsmarkt stellen zu können, ist, dass wir die Voraussetzung dafür bekommen, dass wir gute Investitionsmöglichkeiten in Deutschland haben und dass wir nicht bürokratisch drangsaliert werden, dass wir steuerliche Voraussetzungen haben, die es uns ermöglichen, auch Geld zu verdienen, was wir anschließend investieren können und uns die Möglichkeit gibt, uns auch dem Thema der Integration stellen zu können.
    Dobovisek: Stichwort Investitionsmöglichkeiten und auch Investitionsbereitschaft. Schauen wir uns die wirtschaftliche Lage, das wirtschaftliche Umfeld an. In China brechen die Exporte ein, die Märkte sind extrem nervös, hängen scheinbar am Tropf der Notenbanken. Der Ölpreis liegt am Boden. Machen Sie sich Sorgen um die Weltwirtschaft?
    "Wir sind bei jeder Krise, die es in dieser Welt gibt, mit dabei"
    Schweitzer: Es gab schon beruhigtere Zeiten bei den Rahmenbedingungen. Die Situation in Deutschland ist momentan so, dass wir als DIHK von einem Wachstum dieses Jahr von 1,3 Prozent ausgehen. Wir müssen aber auch wissen, wir sind ja eine der Exportnationen dieser Welt. Das heißt, wir verkaufen unsere Produkte in alle Welt. Und wir sind bei jeder Krise, die es in dieser Welt gibt, auch mit dabei, indem wir dorthin weniger exportieren. China ist zurzeit dabei, sein Wirtschaftsmodell umzustellen, wobei wir wissen müssen, wir reden in China immer noch über 6,5 Prozent Wachstum pro Jahr. Das ist im Übrigen so viel, nur das Wachstum alleine, wie die Schweiz insgesamt an Bruttoinlandsprodukt pro Jahr produziert. Natürlich sind auch die Krisen im Nahen Osten eine sehr, sehr starke Herausforderung, die Russland-Krise nicht zu vergessen auch mit den Sanktionen. Also es gab schon einfachere Zeiten.
    Dobovisek: Stehen wir vor einer neuen Wirtschafts- und Finanzkrise weltweit?
    Schweitzer: Ich glaube nein. Ich glaube nicht, dass wir davor stehen. Aber wir müssen wie gesagt aufpassen, dass wir auch in der Welt wieder ein stärkeres Wachstum generieren. Man muss wissen: Wenn wir in der Welt unter drei Prozent wachsen, dann haben wir eine Rezession. Wir liegen zurzeit noch über drei Prozent. Das kommt aber nicht von alleine, dafür müssen auch die Voraussetzungen geschaffen werden.
    Dobovisek: Eric Schweitzer ist Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Ich danke Ihnen für das Interview.
    Schweitzer: Vielen Dank.
    //Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht