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Verfassungsschutz
Maaßen warnt vor ungeregelter Flüchtlings-Einreise

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, hat im DLF auf eine kontrollierte und geregelte Einreise von Flüchtlingen gedrängt. Man müsse ausschließen können, dass unter ihnen mögliche Attentäter seien. Zudem warnte Maaßen vor Anwerbeversuchen durch Salafisten, die die jungen Flüchtlinge als "Rekrutierungspotenzial" sähen, und vor einer zunehmenden Gewaltbereitschaft der Rechtsextremisten.

Hans-Georg Maaßen im Gespräch mit Rolf Clement | 27.09.2015
    Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen während eines Symposiums zu islamistischem Terrorismus im Mai 2015
    Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen. (afp / John Macdougall)
    Rolf Clement: Herr Maaßen, in Deutschland wird zurzeit sehr viel diskutiert über die Flüchtlinge, die wir in diesem Land aufnehmen, die in großer Zahl hierher zu uns kommen. Welchen Einfluss hat dieser Flüchtlingsstrom auf die innere Sicherheit?
    Hans-Georg Maaßen: Also, wir stellen derzeit fest, dass die hohe Zahl an Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, in Teilen unregistriert sind und wir gar nicht wissen, wer in dieses Land kommt. Das ist natürlich schon ein Punkt, der uns auch Sorge bereitet, weil wir möchten natürlich schon gerne wissen, wer hier in Deutschland sich aufhält und wer eine mögliche Gefahr auch für Deutschland darstellen kann. Und wir möchten auch gerne beitragen mit unseren Dateien und unseren Erkenntnissen, dass Personen, die nach Deutschland kommen, und möglicherweise uns bekannt sind als Islamisten oder andere Gefährder, hier keinen Aufenthalt erhalten.
    "Flüchtlingsstrom ordnen und organisieren"
    Clement: Haben Sie Erkenntnisse, die Sie zu der Befürchtung bringen, dass da etwas im Busch sein könnte?
    Maaßen: Nun, wir wissen zum Einen, dass IS und Jabhat al-Nusra oder andere Terrororganisationen beabsichtigen, Anschläge in Westeuropa durchzuführen. Wenn sie es könnten, würden sie es tun. Es ist für uns natürlich immer wieder eine Frage, die wir täglich beantworten müssen, ob unter den vielen Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, auch mögliche Attentäter sein könnten. Bislang haben wir keine Belege dafür – Gott sei Dank –, aber ich kann es nicht gänzlich ausschließen.
    Clement: Können Sie uns sagen, wie Sie in diesen Flüchtlingsströmen zu Erkenntnissen kommen?
    Maaßen: Nun, zunächst versuchen wir, dass dieser Flüchtlingsstrom geordnet und organisiert in Deutschland stattfindet. Das heißt, wir brauchen Namen und Daten. Wir erhalten diese Daten vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, wenn diese Personen dort registriert sind und einen Asylantrag stellen. Wir werden auch von der Bundespolizei beteiligt. Aber ich muss auch feststellen: In Teilen ist eben dieser Flüchtlingsstrom derzeit noch ungeordnet und - wie Minister de Maizière sagte - müssen wir hier auch zu einer geordneten Kanalisierung des Flüchtlingsstroms kommen.
    Sorge über mögliche IS-Kämpfer unter den Flüchtlingen
    Clement: Wenn ich jetzt mir vorstelle, eine Organisation wie der IS schickt einen Kämpfer nach Deutschland – der IS hat so viel Geld, der muss den Kämpfer nicht über diese Flüchtlingsströme, mit all den Risiken, mit den Unbillen, mit den Schwierigkeiten, die es da gibt, schicken, der kann doch ein Flugticket buchen.
    Maaßen: Herr Clement, das ist natürlich ein Argument, das sehen wir auch. Wir halten es für möglich, dass es durchaus auch derartige Attentäter gibt, aber in der Tat, es sprechen genügend Gründe dagegen. Und ein weiterer Grund – muss man auch sehen –, die Anschläge die in den vergangenen Jahren in Westeuropa durch islamistische Terroristen stattgefunden haben, waren Anschläge, die nicht durch sogenannte Hit-Teams, also entsandte Einzelpersonen oder Gruppen, stattgefunden haben.
    Also die Variante, das auch unter den Flüchtlingen Terroristen sind, die hier Anschläge begehen wollen, ist eine, die wir als mögliche in Betracht ziehen, aber wir haben auch andere Sorgen. Eine weitere Sorge ist, dass unter den Flüchtlingen Personen sind, die für IS gekämpft haben, in Deutschland Zuflucht suchen wollen, ohne, dass sie einen Plan haben, in Deutschland Anschläge zu begehen, aber schwere und schwerste Straftaten begangen haben.
    Eine weitere Sorge, die wir haben, sind die Salafisten in unserem Land. Mittlerweile haben wir 7.900 Salafisten in Deutschland. Diese Salafisten sehen die hohe Zahl an jungen Männern, die unter den Flüchtlingen sind. 80 Prozent der Flüchtlinge sind junge Männer. Der überwiegende Teil sind Sunniten und diese jungen Leute werden als ein Rekrutierungspotenzial gesehen, um die Zahl der Salafisten in Deutschland noch weiter steigen zu lassen und um mögliche Dschihadisten dann zu rekrutieren.
    "Anwerbeversuche der Salafisten zu früh es geht unterbrechen"
    Clement: Ja, das ist ja genau das Schema eigentlich: Junge Leute, die nach Perspektiven suchen, die nicht verankert sind, sind ja sehr leicht ansprechbar. Finden solche Ansprechversuche statt?
    Maaßen: Wir haben schon derartige Ansprechversuche festgestellt. Wir haben gesehen, dass auch Salafisten im Internet dazu aufrufen, in die Flüchtlingsheime zu gehen, um Flüchtlinge anzusprechen. So wurde von einem namhaften Salafisten in Deutschland – von Pierre Vogel – im Internet gepostet, dass die jungen Flüchtlinge nicht nur Nahrung und ein Dach über dem Kopf brauchen, dafür sollen die Kuffãr, das heißt, die Ungläubigen, also wir, sorgen, sondern sie brauchen auch spirituelle Unterstützung, sie brauchen Religion, sie brauchen Salafismus. Und ich glaube, es ist ganz wichtig, dass derartige Anwerbeversuche so früh es geht auch unterbrochen werden.
    Clement: Nun haben wir auf der einen Seite eine große Hilfsbereitschaft der Deutschen, auf der anderen Seite haben wir auch diejenigen, die ja selbst mit Anschlägen und mit Gewalt gegen die Asylbewerber vorgehen, gegen die Flüchtlinge, die hierher kommen. Was tut sich da im Moment auf der rechten Szene?
    Maaßen: Also die rechte Szene versucht seit Jahren, in Deutschland Gehör zu finden in der breiten Bevölkerung. Das ist ihr nie gelungen. Die NPD hatte im letzten Jahr dramatisch verloren, jedenfalls aus ihrer Sicht, auch aus unserer Sicht, ist eigentlich nirgendwo mehr vertreten, nur mit einer einzigen Person im Europaparlament – auch das im Grunde weit unter deren Vorstellung.
    Das Thema Asyl und Flüchtlinge ist ein Thema, mit dem die NPD, mit dem die rechtsextremistische Szene versucht, in Deutschland den Anschluss an die Mitte, an die bürgerliche Mitte zu finden, indem versucht wird, Sorgen, Ängste, Befürchtungen der Menschen für sich zu instrumentalisieren, auch versucht, die Leute auf die Straße zu bringen, aufzuhetzen, um für die rechtsextremistische Sache mit zu demonstrieren.
    NPD instrumentalisiert Ängste der Menschen
    Clement: Sehen Sie da eine starke Rolle der NPD? So stark, dass das unter Umständen das Verbotsverfahren noch beeinflussen kann?
    Maaßen: Also wir sehen, dass die NPD, aber auch die Splitter oder die Kleinstparteien, wie "Die Rechte" oder "Der III. Weg", das Thema Asyl und Flüchtlinge für sich jetzt instrumentalisieren. Wir sehen auch, dass Demonstrationen auch von diesen Gruppierungen organisiert werden. Wir haben eine deutliche Zunahme an Demonstration in diesem Jahr festgestellt; allein 39 Demonstrationen von Rechtsextremisten gegen Asylbewerberunterkünfte – also nur von Rechtsextremisten gegen Asylbewerberunterkünfte. Und diese Informationen, die wir haben, haben wir auch über den Bundesrat dem Bundesverfassungsgericht zur Verfügung gestellt, damit das in das NPD-Verbotsverfahren einfließen kann.
    Clement: Sie hoffen, dass das hilfreich ist, dass die NPD verboten wird?
    Maaßen: Also aus unserer fachlichen Sicht denke ich, dass die Belege, die wir derzeit beigebracht haben, ausreichend sein sollten für das Verbot.
    "Ausschließen, dass es so etwas gibt wie einen NSU"
    Clement: Gibt es denn so etwas wie Reisekader, so Gruppen, die durch die Gegend fahren und diese Anschlägen vorbereiten, organisieren, vielleicht auch begehen, die ein Netzwerk in der rechten Szene aufbauen, indem dann solche Aktionen gestartet werden?
    Maaßen: Also in der Tat interessiert es uns sehr zu sehen, ob es in Deutschland Strukturen gibt, die diese Übergriffe auf Asylbewerberheime organisieren. Wir wollen auf jeden Fall ausschließen, dass es so etwas gibt wie einen NSU, der durch die Bundesrepublik gereist ist, um Anschläge zu begehen auf Ausländer.
    Wir haben mit Blick eben auf die zahlreichen Übergriffe auf Asylbewerberheime – es gab allein in diesem Jahr 22 Brandanschläge – nicht sehen können, dass dies strategisch vorbereitet wird, dass es da einen Mastermind gibt oder dass es eine Gruppierung gibt, die Reisekader durch Deutschland schickt. Wir haben es nicht sehen können, was allerdings nicht bedeutet, dass ich es gänzlich ausschließen kann.
    Was wir wissen, ist, dass bei den Tätern, die bislang festgestellt worden waren von der Polizei bei den Übergriffen auf Asylbewerberheime, es sich zu über 70 Prozent um Menschen aus der Region handelt oder aus dem Ort selber, was eher dafür spricht, dass es nur örtlich organisiert ist und nicht überregional strategisch geplant wird.
    "Nahezu alle Extremisten in Deutschland radikalisieren sich"
    Clement: Gibt es denn im Zusammenhang mit der Flüchtlingsproblematik auch Reaktionen auf der linksextremen Seite?
    Maaßen: In der Tat, wir stellen auch Wechselwirkungen fest zwischen Rechtsextremisten und Linksextremisten in Bezug auf die Flüchtlingsproblematik insoweit, als dass, wenn Rechtsextremisten zu Demonstration aufrufen, wir dann automatisch – man kann sagen automatisch – dann auch schon Linksextremisten sehen, die zu Gegendemonstrationen aufrufen.
    In Teilen sind es bürgerliche Linke, die zu Gegendemonstrationen aufrufen, aber wir sehen auch, dass die Linksextremisten das Thema Asyl/Flüchtlinge, aber auch "Gegen Rechtsextremismus" als Themen verwenden, um ihre eigenen Sympathisanten zu mobilisieren. Das besorgt uns deswegen, weil wir hier Wechselwirkungen sehen: Die eine extremistische Gruppierung, kann man sagen, befruchtet die andere politische extremistische Gruppierung und wieder umgekehrt. Und das kann auch wieder zu Gewalt geneigten Handlungen führen.
    Clement: Dann hat dieser Flüchtlingsstrom, der jetzt über Europa, besonders über Deutschland hereingebrochen ist, eigentlich zu einer Radikalisierung der innenpolitischen Szene geführt.
    Maaßen: Wir sehen jedenfalls schon – aber seit Jahren –, dass nahezu alle Extremisten in Deutschland, ob rechts oder links oder Islamisten, sich radikalisierten insoweit, als dass sie gewaltbereiter sind. Das ist ein Phänomen, dass wir hier jetzt schon seit vielen Jahren sehen und im Rechtsextremismus schon so weit, dass man sagen kann: Jeder zweite Rechtsextremist ist ein gewaltbereiter oder gewaltorientierter Rechtsextremist.
    Was wir jetzt im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise sehen, ist die Mobilisierung, die Mobilisierung auf der Straße von Rechtsextremisten, aber auch von Linksextremisten in Teilen. Darüber hinaus sehen wir nun auch Wechselwirkungen zwischen der PKK oder PKK-nahen Gruppierungen in Deutschland und türkischen Nationalisten, was auch wieder zu Gewalteruption führen kann.
    "Nicht damit abfinden, dass der IS erst in Jahren beseitigt wird"
    Clement: Man spricht viel davon, dass man die Fluchtursachen bekämpfen muss und beseitigen muss. Wo sehen Sie denn da einen Ansatzpunkt, wo man das am besten tun kann?
    Maaßen: Ich bin der Überzeugung, dass die Fluchtursachen nur zu Hause bekämpft werden können. Und mit Blick eben auf die hohe Zahl von Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak ist es aus meiner Sicht notwendig, dass die Situation in Syrien und im Irak befriedet wird. Wir können uns nicht damit abfinden, dass der IS erst in Jahren beseitigt wird.
    Würde dies erst dann geschehen, hätten wir es, denke ich, in der Zwischenzeit noch mit unabsehbaren Flüchtlingsströmen zumindest in die Nachbarregion zu tun, wie wir es in den letzten Jahren auch schon in der Türkei oder in Jordanien gespürt haben. Darüber hinaus ist es aus meiner Sicht auch notwendig, Syrien und Irak zu befrieden, damit wir nicht weiter die Bedrohung haben durch mögliche Angreiferteams, durch Hit-Teams auf Deutschland, auf deutsche Interessen, damit auch der Strom von jungen Dschihadisten nach Syrien unterbunden wird.
    "Menschenschlächter" Assad ist "kleineres Übel" im Vergleich zum IS
    Clement: Im Interview der Woche im Deutschlandfunk der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen. Nun gibt es zwei unterschiedliche Trends im Moment. Man diskutiert auf der einen Seite darüber, dass man den Konflikt da unten vielleicht auch mit militärischen Mitteln lösen kann, also nicht alleine, sondern mehr militärische Mittel zur Lösung einsetzen kann. Und auf der anderen Seite sagt man, man muss mehr reden, unter anderem auch mit Herrn Assad. Finden Sie diese Doppelstrategie die Richtige?
    Maaßen: Ich halte die Strategie für wichtig, auch mit der derzeitigen Regierung in Syrien Gespräche zu führen. Wir müssen sehen: Assad ist ein Mensch, der viele Menschenleben auf dem Gewissen hat und den man wahrscheinlich auch ohne Weiteres als einen Menschenschlächter bezeichnen kann. Auf der anderen Seite haben wir als Alternative derzeit nur das System von IS, Jabhat al-Nusra oder anderen Islamisten. Wir haben es im Grunde genommen zu tun mit einem Kampf von zweierlei Übeln: Assad oder die Islamisten. Und aus unserer Wahrnehmung ist jedenfalls Assad das kleinere Übel, mit dem man zumindest ins Gespräch kommen muss, um IS zu bekämpfen und zu beseitigen.
    "Die Türkei ist ein Schlüssel"
    Clement: Sie haben gerade schon die Lage in der Türkei angesprochen. Die Lage in der Türkei beschäftigt Sie, wie ich weiß, ja schon seit Längerem, weil die Türkei immer sehr freundlich dabeistand, wenn Deutsche, die in den Dschihad wollten, durch die Türkei nach Syrien gereist sind. Welche Rolle spielt das für Sie heute? Wie wichtig ist die Türkei für eine Lösung des Konflikts?
    Maaßen: Aus meiner Wahrnehmung ist die Türkei ein Schlüssel und sowohl, was die Reise nach Syrien angeht, von jungen Dschihadisten – über 740 sind dorthin ausgereist – die nahezu alle über die Türkei gereist sind, als auch was die Flüchtlingsströme angeht, wo wir feststellen: Der größte Teil der Flüchtlingsströme, die wir derzeit erfahren, beginnt zwar in Syrien, Irak oder auch in Afghanistan, aber führt regelmäßig über die Türkei in die EU und dann nach Deutschland. Also die Türkei ist insoweit ein ganz zentrales Land, mit dem man Gespräche führen muss und mit dem man zu einer Lösung kommen muss, damit sowohl die Reisen von jungen Leuten nach Syrien als auch der Flüchtlingsstrom unterbunden beziehungsweise kanalisiert wird.
    Clement: Nun hat die Türkei ja im Zusammenhang mit diesem ganzen Kampf gegen den IS auch gesagt, dass der Kampf gegen die Kurden fortgesetzt wird und diese Auseinandersetzung – Sie haben es angedeutet – schwappt auch nach Deutschland rüber. Ist das erkennbar für Sie? Wie stark ist diese Auseinandersetzung? Wie deutlich wird die auf deutschem Boden ausgetragen?
    Maaßen: Also wir sehen, dass jede Veränderung der offiziellen türkischen Politik gegenüber der PKK und gegenüber den Kurden auch in Deutschland Auswirkungen hat. Der Anschlag in der Türkei, gegen eine Polizeidienststelle, hat in Deutschland Folgen gehabt, genauso wie auch die Angriffe der türkischen Regierung und die Aufkündigung des Waffenstillstandes gegenüber der PKK.
    Es drückt sich in Teilen durch Demonstrationen aus, die bislang jedenfalls weitgehend friedlich in Deutschland verlaufen sind, aber es drückt sich auch aus in Wechselwirkungen zwischen jungen, überwiegend jungen Kurden, PKK nahen Kurden, aber auch jungen, türkischen Nationalisten. Wo es sogar zu schweren Verletzungen gekommen ist, wie erst vor Kurzem bei einer Demonstration, wo ein Kurde lebensgefährlich verletzt wurde.
    "Islamistische Bedrohung ist nicht weniger geworden"
    Clement: Die Aktivität der Grauen Wölfe und der Idealistenvereine besorgt Sie?
    Maaßen: Ja, die Grauen Wölfe und die Idealistenvereine sind für uns insoweit auch ein Thema, weil wir sehen, dass auf der Seite der türkischen Nationalisten, die gegen die Kurden demonstrieren, es regelmäßig eben diese rechtsradikalen Türken gibt, die noch weiter Öl ins Feuer gießen, die noch weiter dabei sind, diesen Konflikt auch hier in Deutschland auszutragen.
    Clement: Herr Maaßen, wenn man sich konzentriert auf das, was wir bis jetzt besprochen haben, die Flüchtlinge und das, was im Zusammenhang mit der Flucht zu tun hat, ist ein Thema – es tritt zwar immer wieder auf, aber ist nicht mehr so virulent in der deutschen Diskussion – nämlich die islamistische Bedrohung. Wir haben es zwar angesprochen im Zusammenhang mit den Flüchtlingen. Lässt die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für diese Bedrohung im Moment nach?
    Maaßen: Die Bedrohung ist nicht weniger geworden. Ich würde auch sagen, wie Sie, dass die öffentliche Wahrnehmung derzeit auf andere Themen gerichtet ist. Und mein Eindruck ist: Die öffentliche Wahrnehmung kann sich regelmäßig nur mit ein, zwei oder wenigen Themen beschäftigen. Für uns ist nach wie vor die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus ein ganz wichtiges Thema, das unsere Tagesarbeit auch prägt. Wir haben gesehen die Anschläge in Toulouse, in Paris, in Kopenhagen, in Brüssel. Wir müssen davon ausgehen, dass auch Deutschland im Fokus steht, dass es auch in Deutschland junge Menschen gibt, die sich durch die Propaganda von IS weiter radikalisieren und bereit sind, auch Anschläge in unserem Land zu begehen.
    Gefahr durch Radikalisierung junger Muslimen in Deutschland
    Clement: Sie haben gesagt, dass es keine gesicherten Erkenntnisse, belastbare Erkenntnisse gibt, dass mögliche Attentäter mit den Flüchtlingen nach Deutschland kommen. Haben Sie Erkenntnisse, dass Deutschland zurzeit aus anderen Ecken oder auch durch andere Leute "besucht" wird? Kommen Kämpfer, mögliche Attentäter auf anderen Wegen nach Deutschland?
    Maaßen: Also, wir schauen uns die Anschläge an, die es in anderen europäischen Ländern oder auch in Canada oder auch in den USA gegeben hat und analysieren sie. Und wir haben festgestellt, dass der weit überwiegende Teil dieser Anschläge durchgeführt worden war von jungen Männern, die sich in den Ländern selbst aufgehalten haben, die sich in Teilen über das Internet oder über radikale, islamistische Moscheen radikalisiert haben.
    Von daher sehen wir es als eine Gefahr an, als eine durchaus gegebene Gefahr an, dass eben in den deutschen Städten sich selbst junge, radikale Muslime soweit über das Internet oder über Hassprediger radikalisieren, dass sie in Deutschland Anschläge begehen.
    Das heißt, die Gefahr, die Sie angesprochen haben, durch ein Team, durch Einzelpersonen aus dem Ausland, ist eine Variante, aber die Anschläge, die wir erfahren haben in Belgien, in Frankreich und in anderen Ländern, zeigen es uns, dass es auch durchaus wahrscheinlich ist, dass es eben den inländischen Terrorismus von selbst radikalisierten Personen geben kann.
    "Rechtsextremismus kann zu Rechtsterrorismus werden"
    Clement: Ist denn die Reisetätigkeit von und nach Syrien immer noch so groß, wie sie im Frühjahr war, als wir da noch stärker drauf geachtet haben?
    Maaßen: Die Reisetätigkeit ist nach wie vor hoch, wenngleich sie nicht mehr so hoch ist wie im Sommer letzten Jahres, als der IS, das Kalifat, ausgerufen wurde, wo man in Deutschland, in ganz Westeuropa, eine gewisse Euphorie in der islamistischen Szene feststellen konnte und wo es hieß: 'Wir müssen nach Syrien, in den Irak, zum IS, um ihn zu unterstützen.' Aber die Zahlen der Ausreisen haben auch im letzten Monat wieder zugenommen, wir liegen jetzt bei über 740 bekannten Personen, die ausgereist sind.
    Clement: Herr Maaßen, wenn man sich das anguckt, was wir jetzt besprochen haben in den letzten zwanzig Minuten: Sie müssen alle Flüchtlinge, die reinkommen, deren Namen Sie haben, überprüfen, Computer gegenlaufen lassen, gegen ihre Karteien, die rechte Szene wird aktiver, die Linke wird dadurch auch wieder aktiver, Sie haben immer noch die Islamisten – reichen Ihre Leute eigentlich aus, um das alles machen zu können?
    Maaßen: Wir müssen Prioritäten setzen und das heißt Sachen, die vielleicht gestern von großer Bedeutung waren, müssen wir heute vielleicht mit Priorität 2 behandeln und Priorität 1 sind jetzt zum Beispiel auch Flüchtlinge, sind Rechtsextremisten. Das Thema Rechtsextremisten, das nach dem NSU zwar noch prioritär war, in den letzten zwei Jahren vielleicht weniger prioritär war, ist jetzt für uns eine ganz hohe Priorität, weil wir eben die Sorge haben, dass aus Rechtsextremismus Rechtsterrorismus werden kann.
    Wir müssen die Ressourcen insoweit neu ausrichten, mit Blick eben auf diese Priorität islamistischer Terrorismus und Rechtsextremismus/Rechtsterrorismus. Neue Stellen, wenn wir sie jetzt bekommen sollten durch den zukünftigen Bundeshaushalt, würden uns natürlich unterstützen, aber realistisch gesagt: Neue Stellen bedeuten nicht gleichzeitig neue ausgebildete Menschen. Wir müssen heute handeln, und das Gebot der Stunde heißt dann: Prioritäten setzen!
    "Mir geht es darum, Lecks zu stopfen"
    Clement: Herr Maaßen, im Sommer haben wir darüber diskutiert, dass Sie sich dagegen gewehrt haben, dass Unterlagen, die in Ihrem Amt als geheim eingestuft worden sind, an die Öffentlichkeit geraten sind. Dieser Vorstoß, den Sie da unternommen haben, ist gestoppt worden – wir kennen alle die Diskussion noch. Wollen Sie da einen neuen Anlauf unternehmen, wollen Sie noch mal versuchen die Löcher, die es da irgendwo gibt, zu stopfen?
    Maaßen: Also wir werden in Zukunft, wie aber auch in der Vergangenheit, in jedem Einzelfall prüfen, ob wir Strafanzeige erstatten, wenn Informationen aus unserer Behörde, die geheimhaltungsbedürftig sind, herausgegeben werden. Das werden wir auch in Zukunft uns vorbehalten, in jedem Einzelfall zu prüfen. Mein Eindruck war, dass in der ganzen Diskussion im Sommer über die Strafanzeigen, die von meinem Haus gestellt worden sind, ein Punkt eigentlich so ziemlich vernachlässigt wurde: Das Weitergeben von geheimhaltungsbedürftigen Unterlagen ist strafbar. Egal, ob man es als ein Staatsgeheimnis ansieht oder nur als ein Dienstgeheimnis – das ist strafbar!
    Das ist auch keine Bagatelle; das ist nicht so, wie einmal zehn Kilometer zu schnell fahren oder ein Parkverstoß. Und ich glaube, das muss man sich einfach auch mal vor Augen führen: Nicht jede Information, die geheimhaltungsbedürftig ist, ist auch gleichzeitig eine Information, die anrüchig ist oder die rechtswidrig ist oder mit der man etwas aufdeckt, was vielleicht ein Missstand ist. Wir haben es in Deutschland regelmäßig zu tun mit geheimhaltungsbedürftigen Informationen, die staatliche und damit auch Allgemeinwohlinteressen schützen. Und das ist meine Aufgabe, als Leiter einer Behörde, als Leiter des Inlandnachrichtendienstes, dafür zu sorgen, dass diese geheimhaltungsbedürftigen Unterlagen auch geschützt bleiben und dass ein Verstoß dagegen auch geahndet wird.
    Clement: Wie gehen Sie mit dem Vorhalt um, das sei ein Verstoß gegen die Pressefreiheit?
    Maaßen: Die Strafanzeigen meiner Behörde waren gegen Unbekannt erstattet worden, Zielrichtungen waren insoweit nicht Journalisten gewesen. Das möchte ich an dieser Stelle auch noch einmal betonen. Mir geht es darum, Lecks zu stopfen, mir geht es auch darum, die Personen, die die Informationen in die Öffentlichkeit geben, dass diese Personen dafür auch bestraft werden. Und ich denke, das ist nicht nur legitim und ich empfinde das auch als eine Verpflichtung dies zu tun, weil meine Aufgabe – wie ich sagte – auch darin besteht, geheimhaltungsbedürftige Unterlagen geheim zu halten.
    Clement: Herr Maaßen, herzlichen Dank für dieses Gespräch.
    Maaßen: Bitteschön, gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.