Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Flüchtlinge und Arbeitsmarkt
Integration hakt bereits am Anfang

Ein Jahr ist es her, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel die in Ungarn gestrandeten Flüchtlinge ins Land ließ und ihren berühmt gewordenen Leitspruch formulierte: "Wir schaffen das". Doch bei dem Versuch, die neu Ankommenden auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren, hakt es oft bereits am Anfang - bei einem schnellen Zugang zu Sprach- und Weiterbildungskursen.

Von Gerhard Schröder | 30.08.2016
    Omar Ceesay und Schreiner Karl-Heinz Kübler arbeiten an einem Türrahmen.
    Um Angela Merkels "Wir schaffen das" auch wirklich umzusetzen, brauchen Flüchtlinge eine wirkliche Chance auf Integration. Eine eigene Arbeitsstelle ist dafür eine wichtige Voraussetzung. (dpa / Felix Kästle)
    Die Elektrha Gmbh in Alfeld, einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Hildesheim. Yasser Kalif hat die Schutzbrille aufgesetzt, spannt die Metallplatte ein und setzt die Stanze an, korrigiert noch einmal, dann passt es. Yasser ist 28 Jahre alt, klein und drahtig, das jungenhafte Gesicht von kurzen, schwarzen Haaren eingerahmt.
    Seit vier Wochen arbeitet er in der Elektrowerkstatt von Firmenchef Uwe Hagel, macht ein Praktikum, sammelt erste Berufserfahrungen in Deutschland. Vor einem Jahr ist Yasser Kalif vor Krieg und Terror in Syrien nach Deutschland geflüchtet, zu Fuß, per Schiff, im Bus. Eine lange gefährliche Flucht, die ihn über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien und Österreich nach Deutschland geführt hat. Die Route, über die Hunderttausende gekommen sind. Hier, im beschaulichen Alfeld, will er neu anfangen, eine Ausbildung machen:
    "Das ist wichtig für mich. Ohne Ausbildung ich kann nicht arbeiten oder ich kann arbeiten, aber nicht richtig, alles falsch, weil Ausbildung, lernen und arbeiten zusammen, helfen."
    In seiner Heimat hat Yasser zwei Jahre als Elektriker gearbeitet, er kennt den Job und doch ist vieles neu für ihn. Vor allem die Verständigung bereitet noch Schwierigkeiten, Firmenchef Uwe Hagel ist dennoch ganz begeistert von seinem syrischen Praktikanten:
    "Hat sich bewährt, ja. Er sieht die Arbeit, man muss ihm nicht alles sagen, wenn er es ein- oder zweimal gesehen hat, dann macht er das von ganz allein, ist auch sehr gewissenhaft in seiner Arbeit, weil ein Schaltschrank muss aussehen wie der andere. Also wir sind sehr mit ihm zufrieden."
    Zuwenig Fachkräfte auf dem deutschen Arbeitsmarkt
    Hagel baut Schaltschränke und Alarmanlangen, installiert Netzwerke und Elektroanlagen, in Wohnhäusern und Industriebetrieben. Die Geschäfte laufen gut, sagt er. Einziges Problem: Er findet nicht ausreichend Fachkräfte:
    "Wir suchen händeringend Nachwuchs, sprich Auszubildende und Gesellen, aber der deutsche Arbeitsmarkt gibt das nicht her."
    Deshalb wurde Hagel hellhörig, als ihm sein Nachbar Rüdiger Paulat, der ehrenamtliche Bürgermeister von Freden und Vorsitzende der örtlichen Flüchtlingsinitiative, fragte, ob er es nicht mal mit einem Flüchtling probieren wolle.
    "Erst war es nur für drei Wochen gedacht, dass er bei uns mal reinschnuppert, jetzt ist es schon die vierte Woche. Und wir sind jetzt auch soweit, wenn er dann seinen Deutsch-Kurs beendet hat, dass wir ihm dann die Chance geben, dass er im nächsten Jahr eine Ausbildungsstelle anfangen kann."

    So mag sich das auch Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgestellt haben, als sie vor einem Jahr die in Ungarn gestrandeten Flüchtlinge ins Land ließ und ihren berühmt gewordenen Leitspruch formulierte: "Wir schaffen das". Und vielleicht hatte sie Geschichten wie die des syrischen Elektrikers Yasser im Kopf, als sie ihr Credo vor vier Wochen in Berlin noch einmal bekräftigte:
    "Ich bin heute wie damals davon überzeugt, dass wir es schaffen, unserer historischen Aufgabe gerecht zu werden. Wir schaffen das, und wir haben im Übrigen in den letzten elf Monaten sehr, sehr viel bereits geschafft."
    Bundeskanzlerin Angela Merkel.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel bekräftigte vor vier Wochen in Berlin ihr Credo "Wir schaffen das". (AFP / John Macdougall)
    "Die Herausforderung ist, Talente zu erkennen"
    Gut eine Million Flüchtlinge sind im vergangenen Jahr nach Deutschland gekommen, in diesem Jahr werden es noch einmal 300.000 sein, so die jüngste Prognose des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Die meisten von ihnen werden bleiben und das heißt zunächst: hohe Ausgaben für Unterkünfte und Verpflegung, Kindergärten und Schulen, Sprachkurse und Qualifizierungsmaßnahmen.
    Eine gewaltige Aufgabe, für die sich die Bundesagentur für Arbeit inzwischen aber ganz gut gerüstet sieht. Zusätzliches Personal wurde eingestellt, neue Konzepte entwickelt, sagt Vorstandsmitglied Rainer Becker:
    "Wir gehen mit unserer Organisation in die Landeserstaufnahmestelle, also sehr, sehr früh, wo die Menschen ihren Asylantrag stellen, versuchen wir, heraus zu bekommen, welche Schule haben sie denn besucht, welchen Abschluss haben sie denn, welche Tätigkeit haben sie verrichtet. Keiner kommt hierher mit einem IHK-Zeugnis aus Aleppo. Aber die bringen natürlich Kompetenzen und Talente mit, sodass die Herausforderung ist, diese Talente zu erkennen."

    Die meisten Flüchtlinge kommen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan. 70 Prozent können keine abgeschlossene Berufsausbildung nachweisen, 25 Prozent sind gar nicht oder nur kurz zur Schule gegangen. Das macht die Integration schwierig, aber nicht unmöglich, sagt Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. In der Gastronomie und der Hotelbranche, am Bau und in der Gebäudereinigung würden ungelernte Arbeitskräfte gesucht, sagt er. Das eröffne auch vielen Flüchtlingen Chancen:
    "Glücklicherweise hat der Arbeitsmarkt da eine sehr hohe Nachfrage. Also wir haben in den vergangenen fünf Jahren 1,1 Millionen zusätzliche Jobs geschaffen für ausländische Beschäftigte und davon vielleicht 80, 90 Prozent in diesen Arbeitsmarktsegmenten. Die Wirtschafte entwickelt sich da sehr dynamisch, also es ist nicht so, dass wir nur im Bereich der hoch- und mittelqualifizierten Jobs schaffen, sondern auch in den anderen Bereichen, deshalb sind die Chancen auf Arbeitsmarktintegration nicht so schlecht."
    Dozentin Ursula Achterkamp (l.), unterrichtet am 04.02.2016 in Osterburg (Sachsen-Anhalt) Flüchtlinge aus Syrien während eines Deutschkurses.
    Das Lernen der deutschen Sprache ist eine Grundvoraussetzung für gelungene Integration - doch es gibt zu wenig Sprachkurse für Flüchtlinge. (dpa / picture-alliance / Jens Wolf)
    Zu wenig Sprachkurse für Flüchtlinge
    Vorausgesetzt, die Flüchtlinge lernen schnell deutsch. Das Problem ist nur: Es gibt zu wenig Sprachkurse. Eine halbe Milliarde Euro hat die Bundesregierung bereitgestellt, um 300.000 Flüchtlingen den Spracherwerb zu finanzieren. "Wir brauchen doppelt so viele Plätze", kritisiert Sabine Zimmermann, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linkspartei:
    "Frau Merkel stellt sich hin und sagt: 'Wir schaffen das'. Und wenn wir nicht einmal die einfachste Aufgabe schaffen, dass wir den Menschen die deutsche Sprache beibringen, dann ist das schon eine Fehlleistung."
    "Hier müssen wir mehr tun", sagt auch der Integrationsexperte Brücker. Sprachkurse, betriebliche Qualifizierungen müssten viel schneller greifen:

    "Wir haben es viel zu spät begonnen. Und diese Zeitverzögerung spielt natürlich eine große Rolle. Also ein Mensch, der ein Jahr untätig war, ist nicht mehr der gleiche. Wir wissen, dass das Langzeitfolgen für die Arbeitsmarktintegration hat, das ist wie bei anderen Arbeitslosen auch, wenn die Menschen zu lange aus ihren Tätigkeiten draußen sind, wird die Integration schwieriger."
    Was Arbeitsmarktexperten wie Herbert Brücker optimistisch stimmt, ist die günstige Altersstruktur der Ankommenden. Die meisten Flüchtlinge sind jung - 75 Prozent nicht älter als 35, 55 Prozent sogar jünger als 25 Jahre und kommen daher für eine Ausbildung in Frage. Das Problem sei nur, dass viele daran gar kein Interesse hätten, sagt Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes:
    "Wir wissen, dass viele, die hierhin kommen, direkt Geld verdienen wollen und müssen, weil sie ihre Familien unterstützen müssen, weil sie noch Schleuser bezahlen müssen. Und deshalb ist es für sie eine schwierige Entscheidung zu sagen, 'Wir gehen jetzt in drei Jahre Ausbildung zu normalen Ausbildungsvergütung', das können sich viele gar nicht leisten."
    Die sächsische Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke, Sabine Zimmermann
    Die sächsische Bundestagsabgeordnete Sabine Zimmermann ist arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linkspartei. (Jan Woitas/dpa )
    "Über Praktika erste Türen öffnen"
    Buntenbach plädiert für finanzielle Anreize, zum Beispiel Eingliederungszuschüsse, um mehr Flüchtlinge zu einer Ausbildung zu bewegen. Arbeitsagentur-Manager Becker setzt hingegen auf Überzeugungsarbeit:
    "Jetzt geht’s darum, diesen Menschen zu sagen: 'Wir wollen in dich investieren' und zum Beispiel über Sprachkurse oder Einstiegsqualifizierungen bei Arbeitgebern, über Praktika eröffnen wir die ersten Türen, wo die jungen Menschen sagen: 'Das gefällt mir', sodass oft nach Einstiegsqualifizierungen Ausbildungsmöglichkeiten sich eröffnen."

    Kling gut, klappt in der Praxis aber nur bedingt. In den Betrieben sind bislang nur wenige Flüchtlinge angekommen, die Arbeitgeber müssen mehr tun, fordert die Gewerkschafterin Annelie Buntenbach:
    "Das, was wir bislang sehen, reicht nicht aus. Die Arbeitgeber müssen sich bewegen, müssen mehr Angebote machen. Und können nicht darauf warten, dass dann die Geflüchteten mit entsprechend gutem Sprachniveau kommen und alle Voraussetzungen schon mitbringen, weil wenn man darauf wartet, heißt das, dass man sehr lange warten muss, bis man diesen Ausbildungsplatz besetzen kann."
    Annelie Buntenbach, Mitglied des DGB-Bundesvorstandes und ehemalige Grünen-Politikerin.
    Viele Flüchtlinge hätten gar kein Interesse an einer Ausbildung, sagt Annelie Buntenbach vom Deutschen Gewerkschaftbund. (imago/Müller-Stauffenberg)
    Verantwortliche sind den Integrationsaufgaben nicht immer gewachsen
    Eric Schweitzer widerspricht. Die Unternehmen seien bereit, Flüchtlinge einzustellen, aber Integration brauche nun mal Zeit, sagt der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags. Im Schnitt dauere es 22 Monate, bis ein Flüchtling für eine betriebliche Einstiegsqualifizierung überhaupt in Frage komme, die dann später in eine Ausbildung münden könne, sagt Schweitzer. Mit schnellen Erfolgen sei also nicht zu rechnen, sagt er:
    "Diese Entwicklung des Fachkräftemangels wird nicht durch die Flüchtlinge kurz- oder mittelfristig geändert werden können."

    Viele Flüchtlinge sind traumatisiert von den Erlebnissen auf der Flucht, von Gewalt und Terror in ihrer Heimat, sie brauchen psychotherapeutische Hilfe, stehen dem Arbeitsmarkt also zumindest vorerst gar nicht zur Verfügung. Vielen fehlt es auch an grundlegenden Kompetenzen, sie können nicht lesen und schreiben. Auch hier sollte man nicht mit schnellen Erfolgen rechnen, warnt Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer.
    DIHK-Präsident Eric Schweitzer mit einem Mikro in der Hand. 
    Rechnet nicht mit schnellen Erfolgen bei der Integration von Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt: DIHK-Präsident Eric Schweitzer (imago/Gerhard Leber)
    Hinzukommt, dass Ausländerbehörden, Jobcenter und Arbeitsagenturen den Integrationsaufgaben nicht immer gewachsen sind. So riet der örtliche Betreuer im niedersächsischen Alfeld Yasser Kalif, dem syrische Elektriker, ausdrücklich von einer Ausbildung ab. Begründung: Mit 28 sei er dafür schon zu alt:
    "Jobcenter hat mir gesagt, du bist alt für Ausbildung, Ausbildung ist drei, vier Jahre. Das ist: Ich kann nicht machen Ausbildung."
    Integrationscenter soll monatelanges Warten auf Kurse für Flüchtlinge verhindern
    Seit einem Jahr ist Yasser in Deutschland, seit sechs Monaten als Asylberechtigter anerkannt. Damit ist eigentlich der Weg frei für weitere Integrationsschritte, für Intensivsprachkurse oder berufliche Qualifizierungen. Doch es geschah erst mal nichts, sechs Monate lang, Ausweispapiere gingen verloren, Jobcenter und Ausländerbehörde schoben sich gegenseitig Akten und Verantwortung zu. Ein Behördenchaos sondergleichen, schimpft Flüchtlingsbetreuer Rüdiger Paulat:
    "Es gibt keine durchgehende Zuständigkeit. Mal ist die Ausländerbehörde zuständig, mal der Landkreis, mal das Jobcenter, mal das BAMF. Und ich denke, es wäre deutlich einfacher, wenn es eine Behörde gibt, die durchgängig alles bearbeiten würde. Und das gibt es leider nicht und dadurch haben wir sehr, sehr viel Leerlauf."

    Jetzt gerät sogar Yassers geplante Ausbildung im nächsten Jahr in Gefahr, fürchtet der Flüchtlingsbetreuer. Denn die kann er nur antreten, wenn er einen achtmonatigen Integrationskurs absolviert hat.
    Arbeitsvermittler Habib Hammo spricht in der Bundesagentur für Arbeit im bundesweit ersten "Integration Point" in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) mit zwei jungen Männern aus Syrien. Ziel des Integration Point soll es sein, Flüchtlinge und Asylbewerber möglichst schnell in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu integrieren
    Ausländerbehörden, Jobcenter und Arbeitsagenturen sind den Integrationsaufgaben nicht immer gewachsen. (picture alliance / dpa / Roland Weihrauch)
    "Insofern steht er unter Zeitdruck. Also wenn wir die Leute in Arbeit bringen wollen, dann müssen wir uns auch von Behördenseite anstrengen. Und ich habe von vielen Behörden den Eindruck, es ist keiner da, der sagt: 'Wir müssen euch unterstützen, wir müssen euch helfen'."
    Walter Prigge verspricht Besserung. Er ist der Leiter des Integrationscenters, das Arbeitsagentur und Jobcenter in Hildesheim vor vier Monaten gegründet haben. Das Ziel ist, die Betreuung der rund 1.000 Flüchtlinge in Hildesheim und den umliegenden Gemeinden zu verbessern. Monatelanges Warten auf Sprach- oder Weiterbildungskurse soll es nicht mehr geben, sagt Prigge:
    "Zeitnah heißt, dass wir keinen länger als zwei bis vier Wochen warten lassen wollen, dass wir dann schon ein konkretes Angebot machen."
    Defizite in schulischer und beruflicher Bildung ausgleichen
    Die Renatec Gmbh in Düsseldorf, eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft der Diakonie, gefördert von Arbeitsagentur und Jobcenter. Seit 30 Jahren werden hier Langzeitarbeitslose und Jugendliche fit für den Arbeitsmarkt gemacht. Seit vier Monaten auch Flüchtlinge:
    "Ich bin Hamed." Hamed ist 26 Jahre alt, kommt aus Afghanistan, hat dort als Maurer gearbeitet. Verfügt aber über keinerlei Nachweise. Jetzt soll er zeigen, was er kann. Kompetenzerfassung nennt sich das in der Fachsprache.
    Hamed nimmt einen Ziegel in die Hand, trägt Mörtel rauf, klopft den Stein mit der Kelle fest. Nimmt Wasserwaage, Zollstock und Winkel, blickt auf die Bauskizze, überprüft die Maße. Passt alles, die Mauer ist fertig. Der junge Afghane strahlt, auch Dzevad Baralija, der 34-jährige Ausbildungsleiter, ist zufrieden:
    "Das ist schon echt sehr, sehr anspruchsvoll. Ich wollte gucken, was der kann, demnächst werden die Aufgaben für den noch anspruchsvoller. Ich glaube, wenn der noch die deutsche Sprache ein wenig dazu lernt, dann nimmt den jede Firma mit Handkuss."


    Hamed floh vor einem Jahr mit seiner Frau und den zwei Kindern aus Afghanistan nach Deutschland. Sein Vater, der dort als Übersetzer für die deutschen Truppen gearbeitet hatte, war von den Taliban ermordet worden. Auch Hamed geriet ins Fadenkreuz der radikalen Islamisten. Und floh.
    "Sein Problem ist halt die schulische Bildung. Er hat Schwierigkeiten in Mathematik, er hat auch Schwierigkeiten in der Rechtschreibung. Das versuchen wir hier ein bisschen zu kompensieren. Fachlich fehlt ihm nichts, was das Mauern angeht."
    Schnell Deutsch lernen, schnell Defizite in der beruflichen Bildung ausgleichen, wenn möglich gleichzeitig, in einem Kurs – das ist der Ansatz, um junge Flüchtlinge erfolgreich und schnell in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
    "Die brennen darauf zu arbeiten, da kann man nicht einmal von Motivation sprechen, die brennen wirklich darauf, sich ins Arbeitsleben zu stürzen."
    Ein Flüchtling in Berlin schleift einen Stuhl ab.
    Oft müssen Flüchtlinge monatelang auf eine berufliche Qualifizierung warten. (dpa / picture-alliance / Felix Zahn)
    Bürokratische Blockaden lösen - Integration beschleunigen
    "Diese Energie müssen wir nutzen", sagt Roland Schüssler, der Chef der Düsseldorfer Arbeitsagentur. Seine Einrichtung will den jungen Flüchtlingen helfen, sich schnell zurechtzufinden. Deshalb hat Schüssler die Düsseldorfer Arbeitsagentur schon vor einem Jahr grundlegend umgebaut. Schluss mit dem Behördenmarathon, lautet sein Ansatz:
    "Alle Kompetenzen unter einem Dach heißt: Du läufst nur zur Agentur Düsseldorf und hier sind alle Kompetenzen da. Wir sprechen immer von der warmen Übergabe, wir nehmen dich an die Hand, und wenn wir eine aufenthaltsrechtliche Frage haben, klären wir das mit der Ausländerbehörde. Wenn es darum geht, dass eine Zuständigkeit von der Agentur zum Jobcenter wechselt: kein Problem, der Kollege sitze eine Tür weiter."

    Das Ziel war, bürokratische Blockaden zu lösen und die Integration zu beschleunigen. Zum Beispiel durch Kurse, die berufliche Qualifizierung mit Spracherwerb kombinieren, morgens die Schulbank drücken, nachmittags an der Werkbank arbeiten, lautet der Ansatz:
    "Wenn wir das hintereinander schalten, dann ist die Integration vielleicht in vier oder fünf Jahren zielführend. So gelingt das, die Dauer zu verkürzen. Und hat den weiteren Vorteil, er hat einen Ansprechpartner, ist in einer Maßnahme drin, wer morgens den Sprachkurs gemacht hat, der ist auch am Abend da, wenn der Meister ihm an der Werkbank erklärt, wie die Maschine funktioniert, dann ist auch der Sprachlehrer noch dabei. Er muss auch da nicht zu verschiedenen Institutionen, sondern hat‘s gebündelt und kompakt."
    Doch mit schnellen Erfolgen rechnet auch der Agenturchef Schüssler nicht. Viele Asylverfahren werden erst in nächster Zeit abgeschlossen, Sprach- und Eingliederungskurse beendet. Viele Flüchtlinge stehen dann erstmals dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Und das bedeutet: Die Arbeitslosigkeit wird steigen. Das ist seit Langem absehbar, sagt der Arbeitsmarktexperte Herbert Brücker, sieht darin aber keinen Grund zur Beunruhigung:
    "Das ist eigentlich relativ überschaubar, wenn wir davon reden, dass wir 200.000 bis 240.000 zusätzliche arbeitslose Flüchtlinge in einem Jahr haben werden. Wir haben insgesamt eine günstige Konjunkturlage, wir werden das makroökonomisch in den Zahlen kaum sehen, weil wir auf der anderen Seite einen Beschäftigungsaufbau in anderen Bereichen haben."
    Ein syrischer Flüchtling arbeitet mit seinem Ausbilder in einem Metallbetrieb in Schleswig-Holstein
    Die Düsseldorfer Arbeitsagentur will in Kursen für Flüchtlinge berufliche Qualifizierung mit Spracherwerb kombinieren. (picture alliance / Carsten Rehder)
    "Viele dieser Menschen können die Fachkräfte von übermorgen sein"
    Nur zehn Prozent der Flüchtlinge werden im ersten Jahr einen Job oder eine Ausbildung finden, nach fünf Jahren 50 Prozent, kalkuliert Rainer Becker, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit:
    "Aber wenn wir es gut machen, in die Menschen investieren, die notwendige Zeit und personelle Unterstützung bringen, dann können viele dieser Menschen die Fachkräfte von übermorgen sein. Ich betone bewusst übermorgen, weil Sprache lernen, Kultur begreifen, Ausbildung absolvieren, das bedeutet ja, dass mehrere Jahre ins Land gehen, dessen muss man sich bewusst sein."

    Eine lange Wegstrecke liegt noch vor uns, räumt auch Katja Mast ein, die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD. Aber mit dem Integrationsgesetz habe die Bundesregierung die Weichen in die richtige Richtung gestellt, sagt die Sozialdemokratin:
    "Ich erachte es als ganz wesentlich, dass die Botschaft ist: 'Lass dich hier ausbilden, dann kannst du erst mal hierbleiben, drei Jahre für die Ausbildung, zwei Jahre für die Weiterbeschäftigung'. Das ist schon ein starkes Signal, weil es sagt: 'Es ist attraktiv, bei uns eine duale Ausbildung zu machen'. Und da wir ja einen Riesenfachkräftemangel in Deutschland haben, hoffen wir, dass wir dadurch natürlich zur Deckung des Fachkräftemangels beitragen."
    Andrea Nahles (SPD), Bundesministerin für Arbeit und Soziales, gestikuliert am 22.05.2015 im Plenarsaal des Bundestages in Berlin
    Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles spricht beim Integrationsgesetz von einem Paradigmenwechsel (pa/dpa/Jensen)
    Integrationsleistungen nur für Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive
    Fördern und fordern heißt die Grundidee des Integrationsgesetzes, angelehnt an die Hartz-Reformen. Soll heißen: Mehr Unterstützung für Flüchtlinge, aber auch Leistungskürzungen, wenn die Angebote nicht angenommen werden. Brigitte Pothmer, arbeitsmarktpolitische Sprecherinder Grünen, hält das für den falschen Weg:
    "Das erweckt den Eindruck, als hätten wir lauter Flüchtlinge, die viele Angebote kriegen und dann diese Angebote nicht annehmen. Das Gegenteil ist der Fall. In meinem Wahlkreis habe ich mich gerade mit drei syrischen Flüchtlingen getroffen, die seit anderthalb Jahren hier sind und nun schon seit drei Monaten auf einen Bescheid des BAMF warten, damit sie überhaupt den Zugang zu einem Integrationskurs kriegen."

    Arbeitsministerin Andrea Nahles spricht gleichwohl von einem Paradigmenwechsel. Erstmals haben Flüchtlinge Anspruch auf Integrationsleistungen, sagt die Sozialdemokratin. Das Problem ist nur: Viele Flüchtlinge sind davon ausgeschlossen. Schnellen Zugang zu Integrationsleistungen sollen nach dem neuen Gesetz nur Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive haben, das sind laut Gesetz Menschen aus Syrien, Irak, Iran und Eritrea:
    "Über die Hälfte der Flüchtlinge, die in Deutschland sind, kommen aber aus anderen Ländern, afghanische Flüchtlinge, von denen wir wissen, dass über 70 Prozent am Ende hier bleiben werden, die werden durch dieses Integrationsgesetz in keiner Weise gefördert. Und ich finde, das ist für ein Integrationsgesetz schlicht zu wenig."
    Kinder halten in Abuja in Nigeria, im Lager für Binnenflüchtlinge New Kuchigoro, selbst gemalte Schilder mit der Aufschrift "Wir schaffen das" hoch, bevor der Bundespräsident kommt.
    Kinder in einem Lager für Binnenflüchtlinge in Nigeria halten Schilder mit Angela Merkels Credo "Wir schaffen das" hoch. (picture alliance / dpa /Wolfgang Kumm)
    Kritik an Wohnsitzauflage für Flüchtlinge
    Kritisch bewerten Arbeitsmarktexperten auch die sogenannte Wohnsitzauflage, mit der die Bundesregierung die Verteilung der Flüchtlinge steuern will. Sie schadet mehr als dass sie nutzt, warnt der Ökonom Herbert Brücker:
    "Ich kann Ihnen Beispiele aufzählen, wo wir jetzt in Bayern einen IT-Spezialisten auf dem Land haben, der hat einen Job in München, kann den aber nicht antreten wegen der Wohnsitzauflage. Das ist paradox, der hatte ein gutes Jobangebot und kann nicht weg. Auf der anderen Seite gibt es Landwirte in München, die auf dem Land viel bessere Chancen hätten."
    Haben wir uns also übernommen, scheitern wir bei dem Versuch, die vielen Flüchtlinge zu integrieren?
    "Schaffen tun wir das selbstverständlich. Es geht darum, dass wir es effizient machen, dass es nicht zu teuer wird. Und da würde ich sagen, ist das Glas halbvoll und nicht halbleer."